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WIEN / Staatsoper: OTELLO

Jonas Kaufmann: Rollendebüt von großer gesanglicher und darstellerischer Intesität

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Rachel Wiilis-Sörensen (Desdemona), Jonas Kaufmann (Otello). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: OTELLO

11. Aufführung in dieser Inszenierung

25. Oktober 2023

Von Manfred A. Schmid

2017, als er wegen seiner vielen Absagen noch als problematisch galt, sang er zum ersten Mal den aus Eifersucht zum Mörder werdenden Otello in Verdis gleichnamiger Oper. Dem erfreulichen Rollendebüt in London folgten weitere Engagements, die 2020 präsentierte Otello-DVD festigte seinen Ruf als Nachfolger von Placido Domingo, der diese Figur in den letzten Jahrzehnten in mehr als 200 Auftritten geprägt hat wie kein anderer. Relativ spät ist Jonas Kaufmann endlich auch in Wien in dieser Rolle zu erleben: In der Inszenierung von Adrian Noble und in den Dunkelkammern und den schwarzen Kostümen von Dick Bird. Der Mehrwert, den die im 15. Jahrhundert spielende Oper durch die Verlegung in die Zeit um 1900 bekommen soll, bleibt wohl für immer ein Rätsel, während die Nachteile durch abstruse Ungereimtheiten in jeder Aufführung bloßgestellt werden. Immerhin ist die Produktion aus 2019 um einiges besser als die durch sie abgelöste, ärgerliche Boxring-Inszenierung von Christine Mielitz. Hervorragende Besetzungen können zudem inszenatorische Mängel zum Teil vergessen machen, Was auch diesmal der Fall ist. Wieder einmal heißt es: die Inszenierung, naja, aber die Musik und der Gesang! Zum Trost: Umgekehrt wäre es schlimmer: Die Musik, naja, aber die Inszenierung!

Was seine Stimme im Vergleich zu Domingo vermissen lässt, die imponierend Stärke, macht Jonas Kaufmann durch intensive Rollengestaltung weitgehend wett. Dabei kommt ihm zugute, dass er seine stimmlichen und darstellerischen Fähigkeiten bestes einzusetzen versteht und um die Grenzen seiner Möglichkeiten gut Bescheid weiß. Das ist wohl auch der Grund, warum er so gut wie jede Rolle, die er übernimmt, neu definiert, oft sogar geradezu neu erfindet. Bei seinem Otello ist es dessen Verletzlichkeit, verbunden mit Unsicherheit und gewissen latenten, noch immer nicht überwundenen Minderwertigkeitsgefühlen, die er psychologisch sorgfältig herausarbeitet. Dadurch wird verständlich, warum er sich von Jago, der seine Schwächen durchschaut hat und geschickt ausnützt, so leicht manipulieren lässt. Und so wird aus dem erfolgreichen Krieger flugs der schwache, von Seelenqualen heimgesuchte, verunsicherte Mann, der noch immer nicht glauben kann, dass ihm der Sprung vom Außenseiter an die Spitze gelungen ist, wozu auch seine Verheiratung mit Desdemona zählt. Das innige Duett mit ihr im ersten Akt ist auch als Zuflucht in eine vermeintliche sichere Beziehung zu deuten. Umso vernichtender daher der von Jago geschürte Verdacht ihrer Untreue, der dann zu einer vor den Augen der Öffentlichkeit stattfindenden Eklat führt, der sogar in physischen Angriffen auf Desdemona ausartet und die spätere Ermordung aus blinder Eifersucht vorbereitend ankündigt. Die nuancierte Phrasierungskunst Kaufmanns zeigt sich vor allem im zart gesungenen „Dio mi potevi“ sowie in „Dio ti gioconda“, wo dunkle Zärtlichkeit allmählich in Wut und Raserei umschlägt. Auch das „Anima mia“ im dritten Akt wird von Kaufmann mit einem Legato gesungen, das bei aller Sanftheit schon dem Keim des Verderbens und des Ausbruchs von roher Gewalt in sich trägt.

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Jonas Kaufmann (Otelo), Ludovic Tézier (Jago)

In Ludovic Téziers hat Kaufmann einen gesanglich und darstellerisch ebenbürtigen Kollegen an seiner Seite. Téziers Jago ist, anders als sein erst jüngst wieder einmal zu erlebender Scarpia, kein Fiesling, der seine Skrupellosigkeit hinter elegantem Auftreten und eleganter Stimme verbirgt, sondern dieser Jago äußert seine Bösartigkeit und Schlechtigkeit auch im Gesang. Wenn er seine nihilistische Gesinnung in enem Selbstbekenntnis schonungslos offenbart und sich als Ausgeburt der Hölle zu erkennen gibt, wird Téziers nobler Bariton plötzlich brutal und schroff. Nur wenn er mit Otello, den er ins Verderben schicken will, was ihm auch gelingt, zu tun hat, verstellt er sich und geht bei der Umsetzung seines perfiden Plans raffiniert und wohldosiert vor. Ganz vorsichtig und wie nebenbei lässt er die ersten Bemerkungen fallen, die nach und nach Otello hellhörig machen und auf eine falsche Spur locken, die in die finale Katastrophe führen wird. Eine starke Performance.

Rachel Willis-Sörensen, die wie Tézier bereits 2021 in dieser Wiener Inszenierung erstmals zum Einsatz kam, verfügt über einen klaren Spinto-Sopran, der lyrisch ist und mühelos in die Höhe steigt, sich auch in der Tiefe bestens bewährt und zu dramatischer Intensität fähig ist. Damit zeigt sich für die Herausforderungen, die die Rolle der Desdemona mit sich bringt, bestens gerüstet. Sie hat ihre großen Momente im vierten Akt, wo sie sich in Todesangst an das Lied von der Weide aus ihrer Kindheit erinnert und das „Ave Maria“ betet. Unschuldsvoll und in Vorahnung eines unbegreiflichen, grausamen Schicksals.

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Ludovic Tézier (Jago), Jonas Kaufmann (Otelo), Bekhzod Davronov (Cassio)

 Szilvia Vöros, vielseitig einsetzbares Ensemblemitglied, macht bei ihrem Rollendebüt als Emilia, die von ihrem Ehemann Jago als Instrument in seiner Intrige missbraucht wird, einen ebenso fabelhaften Eindruck wie ihr Kollege Ilja Kazakov, der mit seinem profunden Bass dem Auftritt des venezianischen Gesandten Lodovico Autorität und Würde verleiht.

Der aus Usbekistan stammende Sänger Bekhzod Davronov gibt ein starkes Hausdebüt in der Rolle des Cassio. In dieser Rolle hat vor rund 20 Jahren auch Jonas Kaufmann seine ersten Auftritte in Verdis Otelo absolviert. Mal sehen, was aus diesen nicht allzu großen, aber wunderbar eleganten und in den höheren Registern stimmsicheren, ausdrucksstarken Tenor werden wird. Davronov hat jedenfalls das Zeug dazu, Karriere zu machen.

Ted Black aus dem Opernstudio macht als Roderigo auf seinen feinen Tenor aufmerksam, der brasilianische Bariton Leonardo Neiva, ein Neuzugang zum Ensemble der Staatsoper, hat sich nach Il tabarro, wo er jüngst als Michele sein Debüt gefeiert hat, nun auch als Montano auf der Bühne tadellos bewährt.

Nicht hoch genug zu schätzen ist das Staatsopernorchester unter der Leitung von Alexander Soddy, der sich nicht scheut, die Klangmassen beim anfänglichen Sturm zu entfesseln und  auch sonst dort, wo es angebracht ist,  in aufpeitschenden Crescendi krachen zu lassen, aber so, dass der extra verstärkte, stimmgewaltige Chor nicht zugedeckt wird. Soddys stets wohldosierte Dynamik, die auch in den verhaltenen lyrischen Passagen nuancenreich und transparent bleibt, kommt dann auch den Sängerinnen und Sängern zu Gute.

Entfesselt ist auch der Applaus im ausverkauften Haus, auch hier nuancenreich dosiert: Kaufmann, Tézier, Willis-Sörensen, Soddy …

 

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