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WIEN / Staatsoper: MANON

Drei erfreuliche Rollendebüts von Mkhtaryan, Grigolo, Olivieri & Co.

 

WIEN / Staatsoper: MANON

59. Aufführung in dieser Inszenierung

14. November 2024

Von Manfred A. Schmid

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Vittorio Grigolo, Kristina Mkhitaryan. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Jules Massenets Oper Manon, 1884 uraufgeführt, basiert auf dem Roman Histoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut von Antoine-François Prévost d’Exiles (genannt Abbé Prévost), der erstmals im Jahr 1731 und dann 1753 leicht überarbeitet herausgekommen ist. Die Darstellung des tragischen Lebens einer schönen jungen Frau vom Lande, die in Paris den Verlockung eines Lebens in Luxus erliegt, den zu ihr in Liebe entbrannten Chevalier verlässt und zu einer Kurtisane wird, entbehrt nicht einer gewissen moralischen Lehrhaftigkeit, wenn vorgeführt wird, wohin so eine sündhafte Existenz führt. Das mag Puccini dazu bewogen haben, den Stoff nochmals zum Thema einer 1893 erschienen Oper Manon Lescaut zu machen, in der die Titelfigur mit Gewalt entführt wird und Manons Verführung des Chevaliers, der sich in ein Kloster zurückgezogen hat und Priester geworden ist, fehlt. Der bürgerlich-moralische Zeigefinger, der bei Massenet noch da ist, auch wenn er Manon musikalisch mit wunderschönen Melodien ausstattet, fehlt bei Puccini, dem großen Frauenfreund und Frauenversteher, total. Ganz zu schweigen von Verdi, der in seiner Oper La Traviata souverän anteilnehmend und verständnisvoll mit Violetta umgeht, deren Schicksal dem von Manon nicht unähnlich ist, in der sich Verdi aber sich jeder moralinsauren Wertung enthält, sondern nur Liebe verströmt.

Die der Abschreckung dienende lehrhafte Haltung macht es jeder Sängerin schwer, Sympathiepunkte zu sammeln und nicht erst beim tragischen Ende, ihrem Tod auf dem Marsch in die Verbannung, Mitleid zu erwecken. Kristina Mkhitaryan, die sich, wie sie in einem Interview bekanntgab, drei Jahre lang auf ihr Rollendebüt als Manon vorbereitet hat, gelingt dies gut. Ihre Manon ist ein aufgewecktes, junges, auf das Leben neugieriges Geschöpf. Dass ihre Familie sie in ein Kloster schicken will, ist klar eine glatte Fehlentscheidung. Gerade weil sie aus bescheidenen Verhältnissen kommt, kann man auch verstehen, dass ihr die zwar idyllische, aber auch recht karge, liebende Zweisamkeit auf Dauer nicht genügt, sie ein geselligeres, angenehmeres Leben herbeisehnt und das ihr unterbreitete Angebot Monsieur de Brétigny, der ihr in Andrei Serbans Inszenierung kostbaren Schmuck auf das ungemachte Bett als Köder hinwirft, nicht zurückweist. Nicht ohne davor dem vertrauten Tischchen für immer Lebewohl zu sagen. Gerade weil sie arm ist und Entbehrung erfahren hat, ist sie dafür anfällig, wie schon Goethe anhand des Gretchens in Faust I vorgeführt hat: „Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen!…“ Überzeugend ist Mkhitaryan auch in ihrer Darstellung von Manons Rolle als umschwärmte Dame der Gesellschaft sowie als leibhaftige Versuchung Des Grieuxs im Kloster. Als sie nach der Klosterszene wieder an der Seite ihres Geliebten in der Pariser Demi-Monde-Gesellschaft auftaucht, ist ihr divenhaftes Gehabe schon mehr eine Geste zunehmender Verzweiflung: Des Grieux hat sein Erbteil schon so gut wie aufgebraucht, ihr Luxusleben steht auf dem Spiel, eine baldige Rückkehr zum Tischchen der Genügsamkeit zeichnet sich ab, und ihre ehemaligen Sugar Daddys strafen sie mit Verachtung. Gesanglich punktet sie mit exquisiten Klangfarben und zartestem Pianissimo.

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Alma Neuhaus (Javotte), Mattia Olivieri (Lescaiz), Teresa Sales Rebordao (Rosette)

Gehauchte Pianissimi-Exkurse sind auch eine Spezialität von Vittorio Grigolo, der als Belcanto-Tenor Vieles mitbringt, was ihm bei der stimmlichen Gestaltung seines Rollendebüts als Chevalier Des Grieux zugutekommt. Er singt oft am Rande der Manieriertheit, aber immer mit vollem, gefühlbetontem Einsatz. Ein Tenor wie eine Rakete, die auf beiden Seiten gleichzeitig zu zünden scheint und als Liebhaber gesanglich schwer zu überbieten, auch wenn sich manchmal lcichte Tremoli bemerkbar machen.

Dan Paul Dumitrescu, bewährter Bass aus dem Haus für achtungsgebietende Einsätze, ist ein mächtig tönender Graf Des Grieux, der seinem Sohn energisch die Leviten liest und für Manon keinerlei Gnade aufbringt, sondern an ihrem Tod ebenso mitschuldig ist wie Guillot de Morfontaine, einer der reichen Gönner Manons, der sie aus Eifersucht und verletztem Stolz von der Polizei abführen und vor Gericht stellen lässt. Wie Thomas Ebenstein diesen Schurken darstellt, ist ein wahres Meisterstück und erinnert in der Mischung aus kauzig-irritierender Spaßmacher und gefährlicher, rachsüchtiger Bösewicht an die schillerende Figur des Joker, wie ihn Joaquin Phoenix auf der Filmleinwand verewigt hat.

Ein spektakuläres Rollendebüt liefert der Bariton Mattia Olivieri als ungemein präsenter, ehrgeiziger und intriganter Lescaut, Cousin von Manon, der sich als Wächter der „Familienehre“ aufspielt, im Wahrheit aber sie ausnützen und von ihrer Schönheit profitieren will. Ein ausdrucksstarker Sänger/Darsteller, der an der Staatsoper schon als Barbiere in der Rossini-Oper als begnadeter Komödiant aufgefallen ist und den man gerne auch in anderen Rollen wiedersehen und hören möchte.

Schon Erfahrung in der Manon-Inszenierung von Andrei Serban, in der die Handlung in die 30-er Jahre des vorigen Jahrhunderts verlegt wird, was sich vor allem in der Bühne und den Kostümen von Peter Pabst gut bewährt, haben Martin Hässler als tadelloser Brétigny sowie Ileana Tonca als Pousette, eine der drei frivolen wie auch aparten Pariser Damen. Neu als deren Kolleginnen auf der Bühne sind diesmal Alma Neuhaus (Javotte) und Teresa Sales Rebordao (Rosette), letztere kommt aus dem Opernstudio. Stimmlich eine erfreuliche Bereicherung und auch darstellerisch topp.

Emmanuel Villaume am Pult des Orchesters hetzt nicht durch den Abend, sondern legt Wert auf ein zuträgliches Auskosten der dramaturgischen Höhepunkte, auf Transparenz sowie, wenn es darauf ankommt, auf französische Spritzigkeit, auch Esprit genannt. Die Koordination mit dem exzellenten Chor funktioniert ausgezeichnet. Der Applaus im nicht ganz ausgelasteten Haus fällt dementsprechend üppig aus, auch schon während der Vorstellung, bleibt aber im üblichen Zeitrahmen von rund fünf Minuten.

 

 

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