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WIEN/ Staatsoper: OREST von Manfred Trojahn – eine Notwendigkeit? . Premiere

31.03.2019 | Oper


Evelyn Herlitzius, Thomas Johannes Mayer. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

OREST – Premiere Wr. Staatsoper am 31.3.2019

(Heinrich Schramm-Schiessl)

Es war ein spezielles Anliegen von Direktor Meyer im Jubiläumsjahr des Hauses am Ring zwei Uraufführungen am Spielplan zu haben. Die der „Weiden“ von Johannes M. Staud fand programmgemäss statt, aber das zweite Werk, eine neue Oper von Krzyzstof Penderecky, wurde nicht rechtzeitig fertig. Da man aber unbedingt ein zweites zeitgenössisches Werk bringen wollte, entschloss man sich zu „Orest“ von Manfed Trojahn. Das Werk wurde 2011 in Amsterdam mit grossem Erfolg uraufgeführt und von der Zeitschrift „Opernwelt“ zur „Uraufführung des Jahres“ – wie immer man zum Ranking dieser Zeitung steht – gewählt. Für die österreichische Erstaufführung sorgte im Jahr 2014 die „Neue Oper Wien“ im Museumsquartier.

Die Handlung des Werkes setzt dort ein, wo Richard Strauss‘ „Elektra“ endet. Im weiteren Verlauf des Stückes begegnet man auch dem Personal einer weiteren Oper Strauss‘, nämlich Menelaos (Menelas), Helena und Hermione aus der „Ägyptischen Helena“.

Orest wird von Schuldgefühlen geplagt, weil er seine Mutter Klytemnästra auf Befehl des Gottes Apollo getötet hat. Er verlangt von ihm dafür die Verantwortung zu übernehmen, was der Gott ablehnt. Er rät ihm vielmehr, Menelaos, der als Thronanwärter nach Argos zurückgekehrt ist, zu bitten, ihn freizusprechen. Gleichzeitig verwandelt sich Apollo in Dionysos und verspricht Orest Ruhm, wenn er ihm hilft, Menelaos‘ Gattin Helena zu erobern. Orests Schwester Elektra hingegen hegt Rachepläne gegen Helena und Hermione. Sie verlangt schließlich von Orest, beide zu ermorden. Orest erschlägt tatsächlich Helena, bei Hermione schreckt er, fasziniert von ihrem Anblick, zurück. Zuletzt verweigert er sowohl den Befehl Apollos weiter zu morden als auch jenen des Dionysos und geht mit Hemione ins Ungewisse.

Das Werk ist sicher kein grosser Wurf, sondern eher – man verzeihe mir den profanen Ausdruck – biederes Handwerk. Vom Orchesterpart kann man durchaus angetan sein. Trotz grosser Besetzung ist die Lautstärke gegenüber anderen zeitgenössischen Werken weniger extrem, was darauf zurückzuführen ist, dass der Komponist einerseits auf riesige Schlagwerkbatterien – wie z.B. Reinmann in seinem „Lear“ – verzichtet und die Blechbläser auf 10 Instrumente, davon 4 Hörner, beschränkt. Die Lautstärke ist trotzdem das ganze Stück über erheblich, Stellen im mezzavoce oder gar piano sind äusserst selten. Auf länger andauernde lyrische Passagen wartet man auch vergeblich. Melodiös ist der Orchesterpart sicher, aber in die Tiefe geht er nicht. Der für mich eindrucksstärkste Moment war die nur von den Kotrabässen leise untermalte Stille nach dem Tod der Helena. Anders steht es jedoch um die Singstimmen. Hier erlebt man, wie bei der zeitgenössischen Oper schon gewohnt, eine „Hochschaubahn“. Extrem tiefe Töne wechseln rasch in höchste Höhen und ist oft eine zusammenhängende Melodie nicht zu erkennen. Allerdings sind die Männerstimmen gegenüber den Frauenstimmen begünstigt. Sie müssen nicht so extreme Intervallsprünge vollführen. Besonders die Rolle der Hermione ist mit extrem hohen Tönen gespickt, aber auch Elektra und Helena werden voll gefordert.

Der Orchesterklang wurde zweifelsohne durch unser Orchester noch veredelt. Ich glaube, so klangschön hat Trojahn seine Oper noch nie gehört. Es ist sicher dem Dirigenten Michael Boder, dem Spezialisten für zeitgenössische Werke, zu danken, dass das Orchester mit solchem Engagement bei der Sache war.


Laura Aikin. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Bei den Sängern blieb eigentlich kaum ein Wunsch offen. Thomas Johannes Mayer war ein ungemein intensiv gestaltender Orest, der auch die schwiergisten Passagen meisterte. Evelyn Herlitzius spielte als Elektra in erster Linie ihre grosse Persönlichkeit aus, stimmlich war sie unter Berücksichtigung ihrer bekannten Eigenheiten durchaus zufriedenstellend. Laura Aikin als Helena blieb darstellerisch eher blass und hatte auch stimmlich einige Probleme. Audrey Luna ist die Frau für extrem hohe Töne, die noch über der Tessitura der einschlägigen Koloraturpartien liegen. Wie schon seinerzeit in „The Tempest“ entledigte sie sich dieser Aufgabe souverän. Dass das für das Ohr manchmal eine Herausforderung ist, steht auf einem anderen Blatt. Darstellerisch blieb sie eher unauffällig. Thomas Ebenstein als Menelaos zeigte ein gute Charakterstudie und sang präzise und wortdeutlich. Daniel Johansson als Apollo/Dionysos sang durchaus ordentlich, hätte aber gestalterisch aus der Rolle mehr machen können. Julitta-Dominika Walder blieb in der stumme Rolle der Klytemnästra unauffällig.

Die Regie lag in den Händen von Marco Arturo Marelli, der wie immer auch für das Bühnenbild verantwortlich war. An sich ist er ja durchaus ein Bühnenzauberer – wie er bei der „Turandot“ so danebenhauen konnte, frage ich mich immer noch – und das stellte er in manchen Momenten (Rauferei, „Himmelfahrt“ der Helena) auch an diesem Abend wieder unter Beweis. Er abstrahiert die Handlung und lässt das ganze – die Kleidung von Orest und Elektra lässt zumindest darauf schliessen – offenbar in einer geschlossenen Anstalt spielen und die einzelnen Ereignisse spielen sich nur in Orests Kopf ab. Ob er am Schluss, als er Hermione folgt, in die Realität zurückkehrt oder auch dass nur in seiner Einbildung passiert, bleibt offen. Die ganze Handlung spielt in einem grauen gebogenen Gang mit zahlenreichen Türen, die sich in unregelmässigen Abständen öffnen und wieder schliessen. Die Personenführung ist sehr präzise und macht die Handlung verständlich. Für die stilistisch etwas bunt gemischten Kostümezeichnet Falk Bauer verantwortlich.

Am Ende viel Jubel für alle in den auch der sich ebenfalls verneigende Komponist einbezogen wurde.

Bleibt zum Schluss nur noch die Frage, ob diese Produktion notwendig war und ich kann sie eigentlich nur mit einem Jein beantworten. Sicher, es ist die Aufgabe eines Hauses wie der Wr. Staatsoper, auch die wichtigen Werke unserer Zeit zu spielen, anderseits muss man Zweifel anmelden, ob gerade dieses Werk so wichtig ist. Es gibt nämlich sicher wichtigere Werke, die im Haus am Ring noch nicht gespielt wurden, z.B. Reimanns „Lear“. Ein wirtschaftlicher Erfolg wird diese Produktion sicher nicht werden, denn schon an diesem Abend waren auf Balkon und Galerie zum Teil ganze Reihen frei und das wird bei den Reprisen sicher nicht besser werden.

Heinrich Schramm-Schiessl

 

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