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WIEN/ Staatsoper: PARSIFAL. „Du siehst mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit“. 7. Aufführung in dieser Inszenierung

„Du siehst mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit“ – Parsifal an der Wiener Staatsoper, 7. Aufführung dieser Inszenierung vom 09.04.2023 – Ostersonntag

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Franz-Josef Selig, Klaus Florian Vogt, Ekaterina Gubanova. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

„Im Zweifel doch erbebt des Herzens Grund!“ heißt es in Wagners Lohengrin. Zwar steht dieser erst ab 15. April auf dem Spielplan. Doch Lohengrin ist bekanntlich Parsifals Sohn und kommt von einem Schwan gezogen die Schelde herab. Parsifal hingegen selbst hingegen erlegt einen Schwan, als er die Burg Monsalvat erreicht und auf die Gralsritter stößt, deren König er später werden wird. Zwar hat Wagner in umgekehrter Reihenfolge beide Opern geschrieben (Lohengrin 1850, Parsifal 1882), doch werden sie nun in der inhaltlich chronologisch korrekten Reihenfolge an der Staatsoper gezeigt. Mehr noch ist die Inszenierung von Kirill Serebrennikov erstmals zu Ostern live am Ring zu sehen. Denn zu seiner Premiere 2021 wurde er aufgrund des Lockdowns nur online übertragen, 2022 brach die Direktion dann grundlos mit der Tradition den Parsifal an den Ostertagen zu zeigen und brachte diesen über die Weihnachtstage („Bei welchen Heiden weiltest du, zu wissen nicht, dass heute der allerheiligste Karfreitag ist?“). Nun endlich stimmt zumindest der Termin. Gemeinsam mit einer vielversprechenden Besetzung ist das also Grund genug, trotz aller Zweifel in den Parsifal zu gehen.

Bereits im Vorfeld fällt uns auf, dass zahlreiche Plätze im Parkett nicht verkauft sind. Wie auch bei anderen Aufführungen der jüngsten Vergangenheit bleiben die teuren Plätze frei, im Parkett sind ca. ¼ unbesetzt. Ein Alarmsignal möchte man meinen: Wenn es der Wiener Staatsoper nicht gelingt, mit Parsifal an den Ostertagen das Haus zu füllen, ist wahrhaft einiges im Argen!

Auch die Begrüßung Philippe Jordans ist nicht mehr jene überschwängliche, wie sie noch zur Premiere von Le Nozze di Figaro zu erleben war. Die Bravi, die ihm in den vergangenen Wochen schon bei Betreten des Orchestergrabens zuteilwurden, galten offensichtlich noch immer seinem Statement gegen das modernistische Regietheater und jene Direktion, welche diese Inszenierungen zu verantworten hat. An diesem Abend jedoch höflicher Applaus für Jordan bei Betreten des Orchestergrabens. Eine gewisse Nervosität scheint bei Jordan zu liegen. Zu Recht, denn bei Wagner ist Schluss mit lustig, „hier gilt’s der Kunst“ und im Parsifal gilt es noch viel mehr. Die Tatsache, dass es sich um Wagner Opus Ultimatum handelt und der religiöse Charakter des Stückes geben ihm nun einmal eine besondere Bedeutung. Nicht umsonst postulierte Wagner 1880 in seinem Essay „Religion und Kunst“, dass „der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten…“ und in keinem Werk setzt er dieses Postulat so sehr um wie eben im Parsifal.

Natürlich weiß das auch Philippe Jordan und hat sich offensichtlich im Vorfeld intensiver als sonst mit dem Werk auseinandergesetzt. Er hat Respekt vor dem Parsifal, das merkt man. Und so dirigiert er im ersten Akt fast schon etwas zu langsam an der ein oder anderen Stelle. Es ist jedoch positiv anzumerken, daß Herr Jordan hier nicht wie sonst in vollem forte fortissimo über alle Stellen fährt. Meistenteils gelingt es ihm, das Staatsopernorchester zu leiten und durchaus gelungen, die zahlreichen Schattierungen dieses komplexen Meisterwerkes herauszuarbeiten. Und auch im Zusammenspiel der Sänger ist Herr Jordan hier deutlich besser als an den bisherigen Abenden, an welchen wir ihn bislang erlebt haben. Denn den Sängern lässt er fast vollumfänglich ausreichend Raum zu agieren, sie sind zumeist gut verständlich, da sie nur selten von der Lautstärke des Orchesters überrollt werden. Stellenweise ist das Dirigat tatsächlich auch so weit, dass hier die transzendentale Mystik von Wagners Musik zum Tragen kommt und ihre volle Wirkung entfaltet. Alles in allem war das solide bis gut und unserer Meinung nach das bislang beste Dirigat, welches Herr Jordan an der Staatsoper vorgelegt hat.

Eine gute Grundlage also für die gesangliche Besetzung des Abends. Da ist zunächst Franz-Josef Selig als Gurnemanz zu nennen. Der Bass hat hier die Aufgabe, fast den gesamten ersten und dritten Akt hindurch zu singen und tatsächlich gelingt es Herrn Selig ohne Abstriche sehr gut mit seiner Stimme zu haushalten. Noch am Ende des Abends wirkt er nicht müde, ist stets väterlich wohlwollend und in Klarheit bei voller Kraft. Dieser Gurnemanz weiss um das Potential des reinen Toren Parsifal. Und er scheint das letzte Gegengewicht zu sein, welches die Gralsritterschaft noch zusammenhält: Amfortas selbst verweigert den Dienst, das Amt, die Enthüllung des Grals, da er nicht bereit ist sein körperliches Leiden in Kauf zu nehmen. Und auch die Ritterschaft selbst verhält sich des Grales mehr als unwürdig: Sie richtet Parsifal wegen des getöteten Schwanes umgehend, ohne die Fakten zu kennen. Sie sind kaum besser als Kundry, die Christus am Kreuzweg auslachte, lachen sie doch selbst über den unwissenden Parsifal. So ist es Gurnemanz, der es durch sein Wirken überhaupt erst möglich macht, die Existenz der Gralsritterschaft zu sichern. Strafend, aber gerecht, der Charakter des Sarastros kommt uns hier vergleichend in den Sinn. Und jenes Gütliche, welches sich eben auch im Gurnemanz widergespiegelt, jene Weisheit, Geduld und Weitsicht findet sich dann auch in Herrn Seligs Stimme wieder. Selbst als Einsiedler im Wald verliert er keine Hoffnung, bleibt seinem Glauben treu und weiß mit dem Auftreten Parsifals, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, die Gralsritterschaft wieder zu neuer Größe zu führen. Trotz eines Kapuzenpullovers als Kostüm gelingt es Franz-Josef Selig hier die nötige Seniorität und charismatische Strahlkraft auf die Bühne zu bringen, nach der diese Rolle verlangt. Gesanglich ist sein Bass ebenfalls von wunderbar voluminös, raumfüllend und selbst bei den wenigen zu lauten musikalischen Einsätzen gut zu verstehen. Eine vortreffliche Besetzung für diese Rolle, bravo Herr Selig, die Aufgabe, Parsifal zu seinem Geschick und das Publikum durch die Geschichte zu leiten, haben sie bravourös erfüllt!

Ebenso bravourös fängt Michael Nagy den unsteten, auf sein Leiden fixierten Charakter des Amfortas ein. Wahrhaft seines Amtes unwürdig, sich mehr und mehr weigernd den Gral zu enthüllen, ein in Selbstmitleid ertrinkender, überforderter Gralskönig, der nur durch die Verordnung seines greisen Vaters in dieses Amt gekommen ist. Ein Nepo-Kid würde man auf Neudeutsch sagen. Man ist entsetzt über diesen Amfortas, fast schon angewidert. Seine Weinerlichkeit und seine Selbstsucht lassen uns den Kopf schütteln – eine ganz fabelhafte Charakterzeichnung durch Herrn Nagy. Gewissermaßen wird die Rolle an diesem Abend auch als Counterpart zu Gurnemanz gezeigt: Anstatt sich auf das große Ganze zu konzentrieren, schaut dieser Amfortas eben nur auf sich selbst, geniesst zwar alle Privilegien als König, ist jedoch nicht bereit die damit einhergehenden Pflichten zu erfüllen. Parallelen zu heutigen Themen tun sich auf, leider werden diese nicht durch die Inszenierung aufgegriffen, die Konzeption des Amfortas bleibt in der Regie fast farblos. Umso bewundernswerter ist die Leistung Herrn Nagys, diesen Charakter zum Leben zu erwecken. Wir sind froh, daß er am 3. Akt abgesetzt wird, denn es ist nahezu entsetzlich, ihm beim Verstreuen der Asche seines Vaters, welche er in einer Urne stets bei sich trägt, zuzuschauen. Die Urne ersetzt den Gral, ein Symbol des Todes, statt dem Symbol des ewigen Lebens. Dass die Urne dabei die Legitimation seiner Herrschaft ist, arbeitet Herr Nagy ebenso hervor, wie die Verzweiflung die die Wurzel seines Handelns ist. Dieser Amfortas ist so überfordert mit seinen Pflichten, daß er gar lieber sterben will. Bravo Michael Nagy, eine tadellose Leistung auch hier, ein exzellenter Amfortas!

Derek Welton hat eine eigentlich undankbare Rolle als Klingsor: Da diese ohnehin auf den zweiten Akt begrenzt und auch sonst eher wortkarg konzipiert ist, bleibt nur wenig Raum, hier den gefallenen Engel umzusetzen, der Klingsor ist. Sich selbst entmannt habend, um dem Keuschheitsgelübde der Gralsgemeinschaft entsprechen zu können, konnte diese seine Erwartungen nicht erfüllen, woraufhin er sich verbittert abwandte und seine eigene Gemeinschaft gründete. Das bringt eigentlich ein wunderbares Potential für eine ebenso tiefgehende Charakterzeichnung, doch lässt die Inszenierung dieser nur viel zu wenig Platz. Klingsor kommt hier als Manager eines Magazins daher, im zeitgenössischen Slim-Fit Anzug mit braunen Schuhen und man fühlt sich mehr an den provinziellen Pseudo-Chic von mittlerweile gescheiterten Politikern erinnert, denn an einen durchtriebenen Gegenspieler, einen Satan in Menschenform. Dass eine solche Figur Frauen beherrschen soll, wirkt wenig glaubwürdig, schon gar nicht die widerspenstige und unruhige Kundry. Das ist einerseits bedauerlich, da Derek Walton gesanglich einwandfrei ist und auch darstellerisch versucht, das Maximum aus der Rolle herauszuholen. Das kann wahrscheinlich gar nicht gelingen, wenn nebenbei der Schauspieler, welcher den jungen Parsifal darstellen soll (eine reine Spielrolle, auch ohne jedweden Dialog) nackt oder in Unterhose durch die Redaktion hüpft. Hier ist klar von der Regie einiges verfehlt worden, dennoch hat Herr Walton gute Arbeit geleistet und einen trotzdem anständigen Klingsor vorlegen können. Da dieses unter widrigen Umständen geschah, auch hier ein verdientes Bravo!

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Derek Walton, Ekaterina Gubanova. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Im Zentrum des Parsifals steht nun eigentlich die Beziehung zwischen Parsifal und Kundry. Zwei unbedarfte Toren: Kundry lachte einst Jesus am Kreuzweg aus und ist seitdem in Ewigkeit dazu verdammt durch die Welt zu geistern. Im Gegensatz zu Parsifal ist sie sich ihrer Schuld jedoch bewusst und verbringt ihr nun zeitloses Dasein mit Buße. Sei es dadurch, daß sie versucht Mittel zur Linderung von Amfortas‘ Wunde zu finden oder auch sonst unbedingt den Gralsrittern dient – sofern sie von Klingsor nicht durch seine Macht über Frauen zu weiteren Freveltaten nötigt. Eine Figur also, die aus der Zeit gehoben trotz ihrer Buße genötigt wird, gegen das Gute zu handeln. Das ist freilich schon darstellerisch eine Herausforderung und auch gesanglich gehört die Kundry zweifelsohne zu den härtesten Partien im Mezzofach. Ekaterina Gubanova singt diese Rolle an diesem Abend erst zum zweiten Mal (ihr Rollendebut hatte sie am Gründonnerstag) und an dieser Stelle soll aus einem Interview zitiert werden, welches sie mit der Wiener Staatsoper führte: „Ich begann viel früher mit dem Studium [der Rolle] als sonst, las, ja verschlang täglich die Partitur und habe außerdem, was ich sonst selten mache, unzählige Einspielungen angehört […] Auf jeden Fall waren meine Vorbereitungen bei keiner anderen Rolle so intensiv. Das geschah aber nicht gezwungenermaßen, nicht aus irgendeiner Sorge oder Anspannung heraus, sondern bedingt durch eine immense Freude an der Partie, die sich unentwegt steigerte. Wissen Sie, der Gehalt dieser Musik scheint uferlos, die Tiefe bodenlos. Man kann sie geradezu endlos studieren und wird, kaum dass man die Noten in die Hand nimmt, unweigerlich in ihren Bann gezogen.“ (Quelle: https://www.wiener-staatsoper.at/die-staatsoper/medien/detail/news/den-geheimnissen-der-partitur-auf-der-spur/  )

Damit hat Frau Gubanova nicht nur den Punkt getroffen, was die Konzeption der Kundry durch Richard Wagner angeht. Zweifelsohne war sie in Ihrer Vorbereitung für die Rolle erfolgreich. Wir sehen auf der Bühne eine von Schuld zerrissene Frau, die gehetzt durch die Zeit irrt, verzweifelt auf der Suche nach Erlösung und Buße ist und diese doch nicht finden kann. „Dienen… Dienen“ will sie, um endlich Erlösung zu finden. Dies setzt sie auch gesanglich um, indem sie die Annahme Kundrys intoniert, niemals Erlösung finden zu können. So verzweifelt ist das Lachen, welches Frau Gubanova in einen klagenden, gequälten Schrei kippen lässt, so sehnsüchtig das Verlangen endlich Frieden zu finden. So sind dann auch die einzigen Worte, die Kundry im dritten Akt von sich gibt „Dienen…. Dienen“, nur noch ein letzter Schimmer der Hoffnung. Ausgerechnet in diesem Moment, in welchem die Hoffnung Kundrys schon fast verloren ist, tritt der gereifte Parsifal zurück ins Geschehen und bringt ihr die Erlösung als er in seiner ersten Amtshandlung als durch Gurnemanz gesalbter Gralskönig der Kundry die Taufe und damit die Erlösung endlich spendet! Ohne Zweifel ist Ekaterina Gubanova sehr tief in die Rolle der Kundry eingedrungen, beherrscht mit ihrem Mezzo die komplexen Facetten dieser Rolle in all ihrer Ambivalenz und meistert diese tadellos und brillant. Von harschem, ja fast schroffem, getriebenem Klang über Verzweiflung bis hin zu wortloser Erlösung – Wunderbar! Brava, bravissima Frau Gubanova, so soll eine Kundry sein!

Dass der Parsifal durch Klaus Florian Vogt meisterlich umgesetzt wird, muss eigentlich schon gar nicht mehr erwähnt werden. Die strahlende Klarheit, mit der Herr Vogt seine Rollen noch immer umsetzt und trotz zunehmenden Alters den jugendlichen Heldentenor auf die Bühne bringt, ist bewundernswert. Beim Parsifal unterstreicht sie den mystischen Charakter des Protagonisten noch mehr, eben den reinen Toren. Der Klang Herrn Vogts erzeugt zusätzlich zum Klang der Musik einen transzendentalen Effekt, der schließlich dann das ganze Stück aus der Zeit hebt. Gemeinsam mit der kongenialen Komposition Wagners wird dann tatsächlich die Musik zum Raum, in welchem die Zeit keine Rolle mehr spielt. Hier vergehen 5 Stunden wie im Flug und man kann sich an Herrn Vogts Stimme einfach nicht satt hören. Wenn es eine Erlösung gibt, dann klingt sie wahrscheinlich so wie im dritten Akt, wenn Parsifal singt: „Enthüllet den Gral! Öffnet den Schrein!“ und der Chor mit „Höchsten heiles Wunder! Erlösung dem Erlöser“ antwortet. Bravo, bravissimo Klaus Florian Vogt, das ist wunderschön, das ist mythisch, transzendental, das ist reiner Frieden!

Und das, obwohl das Dirigat eben nur zufriedenstellend und obwohl die Inszenierung weit hinter ihrem Potential zurückbleibt. Im 1. Akt noch annehmbar, setzt Kirill Serebrennikov die Gralsburg in ein russisches Gefängnis, was noch hätte funktionieren können. Doch sind die Gralsritter teils Gefangene, teils Aufseher. Und damit beginnt die Kette zahlreicher Unschlüssigkeiten: So verlässt Parsifal das Gefängnis am Ende des 1. Aktes. Soll dies Freigang sein, obwohl er einen Mithäftling, der als Albino wohl für den Schwan steht, bestialisch ermordet hat? Im 2. Akt wird Parsifal dann zum Fotomodel im Gothic Stil verwurstet, wir sehen akkordierte Photographien auf den Leinwänden oberhalb der Bühne, Kundry verführt bzw. vergewaltigt Parsifal auf dem Konferenztisch und Amfortas trägt ein leuchtendes Kreuz durch das Büro der Zeitschrift, welche den Namen „Schloss“ trägt. Schließlich treten noch drei (!) Mütter Parsifals auf.  Im 3. Akt finden wir uns dann im Gefängnis wieder, wohl ein ausrangierter Speisesaal, oder eine Baracke, oder beides. Hier sitzt Gurnemanz mit verwahrlosten Frauen gemeinsam zusammen, von Wildnis oder gar Einsiedelei keine Spur. Die Taufe Kundrys wird nicht dargestellt. Parsifal erlöst endlich die Gralsritter, indem er alle Zellentüren öffnet, obschon die Ritter ohnehin schon alle im Saal Platz genommen haben. Diese verlassen den Saal (und das Gefängnis?).

Diese Inszenierung verliert sich adversativ zur Steigerung der Musik Wagners. Scheidepunkt ist hier der Kuss zwischen Parsifal und Kundry im zweiten Akt, in dem sich auch im Konzept Wagners das Ringen zwischen Gut (Gral) und Böse (Klingsors Reich) zugunsten des Grals und der Erlösung entscheidet. Nur dass die Produktion eben gegenteiliges tut. Das ist insofern schade, da die Idee Serebrennikovs hätte aufgehen können. Insbesondere unterstreichen die Videoeinspielungen oberhalb der Bühne die Intention von Wagners Musik durchaus: Wir sehen Betrachtungen von Häftlingsgesichtern, Spaziergänge des jungen Parsifals durch leere Schneelandschaften, eine verlassene orthodoxe Kirche (Monsalvat am Ende von Amfortas‘ Herrschaft?). All diese eröffnen dem Zuhörer die Möglichkeit, den Raum mit dem Auge, aber auch in Gedanken zu verlassen. Hieran anzuknüpfen wäre wohl weitaus gewinnbringender gewesen, als sprunghafte Szenerien auf die Bühne zu werfen, die sich eben in großen teilen widersprechen und wesentliche Bestandteile des Librettos auslassen. Doch haben wir an der Staatsoper im Regime Roščić schon viel Schlimmeres erleben müssen und diese Inszenierung ist zumindest kein Störfaktor.

Im Zusammenhang mit den zahlreichen freien Plätzen und einem Publikum, welches nach dem 1 . Akt applaudiert OBWOHL im Beiblatt auf die übliche Praxis beim Parsifal hingewiesen wird bleibt der Abend doch in vielen Aspekten zu bedauern. So fehlt dann der Inszenierung letztlich der mystisch, transzendentale Charakter, den ein Bühnenweihefestspiel eben fordert. Es sind die exzellenten Leistungen von Frau Gubanova und Herrn Vogt, als auch den aufgebotenen Ensemblemitgliedern und des Chors welche den Abend erlebenswert machen, denn Wagners Musik ist einfach nicht zerstörbar, egal welche Inszenierung nun daherkommt. Deshalb bravi tutti an alle Sänger des Abends!

Es sei abschließend noch einmal die gesamte Passage aus Wagners„Religion und Kunst“ zitiert: „Man könnte sagen, dass da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche sie im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfasst, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.“
Wenn die Direktion der Staatsoper dies einmal verstünde und zur Umsetzung brächte, würde nicht nur im Parsifal in der Staatsoper endlich wieder die Zeit zum Raum und kein Zweifel mehr in des Herzens Grund erbeben.

E.A.L

 

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