Giacomo Puccini: MANON LESCAUT
Wiener Staatsoper – 10. Februar 2022
Schlussvorhang: Asmik Grigorian, Brian Jagde
Die Shopping-Mall-Inszenierung, in der die Geschichte der Manon Lescaut in die Gegenwart verlegt wurde, ist bei jedem Opernbesucher vor allem für ihr absurdes Finale in Erinnerung. Ja, da wo die Titelheldin nicht in der Wüste von New Orleans, sondern in einer Einkaufspassage verdurstet. Da lässt sich offensichtlich nicht mal ein Wasch- und Toilettenraum mit Fließendwasser finden.
Doch da sind noch einige andere Unstimmigkeiten. Die Deportation der jungen Frauen, die wie ein Schaulaufen am Catwalk inszeniert ist, die Tanz-Choreografie des Chores im ersten Akt, die geradezu musicalhaft ist, bis hin zur unnötigen Vergewaltigungsszene von Manon und der Dienstmädchen beim Versuch Manon’s vor dem Geronte zu fliehen. Aber was soll’s, man hat sich nach all den Jahren an diese Inszenierung gewöhnt und ist vor allem auf den musikalischen Teil gespannt.
Die von den Medien gehypte Asmik Grigorian in der Titelrolle kann nur bedingt überzeugen. Für Puccini ist ihr Sopran zu schlank, zu wenig veristisch. Die Stimme geht in der Höhe nicht auf, neigt eher zu Schärfe und zeigt keinen Anflug von Sinnlichkeit. In dieser Inszenierung hat vor einigen Jahren die viel zu früh verstorbene Daniela Dessi vorgemacht wie hinreißend verführerisch eine italienische Manon sein kann.
Grigorian singt im Finale ein beachtliches Sola, perduta, abandonata, aber eine Frau, die mit Leidenschaft liebt, ist sie nicht, dafür wirkt ihre Manon zu sehr in ihrer eigenen Welt lebend.
Brian Jadge. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Dabei steht ihr mit Brian Jagde ein Des Grieux zur Seite, der vor Leidenschaft nur so strotzt. Welch ein Pracht-Stimmmaterial steht diesem Tenor doch zur Verfügung. Sein baritonal-gefärbter Tenor trumpft mit großen und kraftvollen Tönen auf, die mühelos jedes Orchester überstrahlen und den Raum erfüllen. Die Partie selbst ist wahrlich nicht leicht, ist doch der Puccini-Des-Grieux stimmlich stets sehr gefordert. Zuerst liebt Des Grieux leidenschaftlich, dann leidet er und kämpft für Manon genauso heftig. Jagde’s Des Grieux ist geradezu besessen von Manon. Da passt die Stimme Jagde’s, ideal zur Figur. Wenn ihm etwas fehlt, dann ist es der Schmelz für Puccini. Aber das hat er mit seiner Bühnenpartnerin gemeinsam.
Als Manon’s Bruder Lescaut lässt Boris Pinkhasovich eine klangvolle und kantige Baritonstimme hören, während Artyom Wasnetsov als Geronte noch etwas an stimmlicher Autorität fehlt.
Josh Lovell, Mitglied des Ensembles, ist gleich in drei Rollen im Einsatz. Mit seinem leicht lyrischen Tenor hat er zu Beginn des ersten Bildes als Edmondo noch etwas Startschwierigkeiten, aber die Stimme blüht schnell und klangschön auf. Auch im Spiel ist er sehr natürlich und glaubwürdig.
Ilja Kazakov lässt als Sergeant mit seiner präsenten Bassstimme aufhorchen.
Das Dirigat von Francesco Ivan Ciampa scheint das Publikum zu spalten. Als der Dirigent nach der Pause in den Orchestergraben kommt wird er von einem derart lautstarken Bravoruf begrüßt, dass es so manchen vor Schreck beinahe von den Sitzen reißt. Dafür kassiert er beim Schlussvorhang als Retourkutsche – zwischen all dem Jubel für ihn – zwei deutlich hörbare Buhs von der Gegenseite.
Nun, die einen werden sich an seiner opulenten Leseart erfreut haben, den anderen wird es dafür zu laut gewesen sein, deckte er doch manchmal die Sänger etwas zu – mit Ausnahme von Brian Jagde.
Am Ende gibt es viel Jubel, wie man es seit Beginn der Pandemie und der Gesichtsmaskenzeit nicht mehr gehört hat, als das Publikum begann sich mehr aufs reine Applaudieren zu besinnen und sich mit Bravos zurückzuhalten.
Großer Jubel besonders für Grigorian und Jagde. Das Publikum war nach dieser Vorstellung wirklich hörbar BEGEISTERT. Es geht also noch.
Lukas Link