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WIEN / Staatsoper: MANON LESCAUT von Giacomo Puccini

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Asmik Grigorian (Manon). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: MANON LESCAUT von Giacomo Puccini

37. Aufführung in dieser Inszenierung

4. Feber 2022

Von Manfred A. Schmid

Fast schon wieder voll zeigt sich die Wiener Staatsoper, obwohl der Wegfall des erforderlichen PCR-Tests erst am Tag danach in Kraft tritt. Mit ein Grund dafür dürfte wohl die in den letzten Jahren medial gehypte litauische Sängerin Asmik Grigorian in der Titelpartie sein, die mit ihren bisherigen Wiener Auftritten als Cio-cio-san und Tatjana zwar in guter, aber keinesfalls außergewöhnlicher Erinnerung ist, mit ihrer Salome und Chrysothemis in Elektra bei den Salzburger Festspielen allerdings Schlagzeilen gemacht hat und dafür u.a. als „Sängerin des Jahres 2019“ und mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis geehrt worden ist.

Grigorians Rollendebüt in Puccinis Manon unterstreicht ihre Fähigkeit, seelisch zerrissene Charaktere darzustellen und ihnen Stimme zu verleihen. Damit erinnert sie an den amerikanischen Tenor Neil Shicoff, der ebenfalls für die Darstellung komplexer, schwieriger Figuren, die in ihrer Widersprüchlichkeit nicht leicht zu fassen sind, wie prädestiniert erschien und sich in diesen Rollen am besten entfalten konnte. Salome und Elektra gehören ebenso in diese Kategorie wie Puccinis Manon, eine attraktive junge Frau aus ärmlichen Verhältnissen, die ihre Chance wittert, aus der ihr zugedachten Rolle als Klosterfrau auszubrechen und ihren Hunger nach einem Leben ohne materielle Sorge zu stillen. Ihr Hin- und Hergerissensein zwischen der wahren  Liebe zum mittellosen Studenten Des Grieux  und dem unbeschwerten Dolce Vita an der Seite eines schwerereichen alten Bankiers, der sie für ihre Liebesdienste verwöhnt und reich beschenkt, wird offenkundig, als die Flucht aus den Fängen ihres Big Spenders Geronte scheitert, weil ihr das Zurücklassen all ihrer Schätze, wertvollen Kleider und ihres Schmucks so schwer fällt, dass sie sich einfach nicht entscheiden kann, was davon sie in ihrer panischen Raffgier mitnehmen sollte. Für diese inneren Konflikte und Abgründe ist Grigorian eine ideale Besetzung. Da passen schrille Stellen und uneinheitlich gestaltete Phrasierungen zur Zeichnung eines zutiefst zerrütteten Nerven- und Gefühlskostüms. Wärme, echte Emotionen sind da nicht so gefragt, was freilich auch dazu führt, dass sich das Mitgefühl mit dieser Person und ihrem Schicksal in Grenzen hält. Puccini – eine Anmerkung am Rande – hat seine Manon mit Liebe und Sympathie gezeichnet, hat er doch selbst ein Leben lang dem Luxus gefrönt, besaß als erster Privatmann in Italien ein Auto und unterhielt später eine Flotte von über 20 Luxuskarossen.

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Brian Jagde (Des Grieux) und Chorensemble.

Der Manon leidenschaftlich liebende Chevalier Des Grieux ist mit Brian Jagde besetzt, dessen robuster, metallisch klingender, stets höhensicherer Tenor gut zur Darstellung des ungestümen jugendlichen Liebhabers passt. Schmelz besitzt er so gut wie nicht, da aber diese Rolle mit sechs Solostücken zu den schwierigsten und umfangreichsten Tenorpartien in Puccinis Schaffen zählt, sind die Vitalität und Leuchtkraft seiner Stimme hier dennoch gut eingesetzt. Mehr Differenziertheit wäre allerdings wünschenswert, nicht alles müsste so lautstark sein.

Charakterlich kompliziert wie Manon ist auch ihr Bruder Lescaut, Sergeant der königlichen Garden, der sich einerseits wie ein Zuhälter seiner Schwester aufführt und von ihrem Reichtum profitiert, der sich ihr andererseits aber emotional stark verbunden fühlt und sie, als sie in existenzielle Not gerät, entschlossen retten will. Boris Pinkhasovich, eben erst in Pique Dame zu bewundern, überzeugt mit seinem fein modellierbaren, warmen Bariton auch in dieser Partie.

Die Rolle des unsympathischen, zu Brutalität neigenden Sugar Daddys Geronte di Ravoir ist mit Artyom Wasnetsov, einem Mitglied des Opernstudios, anvertraut. Ein stimmstarker, profunder Bass, der auch darstellerisch seiner Rolle gerecht wird.

Ensemblemitglied Josh Lovell, trotz kurzer Zugehörigkeit seit der Saison 2019/20 schon in zahlreichen und äußerst vielfältigen Rollen als jugendlicher Tenor zu erleben, fällt es als Edmondo zunächst schwer, sich stimmlich gegenüber dem aus dem Vollen schöpfenden Bariton Des Grieux und dem Tenor Jagde durchzusetzen, findet aber bald die rechte Balance und begeistert vor allem durch sein legeres, unbekümmert wirkendes, dennoch stets alle Vorgänge genau beobachtendes Auftreten. Im Original als Studienkollege von Des Grieux festgelegt, ist er in dieser Inszenierung eher als Fremdenführer und Paparazzo in Aktion.

Die Hausbesetzungen Marcus Pelz (Wirt) und Ilja Kazakov (Sergeant) aus dem Opernstudio komplettieren mit den Vier Madrigalistinnen Daliborka Lühn-Skibinski, Dijana Kos, Anna Charim und Dymfna Meijts das Ensemble.

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Nachdenklich: Boris Pinkhasovich (Lescaut).

Am Pult debütiert an der Staatsoper der Italiener Francesco Ivan Ciampa. Puccini, der die auf dem Roman des Franzosen Abbe Prévost, „Histoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut“ basierende Handlung „auf italienische Art, mit verzweifelter Leidenschaft“ empfand und interpretierte, wie er selbst sagte, findet in Ciampa einen guten Anwalt für dieses Anliegen. Das harmonisch an Wagner erinnernde „intermezzo sinfonico“, das den 3. Akt der durchkomponierten Oper einleitetet, gelingt so gut, dass es mit so herzlichem Applaus quittiert wird, so dass sich die Orchestermitglied erheben, um sich zu bedanken.

Mit viel Beifall bedankt sich am Schluss das Publikum auch für eine mehr als solide Aufführung mit einigen Glanzpunkten. Die Inszenierung von Robert Carsen aus 2005, in der die Handlung in ein mondänes, elegantes Paris der Jetztzeit verlegt wird, zeigt erneut ihre ärgerlichen Schwachstellen auf, die die Folgen eines in der Durchführung nicht durchdachten und daher unzulänglichen Konzepts sind. In Paris gibt es – als Strafe für ungebührliches Verhalten – schon längst keine Deportationen mehr. Und wenn Manon nach ihrer gesellschaftlichen Ächtung in einer hell erleuchteten, von exquisiten Modegeschäften und ihren Auslagen gesäumten Einkaufsstraße, auf die Deportation wartend und sterbend, von einer öden, wüstenähnlichen Gegend spricht und Des Grieux wegschickt, um Wasser zu suchen, dann weiß man, dass da nichts mehr stimmen kann. Da hat sich Àlex Ollé 2019 an der Oper Frankfurt mehr Gedanken gemacht und eine durchaus schlüssige Lösung gefunden. Die Frankfurter Manon – in der Premierenbestzung übrigens ebenfalls Asmik Grigorian – ist ein Flüchtling. Und manchen Flüchtlingen droht bekanntlich heute noch – in Paris, Frankfurt und Wien – die Deportation. Nicht nach Amerika, sondern nach Afghanistan oder Syrien. Aber das ist eine andere Geschichte

5.2.2022

 

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