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WIEN/ Staatsoper: PARSIFAL – zweite Vorstellung der „Osterserie“ am Ostersonntag

Zum Spitalsraum wird hier die Zeit

22.04.2019 | Oper


Parsifal und die Blumenmädchen: Simon O’Neill. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Parsifal von Richard Wagner

  1. Aufführung in dieser Inszenierung
  2. April 2019

Zum Spitalsraum wird hier die Zeit

Eine Zeitlang waren es die Zirkusarena oder der Boxring, die den Opernregisseuren bei ihrer Suche nach neuen Schläuchen für alte Weine zu Hilfe kamen, nun ist es offenbar das Krankenhaus. Einer der ersten war Claus Guth, der 2010 der Titelfigur seines Wiener Tannhäuser 2010 im letzten Akt kurzerhand ein Bett im von Otto Wagner erbauten Sanatorium Steinhof zuwies. Dort, wo auch die Pilgerschar in Zwangsjacken vorbei defiliert, liegt er im Koma. Das Ganze war von einer zwingenden Konsequenz und wirkte im Verlauf der Entwicklung, die Tannhäuser durchläuft, durchaus überzeugend. (Leider ist Tannhäusers Koma offenbar derart heftig ausgefallen, dass man ihn auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper schon lange vermissen muss. Das gilt leider auch für Wagners Meistersinger und Holländer, weitere schwere Versäumnisse der zu Ende gehenden Ära Meyer.)

Es dauerte nicht lange, bis Stephen Langridge 2015 dem Amfortas in seiner Parsifal-Inszenierung an der Royal Opera Covent Garden Bettruhe in einem Krankenhaus verordnen sollte. Diesen Einfall aufgreifend,  verlegt zwei Jahre später Alvis Hermanis in seiner Wiener Inszenierung von Wagners Bühnenweihspiel gleich die ganze Handlung in ein – im Wiener Jugendstil erbautes – „Wagner Spital“, das sich architektonisch wie eine Mischung aus Otto Wagners  Stadtbahnstationen und seiner Kirche am Steinhof ausnimmt. Das wirkt scheint zunächst vielversprechend, erweist sich allerdings spätestens ab dem Klingsor-Aufzug als ein krampfhaft exekutierter, unpraktikabler Ansatz. Dem zauberhaften Bühnenweihspiel ist damit jedenfalls nicht beizukommen.

Musikalisch aber ist die derzeitige Aufführungsserie ein Gewinn. Das liegt vor allem am umsichtigen, kundigen und stets hellwachen Dirigat von Valery Gergiev. Er nimmt sich Zeit für den Aufbau dramatischer Spannungsbögen, ohne sich darin zu verlieren, und lotet auch die abgrundtiefen Zwischenspiele symphonisch aus. Hier entfaltet sich nicht nur berückender „Karfreitagszauber“, sondern das ganze Werk wirkt wie von geheimnisvoller Magie durchwirkt. An diesem Klangzauber hat auch der große – durch Extrachor und Opernschule verstärkte – Staatsopernchor seinen gebührenden Anteil; nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang auch die von Wagner vorgeschrieben vier großen Glocken.

In der Titelpartie des „tumben Tors“, der sich zum „aus Mitleid wissenden“ Helden mausert, ist der Neuseeländer Simon O´Neill zu erleben. Ein brillanter, helltönender Tenor, der zuweilen etwas nasal klingt und wie ein Rohdiamant wirkt, was zur Figur des Parsifal aber recht gut passt. Sein Spiel wirkt – vor allem im 3. Aufzug – etwas unbeholfen und zu unauffällig. Das ist aber zu einem Gutteil auch dem sterilen Ambiente des Krankenhauses geschuldet. Wie soll sich da ein Gralsmission ereignen?


Rene Pape (Gurnemanz). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Souverän und stimmlich wie darstellerisch stets präsent ist Kammersänger René Pape als Gurnemanz. Von eindringlicher Klarheit in der Diktion und mit wohlklingendem, sonorem Bass, strahlt er Autorität und Lauterkeit aus.  Als an seiner Verfehlung schwer leidender und sich selbst bezichtigender Amfortas tritt Thomas Johannes Mayer mehr durch sein Spiel als durch seinen Gesang in Erscheinung. Ryan Speedo Green ist ein nicht weiter bemerkenswerter Titurel, Boaz Daniel ein stimmlich gut disponierter Klingsor, der aber jegliche Gefährlichkeit und Bösartigkeit im Charakter vermissen lässt und so viel zu harmlos bleibt.

Starken, unter die Haut gehenden Eindruck hingegen hinterlässt hingegen Elena Zhidkova als Kundry, deren Hin- und Her-Gerissen-Sein zwischen ihrer Zugehörigkeit zur Höllenwelt Klingsors und dem Verlangen nach Erlösung sie in Klagen, Seufzern und dunklen Beschwörungen intensiv Ausdruck verleiht. Gut besetzt mit ebenso verlässlichen wie exzellenten Hauskräften sind die zahlreichen Knappen und Blumenmädchen, was auch für die beiden Gralsritter Leonardo Navarro und Clemens Unterreiner zutrifft.

Insgesamt eine bemerkenswerte, im Orchestergraben einheitlich exzellente, auf der Bühne sängerisch durchwachsene Aufführung, die – was bei einer Parsifal-Aufführung auch mindestens zu erwarten wäre – aus dem Repertoirealltag etwas hervorsticht, von einer Sternstunde aber weit entfernt ist.

Wie bereits gehabt und vermeldet: magere fünf Minuten Applaus eines offenbar doch merklich erschöpften Publikums.

Manfred A. Schmid

 

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