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WIEN/ Staatsoper: OTELLO – eine glückliche Wiedergeburt

29.01.2020 | Oper


Stephen Gould. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

28.1.2020: „OTELLO“ – eine glückliche Wiedergeburt!

 Die schwache Premiere im Juni 2019, wo dem Titelhelden jegliche Faszinationskraft fehlte, auch Jago und Desdemona nicht die erwünschten Idealbesetzungen waren und der Dirigent mit der herrlichen Verdi-Partitur überhaupt nichts anzufangen wusste, hatte bewirkt, dass die sehr ansprechende Inszenierung von Adrian Noble unter ihrem Wert geschlagen wurde. In der aktuellen Wiederaufnahme zeigte sich das gesamte Bühnengeschehen sinnvoll, die Verlegung der Handlung ins späte 19./Anfang 20. Jh. beeinträchtigte nicht Verdis ästhetische Anforderungen und bot den Darstellern, stets einsichtig in der vorderen Bühnenhälfte, wunderbare Entfaltungsmöglichkeiten.

 Das Hautptinteresse des ausverkauften Hauses galt wohl dem Wiener Rollendebut von Stephen Gould als Otello. Wer sich einen „zweiten Domingo“ erwartete, musste enttäuscht werden (denn es gab nur einen „ersten“). Doch Gould ist Persönlichkeit genug, um keine Nachahmung anzustreben. Was ihn in Wagner-Rollen so unvergleichlich macht, kam auch bei Verdi ins Spiel. Der südländischen, spontanen vokalen und emotionalen  Explosivität, wie sie uns von Mario del Monaco bis Domingo vertraut war, die sich im  Gefühlsüberschwang selbst zu vergessen schienen, steht beim aus dem angelsächsischen Raum kommenden Stephen Gould ein für Wagner, Strauss oder auch Britten ideales, ebenmäßig strömendes, enormes Stimmpotential gegenüber, mit dem der Sänger in jeder Situation tiefes und echtes Empfinden ausdrücken kann. Wir erlebten „seinen“ Otello!

Von kolossaler optischer Wirkung gleich der erste Auftritt des Hünen, im bodenlangen repräsentativen weißen Mantel hell herausgeleuchtet aus der Menge, und sein gewaltiges „Esultate!“, das einfach Respekt einflößend ist. Aber er protzt nicht mit seiner Stimme, sie ist in allen Lagen schön und die weiten Bögen, die er mit langem Atem singt, beeindrucken. Das gibt der Führerfigur, die eben auf einen militärischen Sieg zurückblicken kann, ihre Glaubwürdigkeit. Und was diesen seinen Verdi- und Shakespeare-Charakter nur noch beeindruckender macht: Otello ist zwar in dieser Inszenierung kein „Schwarzer“, weil das wohl „politically uncorrect“ wäre, er wird aber bei Stephen Gould zum Außenseiter durch seine Gefühlskraft, wie sie niemand aus dem übrigen Personal zeigt – mit Ausnahme Desdemonas natürlich. Gould zeigt sie ständig – körperlich, mimisch und vokal. Damit strahlt er eine ungeheure Kraft und Faszination aus, sein Otello erliegt aber gerade deshalb den Einflüsterungen Jagos. Wunderbar spielt er die Scham, die ihn überkommt, wenn er wieder einmal das Misstrauen, das Jago ihm eingeflößt hat, ernst genommen hat und nicht weiß, wie er diese emotionale Situation bewältigen soll. Der relativ kleine Spielraum auf der Vorderbühne gibt den Sängern, vor allem Otello und Desdemona, mit den vielen Tischen, Bänken, Stühlen… dafür gute Anhaltspunkte – im wörtlichen Sinn. Und was die dennoch diesem „Helden“ verbliebene Noblesse betrifft, hat Gould in Krassimira Stoyanova die ideale  Partnerin. Guten Gewissens stelle ich fest, dass es eine bessere heute nicht gibt. Verdi-Lyrik pur bietet sie mit raumfüllender, technisch makellos geführter Stimme, von der warm strömenden Mittellage bis in die leuchtenden Höhen und feinsten piano- und pianissimo- Passagen, die nicht nur technisch imponieren, sondern von der Aussage her ungemein berühren. Das Liebesduett der beiden Belcantisten wird somit schon mal zu einem ersten Verdi-Höhepunkt. Jede der Folgeszenen schließt sich dem an. Was ich noch nie gesehen habe:


Krassimira Stoyanova. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Wenn sie im 3. Akt, anstatt sich vollends zu Boden („a terra!“) schleudern zu lassen, frontal vor Otello würdevoll niederkniet, aber dabei zu ihm aufblickt, um ihm zu „sagen“: „Schau her, ich liebe dich noch immer und achte Deine Hoheit, aber diese Behandlung kann und will ich nicht verstehen…“ Von wirklichem Horror getrieben, läuft sie mehrmals von der Bühne ab, was dann den gequälten Mann noch mehr zur Verzweiflung bringt.

Zu einem Ruhepunkt, der uns erschaudern lässt, wird Desdemonas „Canzon del Salice“ und ihr „Ave Maria“. Es ist vollkommen richtig, dass der Regisseur im 4. Akt das ominöse Ehebett mitten auf die Bühne gestellt hat, wo dann am Ende vor Fallen des Vorhangs auch die unseligen Ehepartner (wieder) nebeneinander ruhen.

 Dass auch alle anderen Sänger ausgezeichnet waren, vervollständigte den erfreulichen Verdi-Abend.  Carlos Alvarez legte den Jago nicht so vordergründig böse in Spiel und Gesang an, dass jedes Kind ihm misstraut hätte. Doch allein schon seine sehr markante Deklamation sorgte für die Glaubwürdigkeit dessen, worauf der emotional sowieso anfällige Tenorpartner dann hineinfällt.  Die gesunde Stimme des spanischen Baritons mit den imposanten Höhen trug dazu bei. In den Dialog- und Duett-Szenen der beiden hat Giuseppe Verdi dafür gesorgt, dass diese Irreführung klappt.  Eine beachtliche Bühnen- und Stimmpräsenz  brachte auch Jinxu Xiahou als sympathisch naiver Cassio mit. Leonordo Navarros heller Tenor und fesche jugendliche Erscheinung gab dem Roderigo Profil. Clemens Unterreiner tat dies als Montano, dessen entsetzter Blick auf das fatale Geschehen am Ende der Oper erschreckend die musikalische Aussage verstärkte.

Warum Otello in dieser Inszenierung kein „Mohr“ sein darf, im Solistenensemble aber zwei andere dunkelhäutige Sänger auftreten „dürfen“, bleibt ein Rätsel der Regie bzw. des Besetzungsbüros…Bongiwe Nakani war eine hervorragende Emilia mit sehr schönem, warmem Mezzo und starker Bühnenpräsenz im fatalen Finale. Ryan Speedo Green liegt der venezianische Gesandte Lodovico besser als manch andere Partie.

In den Kleinstrollen sahen wir Ion Tibrea als Herold und Katharina Billerhart als Bianca.

Der Staatsopernchor, wieder unter der Leitung von Thomas Lang, hat, nach der missglückten Premiere, nun die volle, imposante Aussagekraft des Gesungenen zurückgewonnen. Entzückend der Kinderchchor im 2.Akt!

Mit dem gebürtigen Engländer Jonathan Darlington, seit über 10 Jahren Musikdirektor der Oper Vancouver und weltweit mit einem breiten Opernrepertoire im Einsatz, stand ein tadelloser Verdi-Dirigent am Pult, der „nur“ zu realisieren versuchte, was der Komponist ohnedies überdeutlich in der Partitur festgelegt hat. Alle Relationen stimmten, das Bühnenpersonal wurde souverän geführt, und was das hochemotionale Drama betrifft – das hat den Maestro immer wieder kräftig erhitzt – er musste sich in jeder Dirigierpause den Schweiß von der Stirn wischen. Sowie auch sicher kein Opernbesucher das Haus unterkühlt verlassen hat…Verdis Meisterwerk wurde dankbar als solches empfunden.                              

Sieglinde Pfabigan

 

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