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WIEN /Staatsoper: OTELLO von Giuseppe Verdi

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Ludovic Tézier (Jago) und Gregory Kunde (Otello). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: OTELLO von Giuseppe Verdi

9. Aufführung in dieser Inszenierung

22. September 2021

Von Manfred A. Schmid

Dieser Otello mit insgesamt sieben fast durchwegs eindrucksvollen Rollendebüts hätte der ideale glanzvolle Auftakt der Herbstsaison sein können, den so viele vermisst haben. Vor allem die drei zentralen Figuren des Eifersuchtsdramas sind mit Gregory Kunde, Ludovic Tézier und Rachel Willis-Sörensen hervorragend besetzt und erweisen sich gut aufeinander abgestimmt, was auf ausreichende Probenarbeit schließen lässt. Die unaufgeregte, zuweilen allzu brav anmutende Inszenierung Adrian Nobles aus dem Jahr 2019 ermöglicht immerhin einen stets nachvollziehbaren Handlungsverlauf, auch wenn ihm nicht viel mehr eingefallen ist als die Verlegung der Handlung an den Beginn des 20. Jahrhunderts. Von der damit beschworenen Atmosphäre des heraufziehenden Kolonialismus – die venezianische Besatzungsmacht trifft in den Massenszenen auf die zypriotische Bevölkerung – ist wenig zu merken, vor allem aber trägt dieser zeitgeschichtliche Hintergrund wenig zum Verständnis der Handlung bei. Besser gelungen ist Noble und seinem Team die psychologische Ausleuchtung der Beziehungen zwischen den Akteuren. Dass dabei auf blackfacing verzichtet wird, ist heutzutage durchaus verständlich und im Sinne von political correctness auch unausweichlich. Dennoch mutet es merkwürdig an, wenn in den Dialogen als Grund und Rechtfertigung für gegen Otello ausgeführte Handlungen immer wieder auf seine Herkunft als „Mohr“ verwiesen wird und einmal sogar von seinen „wülstigen Lippen“ die Rede ist. Die Tragödie Otellos ist eben nicht nur im Karriereneid und in der Rivalität im Ringen um Desdemonas Gunst begründet, sondern hat vor allem auch rassistische Gründe und betrifft auch kulturelle Differenzen und daraus resultierende Vorurteile und Typisierungen sowie self fulfilling prophecies.  Dafür, wie sich dieser Umstand ohne blackfacing kompensieren ließe, hat Noble jedenfalls noch kein Rezept gefunden.

Der amerikanische Tenor Gregory Kunde, der an der Staatsoper schon 29 Mal aufgetreten ist, vor allem im italienischen Fach und zuletzt als Radames, wirkt bei seinem Wiener Rollendebüt als Otello zunächst in der Höhe etwas angestrengt, auch die Registerwechsel wollen nicht klaglos klappen. Doch diese Anfangsschwierigkeiten werden rasch überwunden, seine kraftvolle, modulationsfähige und auch im Pianissimo noch immer sehr tragfähige Tenorstimme setzt sich mühelos durch. Imponierend sein machtvolles „Esultate!“ Berührend, wie er selbst an seiner Eifersucht leidet, sie schleunigst loswerden möchte und so gerne an Desdemonas Unschuld glauben würde. Kunde singt mit klarer Diktion und wirkt in jeder Note authentisch.

Ludovic Tézier, derzeit an der Wiener Staatsoper geradezu allgegenwärtig, lässt seinem mächtigen Scarpia mit seinem Rollendebüt als Jago nunmehr einen weiteren Bösewicht folgen. Sein wohlklingender, farbengesättigter Bariton und seine schauspielerische Fähigkeit verleihen dem Intriganten übelster Sorte, der seine Opfer gekonnt und trickreich zu manipulieren versteht, eine dämonische Aura. Genüsslich erfreut sich Téziers Jago seiner üblen Schachzüge.

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Gregory Kunde (Otello) und Rachel Willis-Sörensen (Desdemona)

Die amerikanische Sopranistin Rachel Willis-Sörensen, 2011 Hans Gabor Belvedere Wettbewerb- und Operalia 2014-Gewinnerin, ist im Haus am Ring bisher als Gräfin Almaviva in Erscheinung getreten und debütiert nun als Desdemona. Vor allem im letzten Akt hinterlässt sie einen intensiven Eindruck. Wie sie hier empfindsam, von Todesahnung geprägt und ihrer Schuldlosigkeit bewusst, „Das Lied von der Weide“ und das berückende „Ave Maria“ gestaltet, ist beeindruckend. Man ahnt förmlich, wie gerne das Publikum zwischendurch mit Applaus reagieren würde, doch die Durchkomponiertheit des Werks erlaubt das nicht. Vor allem aber sorgt auch der umsichtige Bertrand de Billy am Pult des ausgezeichnet disponierten Staatsopernorchesters dafür, dass der Spannungsbogen auch in diesen von Zartheit und Anmut geprägten Passagen bis zur letzten Note erhalten bleibt und so jeden in seinen Bann zieht. Dass man es auch ganz schön krachen lassen kann, hat sich zuvor im hektisch tosenden Beginn des 1. Akts gezeigt, der auch den Staatsopernchor Einiges abverlangte.

Freddie De Tommaso, seit dem Vorjahr Ensemblemitglied und bisher als Pinkerton und Macduff aufgefallen, verleiht als Rollendebütant der Partie des Cassio Lebendigkeit und Frische. Stimmlich und gesangstechnisch ist bei diesem jungen Tenor noch einiges zu tun, um den hohen Erwartungen entsprechen zu können. Fortschritte aber sind erkennbar.

Souverän und makellos wie immer Monika Bohinec, die in dieser Rolle bereits Erfahrung hat und diese in ihrer Gestaltung gekonnt einbezieht.

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Monika Bohinec (Emilia) und Ludovic Tézier (Jago)

In kleineren Rollen feiern ein weiteres Ensemblemitglied, Carlos Osuna als Roderigo, sowie ein Mitglied des Opernstudios, Artyom Wasnetsov als Ludovico, erfolgreiche Rollendebüts. Zu erwähnen sind auch Attila Mokus als Montano und Kathatrina Billerhart als Bianca sowie – besonders reizend in Matrosengewändern beim Ständchen für Desdemona – der Kinderchor der Staatsoper.

Im besser als sonst gefüllten Opernhaus wird der Abend mit enthusiastischem Beifall quittiert, der auch etwas länger anhält als zuletzt üblich. Von einem Haus mit Reputation erwartet man sich Repertoire-Aufführungen mit besetzungsmäßigem Niveau. Das ist hier der Fall. Dass bereits eine Viertelstunde vor Beginn im Foyer keine Programmzettel mehr zu haben sind, wird hoffentlich ein einmaliger Ausrutscher bleiben.

 

 

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