WIEN / Staatsoper: „PALESTRINA“ – 12.12.2024
Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Hans Pfitzners Oper „Palestrina“ war jahrzehntelang ein fixer Bestandteil des Wiener Opernrepertoires. Nun stand dieses Werk jedoch mehr als 23 Jahre nicht mehr auf dem Spielplan der Staatsoper. Wir haben es wohl nur Christian Thielemann zu verdanken, dass die Inszenierung von Herbert Wernicke nach so langer Zeit noch einmal aus dem Depot geholt wurde. Wie sehr Christian Thielemann diese Oper liebt, hat er in einer ausgezeichneten Einführungsmatinee ausführlich dargelegt, die man übrigens noch unter diesem Link nachsehen kann: https://www.youtube.com/watch?v=T9s5maxbEi0
Der 1869 in Moskau geborene Komponist Hans Pfitzner, Sohn eines Geigers im Moskauer Opernorchester, fühlte sich als „deutscher Meister“ und diese Lebenseinstellung floss auch in sein Hauptwerk ein. Für die musikalische Legende in drei Akten „Palestrina“ verfasste er selbst das Textbuch, nachdem die Suche nach einem geeigneten Librettisten fehlgeschlagen war. Pfitzner studierte sorgfältig historische Quellen über das Konzil von Trient (1545-1563) sowie über das Leben des 1594 verstorbenen Komponisten Giovanni Pierluigi da Palestrina, ging aber mit dem Material sehr frei um. Der historische Palestrina war in Wirklichkeit nicht der „Retter der Musik“ und seine berühmte „Missa Papae Marcelli“, die er am Ende des 1. Akts der Oper „in nur einer Nacht“ komponiert, hat mit dem Konzil von Trient nichts zu tun. Auch die Musik Palestrinas hat Pfitzner nicht interessiert. Er ging ihm nur darum den Bewahrer einer großen Kunstform auf die Bühne zu bringen, ein einsames Genie, das sich in seine eigene innere Welt zurückzieht. Und so wie sich Richard Wagner mit vielen Hauptfiguren seiner Opern identifizierte, so hat wohl auch Hans Pfitzner hier sich selbst verewigen wollen. Er, der sich gegen die „Futuristengefahr“ der musikalischen Moderne als „letzter Romantiker“ und Bewahrer der tonalen Musik empfand. Hans Pfitzner litt lebenslänglich unter der Popularität seines Konkurrenten Richard Strauss. Als Pfitzner einmal Richard Strauss gegenüber klagte: „Wenn Sie nur wüssten, wie viel Mühe und Anstrengung in meine Oper Palestrina geflossen ist, dann würden Sie anders reden!“, entgegnete dieser: „Ich weiß nicht, warum Sie überhaupt komponieren, wenn es Ihnen augenscheinlich so schwerfällt.“ Als beide Komponisten im Jahr 1949 starben, ging wohl wirklich eine große Ära der Musikgeschichte zu Ende.
Wenn auch Hans Pfitzner mit dieser Oper nicht gerade die breiten Massen des Opernpublikums anspricht, so hält eine treue Anhängerschaft diesem 1917 in München unter Bruno Walter uraufgeführten Meisterwerk die Treue. In den Vorstellungen dieser Aufführungsserie sah ich so viele Stehplatzbekanntschaften aus meiner Jugendzeit, die schon seit Jahren nicht mehr bzw. kaum noch in die Oper gehen.
Wenn auch die Inszenierung von Herbert Wernicke aus dem Jahr 1999 nicht besonders gelungen ist und bereits anlässlich der Premiere scharf kritisiert wurde (so wird z.B. der Auftritt der alten Meister, der Engel und der verstorbenen Lucrezia von Borromeo inszeniert, was der Handlung das Mysterium der künstlerischen Inspiration nimmt), so muss man doch froh sein, dass man sich nicht für eine Neuinszenierung entschieden hat, denn diese wäre wahrscheinlich noch viel schlechter ausgefallen.
Das Herzstück und der Motor dieser Aufführung ist natürlich der Mann am Pult, Christian Thielemann, der sich nach einer Operation mit Krücken ans Pult schleppt. Gemeinsam mit dem brillanten Orchester der Wiener Staatsoper gelang ihm eine klangschöne und raumfüllende Interpretation der Partitur. Thielemann forderte das Orchester zu einer Höchstleistung heraus, und dieses bewältigt seine Aufgabe bravourös, obwohl wahrscheinlich viele Orchestermusiker dieses Werk noch nie gespielt haben dürften – in 23 Jahren hat es doch einen Generationenwechsel im Orchester gegeben.
Die Oper erfordert 39 Solisten, Chor und großes Orchester und ist daher nur von größeren Opernhäusern zu stemmen. Aber die Wiener Staatsoper hat das immer geschafft – und schafft es noch heute.
Michael Spyres, Kathrin Zukowski. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Michael Spyres hat sich bereits bei seinem Rollendebüt würdig in die erste Reihe der Palestrina-Interpreten eingereiht. Mit seinem angenehmen Timbre, schöner Phrasierung, sicheren Höhen, hoher Wortdeutlichkeit und viel Ausdruck in Stimme und Darstellung ist er eine Idealbesetzung der Titelpartie.
Mit exzellenter Wortdeutlichkeit konnte auch Kathrin Zukowski punkten, die einen hellen, reinen Sopran besitzt und als berührender Ighino einen glänzenden Einstand an der Wiener Staatsoper zu verzeichnen hatte. Patricia Nolz stand ihr da mit schönem Timbre als Silla in Nichts nach.
Wolfgang Koch war als Borromeo nach einer Erkrankung in der Probenzeit leider noch immer hörbar beeinträchtigt.
Ganz exzellent (in Stimme und Spiel) war Michael Laurenz als intriganter Novagerio. Damit konnte er an seinen Riesenerfolg als Loge vor wenigen Monaten mühelos anschließen.
Michael Nagy beeindruckt als Morone vor allem durch die Schönheit seiner Stimme, die allerdings im Volumen begrenzt zu sein scheint. Auf der Galerie klingt er sehr, sehr leise. An Vorgänger wie Eberhard Waechter oder Bernd Weikl reicht er (noch) nicht heran.
Aus der großen Schar den vielen anderen Solisten stachen noch Wolfgang Bankl als Madruscht, Michael Kraus als Kardinal von Lothringen, Hiroshi Amako als Abdisu, Adrian Eröd als Graf Luna, Matthäus Schmidlechner als Bischof von Budoja, Clemens Unterreiner als Ercole Severolus und Monika Bohinec als Lukrezia hervor.
Und ganz am Schluss kommt auch noch der Papst – zwar nicht auf die Bühne, aber immerhin in die rechte Proszeniumsloge. Günther Groissböck gelang ein würdevoller Auftritt als Papst Pius IV. mit beeindruckender Tiefe.
Es bleibt nur zu hoffen, dass man jetzt nicht wieder 23 Jahre lang warten muss, bis Hans Pfitzners „Palestrina“ wieder auf den Spielplan der Staatsoper gesetzt wird. Es gäbe natürlich auch noch die anderen Opern von Hans Pfitzner zu entdecken: „Der arme Heinrich“ (zuletzt 1915 an der Wiener Hofoper gespielt), „Das Herz“ (zuletzt 1932 an der Wiener Staatsoper gespielt) oder „Die Rose vom Liebesgarten“ (zuletzt 1929 an der Wiener Staatsoper gespielt). (Als ich im Jahr 1999 „Die Rose vom Liebesgarten“ unter der musikalischen Leitung von Franz Welser-Möst am Opernhaus Zürich gesehen habe, saß übrigens Christian Thielemann in der Reihe hinter mir.) Und dann gibt es natürlich noch die Weihnachtsoper „Das Christelflein“, die zuletzt 1953 auf dem Spielplan der Staatsoper stand und ein ideales Stück für die Volksoper wäre. Aber dort spielt man ja fast nur noch Opern, die ohnehin im Repertoire der Staatsoper vorhanden sind, wie „Carmen“ oder „Le nozze di Figaro“. Ein Armutszeugnis.
Langanhaltender Jubel. Opernfans sollten sich beeilen, es gibt nur noch eine Reprise am 16. Dezember. Nicht versäumen!
Walter Nowotny