WIEN/ Staatsoper: MANON LESCAUT am 7.2.2022
Es gehört zu den Sonderbarkeiten des Phänomens „Oper“, dass 2 + 2 mitunter doch kein ganz gerades Resultat ergeben. Die Gründe dafür können vielseitig sein. Vielleicht liegt es aber einfach daran, dass auch angekündigte Sensationen selten stattfinden.
Eine solche war wohl mit dem Wiener Debut von Asmik Gregorian als Puccinis Manon Lescaut projektiert, das noch dazu – wie von einem dramatischen Real Life Effekt befeuert – Corona-bedingt fast vereitelt zu werden drohte. Die litauische Sopranistin, seit ihrer Salzburger Salome von internationalem Hype getragen, bestätigte dabei erwartungsgemäß durchaus ihren Ruf als eindrückliche Singschauspielerin – wenngleich natürlich auch sie nicht alle Unplausibilitäten der teilweise hanebüchenen Inszenierung des ohnehin nicht ganz „runden“ Werks vergessen machen kann. Musikalisch ist sie weniger um Schöngesang denn um dramatischen Ausdruck bemüht, wobei man dafür, je nach Lage der konkreten Phrase, manche Unebenheit und scharfe Höhe in Kauf nehmen muss.
So harmoniert sie nur bedingt mit dem Des Grieux von Brian Jagde, der ihr mit überschaubarem gestischen Repertoire schauspielerisch kein besonders adäquates Gegenüber ist. Dafür genießt er es hörbar, mit der Vitalität seines kraftvollen Organs aufzutrumpfen. Und es ist gerade in Zeiten wie diesen durchaus legitim, sich einmal vorbehaltlos an solcher, selten gewordener „wonniger Kraft“ zu erfreuen. Das satte Timbre des jungen Amerikaners käme aber bestimmt noch mehr zur Geltung, wenn er sich um differenzierteren Ausdruck bemühen und das dramatische Wechselbad der Gefühle des verzweifelt Liebenden nicht nur über die Modulation der Lautstärke hörbar machen würde.
Brian Jadge (Des Grieux) – Wer hat, der hat © Michael Pöhn
Manons Bruder ist in dieser Produktion bekanntlich ein reichlich zwielichtiger Charakter, als der Boris Pinkhasovich – wieder, so darf man sagen – mit seinem homogen geführten Bariton einen überaus positiven Eindruck hinterließ. Das gilt weniger für Artyom Wasnetsov, einem Mitglied des Opernstudios, dessen etwas linkisches Spiel und unklare Artikulation die kleine, aber für den Fortgang der Ereignisse doch entscheidenden Rolle des Geronte eines Gutteils ihrer Wirkung kostete. Dafür zeigte sich Josh Lovell mit nicht allzu großem, aber gut geführtem Tenor als rollendeckender Edmondo. In den kleineren Rollen ergänzten Marcus Pelz (Wirt), Ilja Kazakov (Sergeant) sowie Irene Hofmann, Dijana Kos, Irina Peros und Katarina Porubanova (Madrigalisten).
Der Italiener Francesco Ivan Ciampa gab mit dieser Serie sein Hausdebut am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper. Sein Puccini ist solides Handwerk, ohne ausgeprägten Hang zu schwelgerischer Italianità, das Intermezzo schien irgendwie auf der Stelle zu treten. Der Versuchung, es angesichts des voluminös agierenden Tenors passagenweise einfach einmal „krachen zu lassen“, konnte er nicht widerstehen – vor allem die Titelheldin wäre ihm für rücksichtsvollere Unterstützung vermutlich dankbar gewesen. Auch gab es – vor allem im 1. Akt – noch die eine und andere kleinere Konfusion. Davon betroffen war vor allem der Chor der Wiener Staatsoper (einstudiert von Thomas Lang) der zu Beginn auch szenisch einigermaßen gefordert ist und bei dessen Gesang, insbesondere auf Seiten der Damen, diesmal etwas Metall durchklang – eine Folge der Covid-Infektion, die im Chor grassiert hat?
Das frühe Werk des Meisters aus Lucca ist nicht in allen Dimensionen ausgegoren, es zu inszenieren ist keine Kleinigkeit. Man erinnere sich daran, dass sogar der legendäre Otto Schenk, damals noch unangefochtener internationaler Regie-Star, mit seiner Produktion 1986 heftige Buhs einstecken musste (wofür, in der ersten Aufwallung des Gemüts, angeblich hinter dem Vorhang der ebenfalls legendäre Marcel Prawy von ihm eine Ohrfeige kassiert haben soll). Was Robert Carsen nach ihm abgeliefert hat, scheitert aber spätestens ab der Pause gnadenlos an einer Implosion der Plausibilität. Wobei – das Schlussbild, die Sterbeszene Manons vor den geschlossenen Schaufenstern in der menschenleeren Shopping Mall, könnte man vielleicht noch retten und es einem unbedarften Publikum quasi tagaktuell als Story vom „Tod der Ungeimpften während des Lockdown“ unterjubeln – doch das wäre eine ganz andere Geschichte …
Valentino Hribernig-Körber