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WIEN/ Staatsoper: OTELLO von Giuseppe Verdi – Vorstellung 29.9.

WIEN / Staatsoper: OTELLO von Giuseppe Verdi am 29.9.2021

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Gregory Kunde, Rachel Willis Sörensen. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Die Premiere von Verdis OTELLO an der Wiener Staatsoper im Jahr 2019 war ein völliges Desaster, nicht nur musikalisch sondern auch szenisch. Der damalige Direktor Dominique Meyer hatte kein gutes Händchen bei der Auswahl geeigneter Regisseure (und manchmal auch – wie in diesem Fall – bei der Premierenbesetzung). Regisseur Adrian Noble verlegte die Handlung in die Zeit des Kolonialismus, etwa zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Warum, das weiß wohl nur der Regisseur selbst. Für das Verständnis der Handlung brachte das überhaupt nichts, im Gegenteil. Lt. Boito und Verdi spielt die Oper Ende des 15. Jahrhunderts auf Zypern, das damals unter Venezianischer Herrschaft stand. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand Zypern jedoch unter Britischer Herrschaft. Aber warum kommt dann im 3. Akt ein Gesandter in Auftrag des Dogen (den es damals gar nicht mehr gab; der letzte Doge von Venedig dankte 1797 ab, nachdem er die Stadt an Napoleon übergeben hatte) und des Senats von Venedig um die Ablöse und die Rückkehr des Feldherrn Otello nach Venedig anzuordnen? Die zeitliche Verlegung der Handlung bringt also nicht mehr Licht in die Handlung sondern viel mehr Unlogik.

Düster ist es in dieser Inszenierung, auf der Insel Zypern scheint nach Ansicht des Regisseurs wohl nie die Sonne. Alles ist in dieser Inszenierung schwarz, die Kostüme der Herren, die Kostüme der Damen, nur nicht der Titelheld, der infolge völlig falsch verstandener „Political Correctness“ natürlich weiß sein muss. Dass das Libretto ausdrücklich von einem Mohren spricht, wird vom Regisseur völlig ignoriert. Dabei kann man den Minderwertigkeitskomplex, den Charakter und das Handeln, ja sogar die Eifersucht Otellos nur verstehen, wenn man bedenkt, dass sich da ein schwarzhäutiger Außenseiter in einer weißen Herrenmenschengesellschaft behaupten muss. Otello darf also kein Mohr sein. Blöd nur, dass Arrigo Boito das im Libretto ausdrücklich erwähnt. (Jago im ersten Akt: „M’ascolta, benchè finga d’amarlo, odio quel Moro.“ … „tal fu il voler d’Otello, ed io rimango di sua Moresca Signoria l’alfiere!” … “Ma com’è ver che tu Rodrigo sei, così è pur vero, che se il Moro io fossi vedermi non vorrei d’attorno un Jago.” usw.) Also wenn man schon einen derartigen dramaturgischen Eingriff in eine Oper des 19. Jahrhunderts vornimmt, dann bitte ordentlich. Es wird sich doch sicher ein frustrierter Dramaturg finden, der sich für einen viel besseren Textdichter als Arrigo Boito hält; der könnte ja die entsprechenden (oder besser gesagt, die nicht entsprechenden) Passagen neu dichten. Oder noch besser: man übt Druck auf den Dirigenten aus, damit sämtliche musikalischen Passagen, in denen Otello als Mohr bezeichnet wird, überhaupt gleich gestrichen werden. Ob die musikalische Struktur darunter leidet, ist ja völlig unerheblich. Hauptsache, wir sind politisch korrekt. Und wenn wir schon bei „Political Correctness“ sind, warum wird dann nicht schon längst Puccinis Oper MADAMA BUTTERFLY von den Spielplänen verbannt, geht es doch hier u.a. um Sex mit einer Minderjährigen. Und dann könnte man in einem Aufwaschen auch noch gleich die SALOME von Richard Strauss von den Spielplänen eliminieren, denn auch die Tochter der Herodias ist in dem Stück minderjährig, wenn ich mich nicht irre. Also beendet endlich diese scheinheiligen Aktionen auf den Theater- und Opernbühnen im Namen von „Political Correctness“!

Doch zurück zu der 11. Aufführung in dieser Inszenierung (die aussieht, als wäre sie bereits die 199. Aufführung). Was für eine Freude, dass Bertrand de Billy wieder an der Staatsoper arbeiten darf. Wir erinnern uns, dass es im Zuge der Proben für eine „Lohengrin“-Premiere zu einem Streit zwischen dem Dirigenten und dem damaligen Direktor Dominique Meyer gekommen ist. Letzterer hat dann dafür gesorgt, dass de Billy während seiner Amtszeit nicht mehr an der Staatsoper dirigieren durfte. Der Sturm, der zu Beginn des 1. Aktes in dieser Inszenierung auf der Bühne nicht stattfindet, im Orchester wird er zum Ereignis. De Billy hat für die jeweiligen Situationen das richtige Händchen, ob es für den lyrischen Beginn des 4. Aktes ist oder das Schwurduett im 2. Akt, das Trinkgelage im 1. Akt oder das große Ensemble im 3. Akt. Orchester und Chor der Wiener Staatsoper schienen sich unter seiner Führung wohl zu fühlen und präsentierten sich in Bestform.

Ein Ereignis war der Otello von Gregory Kunde. Wann haben wir in Wien zuletzt einen so strahlenden und höhensicheren Titelhelden erlebt? Schon lange nicht mehr. Der amerikanische Tenor kann bereits auf eine unglaubliche Karriere zurückblicken. Begonnen als Tenore di grazia und weltweit gesucht im Belcanto-Fach (nicht viele anderen Tenöre schafften das hohe f!) glänzte er viele Jahre lang in den schwierigsten Partien Rossinis, Bellinis und Donizettis. 1997 debütierte er an der Wiener Staatsoper als Arturo in Bellinis I PURITANI. Er ist einer der ganz seltenen Tenöre, die schließlich den Wechsel in das lirico spinto-Fach geschafft haben, und jetzt sorgt er sogar als Heldentenor für Furore. Schade, dass er sich (bis jetzt noch) nicht an Wagner herangewagt hat. Ich sah ihn bereits 2012 am Teatro La Fenice in Venedig als Otello (wenn ich nicht irre, war das damals sogar sein Rollendebüt). Kurz zuvor sang er noch den Otello von Rossini in Brüssel. Wahrscheinlich war er der erste Tenor der Musikgeschichte, der im selben Jahr sowohl Rossinis als auch Verdis Version des Otello singen konnte. Ich war bereits 2012 von seinem Otello beeindruckt. Aber was er nun in Wien geboten hat, war atemberaubend. Beginnend mit einem kraftvollen „Esultate!“, einem intensiven Schwurduett mit Jago und den enormen Wutausbrüchen im 3. Akt, aber auch wundervoll lyrisch im Liebesduett und im Sterben. So mancher prominente Tenor würde wohl seine Seele verkaufen, wenn er nur einmal in seinem Leben einen so großartigen Otello singen könnte, wie Kunde es an diesem Abend getan hat.

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Ludovic Tezier, Gregory Kunde. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Ihm zur Seite standen an diesem Abend zwei gleichwertige Partner: Ludovic Tézier hat sich im beinahe schon verwaisten Fach des Verdi-Baritons einen festen Platz gesichert. Er ist kein oberflächlicher Bösewicht, sondern ein fast schon nobler Intrigant (wie es früher etwa Renato Bruson gewesen ist). Mit schöner Tongebung und differenzierter Gestaltung ist er derzeit wohl konkurrenzlos in diesem Fach. Rachel Willis-Sørensen ist endlich mal wieder eine Desdemona, deren Sopran nicht nur über eine schöne Höhe, sondern auch über eine breite Mittellage und eine gut fundierte Tiefe verfügt und die auch genügen Volumen besitzt, um über das große Ensemble im 3. Akt zu kommen.  Dass auch die übrigen Partien gut besetzt waren (stellvertretend seien hier Monika Bohinec als Emilia und Freddie De Tommaso als Cassio genannt) rundet den durchaus positiven Eindruck dieser Aufführung ab. Den Jubel am Schluss haben sich die Künstler redlich verdient.

Bleibt nur zu hoffen, dass der amtierende Direktor Gregory Kunde bald wieder nach Wien holen wird. Aufgaben für ihn gäbe es genügend.

Walter Nowotny

 

 

 

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