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WIEN / Staatsoper: NABUCCO

Spitzenbesetzungen machen aus einer Repertoirevorstellung ein Ereignis

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Anna Pirozzi (Abigaille). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: NABUCCO

84. Aufführung in dieser Inszenierung

8. Juni 2024

Von Manfred A. Schmid

Es war ausgerechnet im Verdi-Jahr 2001, dass Günter Krämer mit seiner einfallslosen Nabucco-Inszenierung, im öden Bühnenbild von Petra Buchholz und Manfred Voss, eine veritable Bauchlandung hinlegte. Lähmendes Steh- und Geh-Theater mit einer Rahmenhandlung, in der spielende und raufende jüdische Kinder zu sehen sind, deren Hinterlassenschaft dann bis zum Schluss die rechte Seite der Bühne vermüllt. Etwas Aufmerksamkeit verdient hingegen der transparente Vorhang, hinter dem, meist in Dunkel gehüllt, das von den Babyloniern besiegte Volk der Juden zu sehen ist. Er ist von oben bis unten mit hebräischen Texten beschrieben, bis sich die Buchstaben dann, in den dramatischen Zuspitzungen der Handlung rund um den im Machtrausch in Allmachtsfantasien verfallenden babylonischen König Nabucco, zu verflüssigen beginnen und langsam zu Boden sinken. Man fragt sich, was das wohl bedeuten soll, fühlt sich aber doch stark berührt davon. Der berühmte Gefangenenchor „Va, pensiero, sull’ali dorate“ wird zunächst im Liegen angestimmt, dann treten die Choristen nacheinander nach vorne und legen am Bühnenrand Fotos von Angehörigen nieder. Eine Szene, die gerade in diesen Tagen ihre Wirkung nicht verfehlt, denkt man doch unwillkürlich an die demonstrierenden Menschen in Tel Aviv, die Porträts ihrer als Geiseln von der Hamas entführten Familienmitglieder in den Händen halten und auf deren Freilassung hoffen.

Gestalterisch räumt die statische Inszenierung den Mitwirkenden wenig Raum zur Entfaltung ihrer darstellerischen Möglichkeiten ein. Dennoch sind es wieder einmal die guten bis herausragenden Leistungen der Sängerinnen und Sänger sowie des Staatsopernchors, die den Opernabend auszeichnen. Es gibt interessante Rollendebüts: Eines davon liefert Ivan Magrì, ein junger italienischer Tenor, der die Rolle Ismaeles, des Juden, der sich in Fenena, die Tochter des Nabuccos, verliebt, mit Schmelz und Hingabe gestaltet, auch wenn seine Stimme etwas schmal ist.. Fenena wird vom Ensemblemitglied Szilvia Vörös mit feinstem Legato gesungen. Die Mezzospranistin hat sich in dieser Rolle im Vergleich zu früheren, stets tadellosen Auftritten noch gesteigert. Das Gebet gestaltet sie mit wunderbarer Phrasierungskunst.

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Marko Mimica (Zaccaria)

Aus dem Ensemble kommt auch Evegny Solodnikov, der mit seinem profunden Bass dem Oberpriester des Baals ehrfurchtgebietende Statur verleiht und damit dessen Widerpart Zaccaria, dem Anführer der Juden, um nichts nachsteht. Zaccaria wird vom kroatischen Hausdebütanten Marko Mimica, der ebenfalls mit einer kraftvollen, nuancierten Bassstimme ausgestattet ist, hervorragend gesungen. Zwei noch junge Bässe, die die üblicherweise mit reiferen Stimmen besetzten Rollen eindrucksvoll profiliert singen und keine Wünsche offenlassen.

Im Mittelpunkt des Opernabends stehen allerdings zwei Stimmen, die sich in dieser Inszenierung schon bewährt haben und sich auch diesmal wieder in Höchstform präsentieren:  Amartuvshin Enkhbat in der Titelrolle und Anna Pirozzi als dessen vermeintliche Tochter und Gegenspielerin Abigaille. Der aus der Mongolei stammende Enkhbat ist ein stimmgewaltiger, ausdrucksstarker Bariton, der der Figur des babylonischen Herrschers, der sich selbst zum Gott ernennt, kläglich scheitert und erst mit der Bekehrung zum Allmächtigen wieder rehabilitiert wird, all das verleiht, was dieser vermessenen Person zukommt: Einschüchternd und unerschütterlich zunächst als Bezwinger der Juden, sanft und weichherzig, wenn er um die Begnadigung seiner Tochter Fenena fleht, und voll der wieder erlangten Machtfülle am Schluss. Enkhbat, der 2021 in dieser Rolle erstmals im Haus am Ring aufgetreten ist und seither auch als Vater Germont und als Scarpia zu erleben war, ist einfach eine Wucht.

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Ivan Magri (Ismaele), Anna Bondarenko (Anna) und Ensemble

Die aus Neapel stammende Anna Perozzi hat die mörderisch schwere Partie der Abigaille schon hunderte Mal gesungen. Nicht nur in Wien, sondern u.a. auch in Verona, Valencia, Beijing, Tel Aviv, Leipzig, Stuttgart, Berlin, Las Palmas, Lyon, Paris, Bologna, Florenz, Parma, Palermo, Cagliari, Napoli, Mailänder Scala. Wie mühelos und ausdrucksstark sie die Koloraturläufe und Glissandi, die fordernden Intervallsprünge und den enormen Stimmumfang, der von Sptzentönen bis weit hinunter in die Tiefe reicht, bewältigt, ist bewundernswert. Ebenso ihre Fähigkeit, bei all diesen stimmtechnischen Finessen auch die seelischen Qualen und Gefühle einer Frau, die sich benachteiligt fühlt und nach Höherem strebt, vermitteln zu können. Mit Pirozzi und Enkhbat stehen wohl die beiden derzeit besten Interpreten dieser Rollen auf der Bühne der Staatsoper.

In Nebenrollen treten zufriedenstellend Agustín Gómez, aus dem Operstudio, als babylonischer Wächter Abdallo und Ensemblemitglied Anna Bondarenko als Zaccarias Schwester Anna auf.

Mit Giampaolo Bisanti steht ein ausgewiesener Kenner des italienischen Repertoires am Pult des Staatsopernorchesters und sorgt mit mitreißender Leidenschaftlichkeit dafür, dass hier alles so zugeht, wie man es von einer Verdi-Oper nur erwarten kann. Extra Erwähnung verdienen der Solocellist sowie das exzellente Qartett der Cellisten.

Jubel für einen Opernabend, der eine Repertoireaufführung musikalisch zu einem Ereignis werden lässt.

 

 

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