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WIEN / Staatsoper; PARSIFAL

Elina Garancas Kundry glänzt - auch zwischen Schloss und Riegel

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Daniel Frank (Parisfal) und Elina Garanca (Kundry). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: PARSIFAL

10. Aufführung in dieser Inszenierung

28. März 2024

Von Manfred A. Schmid

In seiner vieldiskutierten Inszenierung des Bühnenweihfestspiels von Richard Wagner hat Kirill Serebrennikov seine eigene Leidensgeschichte in einem russischen Gefängnis und seine schlimmen Erfahrungen mit dem Terrorregime Vladimir Putins mit beträchtlichem Aufwand berührend und mit eindringlichen Bildern schockierend auf die Bühne gebracht. Es ist durchaus legitim und kann bereichernd sein, wenn ein Regisseur persönliche Anliegen in ein zu inszenierendes Stück einbringt, solange er dabei von der Vorlage ausgeht und sie ernstnimmt. Beim russischen Theatermann und Filmregisseur bestätigt sich allerdings – auch bei der zum dritten Mal besuchten Aufführung – der Verdacht, dass er Wagners Idee von der „Erlösung des Erlösers“ und den vielen Facetten dieses Erlösungsprojekts nicht zum Ausgangspunkt seiner überaus komplexen Arbeit macht, sondern dem Werk die künstlerisch eindrucksvolle Aufarbeitung seiner eigenen Leidensgeschichte als Handlungsfaden von außen geradezu gewaltsam aufoktroyiert hat. Vor allem aber vermisst man bei diesem Regisseur, von dem auch die Bühne und die Kostüme stammen, ein aufmerksames Ohr für die Musik. Wer darangeht zu ergründen, wo jeweils der Bezug zu Wagners Parsifal wohl liegen mag, verliert sich in der Fülle des Dargebotenen, wird von der schrecklichen Aussagenkraft der von Gewalt, Mord und Unterdrückung geprägten Bilder und Filmsequenzen sowie der brutalen Zustände im Gefängnis geradezu erschlagen, Die Folge davon: Man nimmt die magische Kraft der Karfreitagsmusik letztlich gar nicht mehr wahr, sondern nur noch als beiläufig untermalende Filmmusik zur Kenntnis. Und das bei einer Musik, von der Claude Debussy, generell kein Wagner-Fan, gesagt hat: „Man hört da Orchesterklänge, die einmalig sind und ungeahnt, edel und voller Kraft. Das ist eines der schönsten Klangdenkmäler, die zum unvergänglichen Ruhm der Musik errichtet worden sind.“  

Operngeher haben zwei Optionen: Bei Serebrennikovs Parsifal das Geschehen auf der Bühne beiläufig und verwundert zu Kenntnis zu nehmen und sich auf den wagnerischen Klangkosmos zu konzentrieren, oder umgekehrt sein Augenmerk auf den Gefängniskomplex zu richten und die Musik außen vor zu lassen. Außer man ist einer jener selbsternannten Multitasking-Zampanos und Allesversteher, die sich auch hier zu einem Bekenntnis ihrer rezeptorischen Überlegenheit mit Sicherheit zu Wort melden werden. Für die „normalen“ Opernfreunde aber, zu denen sich der Rezensent zählt, gilt folgender Rat: Nicht Serebrennikovs Theater primär im Auge zu behalten und mehr der Musik seine Ohren zuzuwenden. Die Inszenierung ist großes Kino, gewiss, und angesichts der aktuellen Erschütterung, die Nawalnys Tod ausgelöst hat, durchaus auch erschreckend aktuell. Aber die Musik in dieser Besetzung überstrahlt, wenn man genau hinhört, alles und löst das ein, was in diesem Bühennweihfestspiel angekündigt wird: die Erlösung durch die Macht und den Zauber der Klänge.

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Elina Garanca (Kundry)

Geboten wird großes Musiktheater! Das beginnt mit dem blendend disponierten Orchester unter der Leitung von Alexander Soddy, der von Mal zu Mal besser wird und längst zu einem unverzichtbaren, vielseitigen Gastdirigenten geworden ist, den man gar nicht oft genug sehen und vor allem hören kann. Wie Philippe Jordan bei der Premiere, liegt er beim ersten Aufzug mit eindreiviertel Stunden ziemlich genau bei der Dauer, die von Dirigent Hermann Levi bei den von Wagner überwachten Proben 1882 penibel überliefert worden ist. Aber Erbsenzählerei ist hier ohnehin nicht von Belang, vielmehr geht es um die Wirkung und die Mittel, die dafür eingesetzt werden. Und da erweist sich Soddy als eine sichere Bank, setzt den Klangzauber dynamisch um und legt damit die farbenreiche Grundlage, die das ausgewogene Gesangsensemble und den Chor zu Höchstleistungen inspiriert.

Der sensationell glänzende Mittelpunkt des Abends ist Elina Garanca, die als Kundry im zweiten Aufzug auf Klingsors Schloss – bei Serebrennikov die Redaktion eines Magazins namens „Schloss“ –  darstellerisch und gesanglich einfach grandios ist. Die lettische Sopranistin war schon bei der Premiere überzeugend, hat sich aber in der Intensität ihrer Auslotung dieser zwiespältigen, rätselhaften Figur, Verführerin und Retterin, Höllenrose und helfender Engel in einem, noch gesteigert. Im Gefängnis, wo sie als Reporterin Interviews und Fotos für einen Bericht machen soll, kommt sie todmüde an, singt von „Schlafen, nichts als Schlafen“, ist aber doch sehr flott mit Kamera und Zigaretten unterwegs: Nur eine der vielen Ungereimtheiten in diesem Regiekonzept. Aber Garancas souveränes Auftreten und ihre außergewöhnliche Stimme übertönen diese Mängel bei Weitem. Die Wandlung von der Schlafwandlerin im ersten, über die erotische Verführerin im zeiten, bis hin zur ergebenen Dienerin im dritten Aufzug nimmt man ihr gerne ab. Werner van Mechelen hat es da schwer, sich als Klingsor, ihr Chefredakteur und Auftraggeber, der in dieser Inszenierung von Kundry am Schluss des Aufzugs erschossen wird, zu hehaupten. Der belgische Bass macht bei seinem Hausdebüt aber einen durchaus passablen Eindruck, was auch für Titurel, dem Vater des Amfortas, gilt. Wolfgang Bankl ist ein verlässliches Ensemblemitglied und immer bereit, auch nicht so große Rollen – er war immerhin auch schon als Klingsor erfolgreich im Einsatz – einfühlsam zu gestalten.

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Günther Groiss (Gurnemanz) und Daniel Frank (Parsifal)

Günther Groissböck ist ein um Ruhe und Ordnung bemühter Gurnemanz, eine Art Blockwart in der Hierarchie der Strafgefangenen, der zugleich aber auch als Tätowierer (!) von den Mithäftlingen gerne aufgesucht wird. Eine respektgebietende Person und als langjähriger Insasse der berufene Chronist, der die Vorgeschichte der tragischen Lage, in die sich der Oberkapo Amfortas (als leidender, verzweifelter Sünder Michael Nagy) vor Jahren durch einen Fehltritt hineinmanövriert hat, höchst dramatisch und anteilnehmend schildert. Der profunde Bass zeigt sich aber auch besorgt über die ungewisse Zukunft der Eingekerkerten, gibt die Hoffnung auf Erlösung – bei Serebrennikov logischerweise auf die Befreiung aus dem Gefängnis reduziert – nie auf.

Daniel Frank, eben erst ein solider Bacchus in Ariadne auf Naxos, wird bei Serbrennikov als Parsifal stets von einem Schauspieler begleitet, der den jungen Parsifal verkörpert (Nikolay Sidorenko) und mit dem er auf ganz verschiedene Art und Weise interagiert, manchmal beobachtend, dann wieder in seine – meist törichten – Handlungen eingreifend oder ihn einfach nur staunend oder erschrocken zur Kenntnis nehmend. Dieser Parsifal blickt zurück in seine Vergangenheit und lässt die Ereignisse Revue passieren, versucht sie aber auch zu korrigieren oder vor Verfehlungen zu warnen. Franks heller, leicht metallischer Tenor ist das einzig Heldische, das die Regie im übriglässt. Ansonsten ist nichts Heldisches an ihm. Als er im dritten Aufzug das Gefängnis betritt, kommt er nicht, sei angekündigt, in glänzender Kleidung, sondern in einem schwarzen Anorak mit Kapuze und mit einem unscheinbaren Stecken in der Hand (der heilige Speer!) und setzt sich auf die Ecke eines Tisches. Keiner erkennt ihn. Also geht er wieder hinaus und kommt erneut herein, setzt sich hin, zündet sich eine Zigarette an und zieht nun die Kapuze vom Kopf. Erst jetzt wird er von Gurnemanz erkannt. Kein Wunder, dass sich bei solchen Manövern die Handlung etwas in die Länge zieht und die Vorstellung dann statt fünf Stunden doch um eine gute Viertelstunde länger dauern wird.

Die vielen weiteren Rollen der Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen sind aus dem Ensemble und dem Opernstudio gut bis außerordentlich gut besetzt. Das Publikum dankt mit starkem Applaus und vielen Bravorufen, die zu Recht vor allem der großartigen Garanca gelten, aber – neben dem eindrucksvollen Groissböck – auch das famose Orchester und den Dirigenten Soddy miteinbeziehen. Die Musik triumphiert über eine problematisch bleibende Inszenierung: Was für eine Erlösung!

 

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