WIEN / Staatsoper: MACBETH
15. Aufführung in dieser Inszenierung
15. Oktober 2024
Von Manfred A. Schmid
Giuseppe Verdis Macbeth auf die Bühne zu bringen, ist eine Herausforderung. Wie mit den wechselnden schottischen Schauplätzen – Wald, Palast, Prunksaal, Höhle, Wald – umgehen? Wie mit den Kostümen der Hexen, die bei Verdi zu einem Frauenchor herangewachsen sind? Wie die festliche Ankunft des Königs Duncan inszenieren, der keinen Ton zu singen hat? Und was macht man im dritten Akt, der kaum eine Handlung bieten kann? Barrie Kosky, der gemeinhin als unerschöpfliches Ideenkraftwerk gilt, hat sich in seiner Neuproduktion aus dem Jahr 2021, die auf einer Zürcher Vorgängerinszenierung basiert, von derartigen Fragen gar nicht weiter behelligen lassen und gleich zu einer minimalistischen Lösung sämtlicher Probleme gegriffen: Er inszenierte Verdis ersten Shakespeare-Oper als Albtraum in Schwarz, verbannt die Hexen und Duncan von der Bühne, die wie eine Flugzeuglandebahn bei Nacht aussieht, und bevölkert sie stattdessen mit einer mehrmals geheimnisvoll auftretenden Schar nackter Menschen, deren Mission bis zum Schluss unbekannt bleiben wird: Die nackte Wahrheit? Die Leichen, die Macbeths Weg zur Macht säumen? Oder doch nur der bewährte Kniff des Regietheaters, wenn einem die Ideen ausgehen, ein paar Nackte loszuschicken, die das Publikum zwar längst nicht mehr schockieren, es aber immerhin kurz irritieren und dann das große Rätselraten auslösen. Letzteres möchte man dem findigen Theatermacher Kosky aber doch nicht unterstellen. Er wird sich dabei gewiss etwas gedacht haben. Immerhin sind die weiblichen Nackerten einmal sogar mit Penissen versehen. Das muss doch einen Sinn haben. Vermutlich irgendetwas mit dem Unterbewusstsein Macbeths. Und flugs lässt sich das Ganze als ein auf den psychologischen Kern reduziertes Kammerspiel einer toxischen Beziehung ganz gut verkaufen.
Damit das psychologische Kammerspiel funktioniert, braucht es allerdings vor allem eine passende Besetzung, und die ist an diesem Opernabend – besucht wird die zweite Aufführung der derzeit laufenden Serie – tatsächlich gegeben. Gerald Finleys eleganter, nobler Bariton verleiht dem ehrgeizigen Macbeth die Aura eines Mannes, der zu Höherem bestimmt ist und von seiner Frau dazu verleitet wird, seinem Aufstieg mit Mord und Totschlag nachzuhelfen. Dass die Umsetzung dieses Willens viel Einsatz erfordert und Macbeth an die Grenzen seiner Kraft führt, äußert sich in kaum unterdrücktem Schnaufen, das einmal fast zum Schnauben wird. Ein Mann im Kampf mit seinen inneren Werten und Vorstellungen. Die Schlussarie „Pietà, rispetto, amore“ absolviert er mit Bravour und gibt den Blick frei in eine zutiefst zerrüttete, fehlgeleitete Seele.
Anastasia Bartoli, über den Rang eines Shooting-Stars unter den italienischen Sopranistinnen längst hinaus und zu einer etablierten Größe geworden, ist als Lady Macbeth das stimmliche und darstellerische Ereignis dieser Aufführung. Mörderisch gut singend, wischt sie das Zögern ihres Mannes vom Tisch des Anstands, brilliert mit hellen Koloraturen im Trinklied „Brindisi“ und berührt schließlich in der Wahnsinnsszene mit dunkel schimmernden Tönen einer gebrochenen Existenz, der nur noch ein einsamer Rabe sein Gehör schenkt. Von einer bei ihrem Rollendebüt von der Kritik monierten Schärfe war jedenfalls nichts mehr zu vernehmen. Also entspricht auch Anastasia Bartoli nicht den stimmlichen Anforderungen, wie sie Verdi bekanntlich vorgeschwebt haben. Gottseidank. Denn wer ist schon erpicht darauf, Schreien und Kreischen zu hören.
Als getreuer Gefährte Banco, der brutal aus dem Weg geräumt wird, kommt erneut Roberto Tagliavini zum Einsatz und erbringt mit seinem wohltönenden Bass, wie schon bei der Premiere, eine starke, überzeugende Leistung.
Saimir Pirgu ist in der Rolle des Rächers eine ebenso überzeugende Besetzung wie Carlos Osuna als Malcolm. Zwei Tenöre, die mit ihren festen, hellen Stimmen die Zukunft verkörpern und etwas Licht in die trostlose Dunkelheit zaubern.
Dohoo Lee und Jenni Hietala zeigen bei ihrem Kurzauftritt als Arzt und Kammerfrau, dass auch kleinste Nebenrollen es verdienen, stimmlich liebevoll gestaltet zu werden.
Besonderes Lob gebührt dem Chor, der viel zu singen hat, zumeist unsichtbar bleibt und erst am Schluss, in der hymnischen Beschwörung der wiedergewonnenen Freiheit, zunächst in Dunkelheit gehüllt auftritt, bis dann aber doch auch dessen Gesichter im Spotlight strahlen dürfen.
Axel Kober am Pult des Staatsopernorchesters bestätigt seinen Ruf als umsichtiger, verlässlicher durchaus aber auch temperamentvoller Opernkapellmeister im besten Sinn des Wortes. Der Beifall ist voll der verdienten Begeisterung und Dankbarkeit für die Verabreichung stimmlicher Wohltaten in einem ansonsten rabenschwarzen Umfeld.