Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN / Staatsoper: LUCIA DI LAMMERMOOR

Ein rundum gelungener Opernabend - vielleicht sogar der beste seit langer Zeit

lucia2

Benjamin Bernheim (Edgardo) und Lisette Oropesa (Lucia). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: LUCIA DI LAMMERMOOR

6. Aufführung in dieser Inszenierung

16. April 2022

Von Manfred A. Schmid

Weiß und Schwarz – die schottische Winterlandschaft und die dunklen Kostüme der handelnden Akteure und ihrer Gefolgschaft – prägen das Bühnenbild. Der graue Palast, der zunächst fernab im Hintergrund zu sehen ist, rückt mit fortschreitender Handlung immer näher. Ein bedrohlich wirkender Käfig, der jeglichen Gefühlsregungen den Zutritt zu verwehren scheint und nur dem bloßen Machterhalt dient. In dieser unwirtlichen Ödnis droht die Lucia-Inszenierung von Laurent Pelly immer wieder im Schnee zu versinken. So geschehen – mangels adäquater Personenführung – bei der Premiere am 9. Feber 2019. Es braucht schon eine erstklassige Besetzung mit fünf bühnenstarken Sängerinnen und Sängern, um diesen Schauplatz mit Leben und Emotionen zu füllen. Auch gesanglich ist hohe Qualität gefragt, denn die abwechslungs- und kontrastreiche, bunte und zugleich extrem dramatische Musik Donizettis stellt eine stimmlich wie auch gestalterische Herausforderung dar. Was nunmehr in der anlaufenden Aufführungsserie geboten wird, erfüllt erfreulicherweise alle diese Kriterien in hohem Maße. Das Ergebnis: Ein außerordentlich gelungener Opernabend, wie er leider äußerst selten geworden ist. Vielleicht die beste Repertoirevorstellung seit Beginn der Ära von Staatsoperndirektor Bogdan Roscic.

Evelino Pido ist, wie sein Landsmann Marco Armilliato, seit Jahren an der Wiener Staatsoper ein Garant für geglückte Aufführungen des italienischen Repertoires. Er hat das nötige Fingerspitzengefühl für dieses Meisterwerk des Belcanto, das reich an emotionalen Höhepunkten und dramatischen Zuspitzungen ist. Wutausbrüche, Rachegelüste, Hass, Leidenschaft, brennende Liebe und Eifersucht bestimmen den musikalischen Duktus von Donizettis fein instrumentierter Partitur. Wunderbar gelingt das Sextett „Chi mi frena in tal momento“, bei dem Pido den Übergang von der anfänglichen herrschenden, elektrisierenden und spannungsgeladenen Atmosphäre in die ausdrucksstarke Kantabilität, in den es einmündet, fein ausgestaltet. Herauszuheben sind die Hornisten, deren ständiger Einsatz wohl den schottischen Hintergrund der Handlung und die Jagdgesellschaft betonen soll, und das sensible, geheimnisvoll entrückte Harfensolo in Lucias Arie „Regnava nel silenzio“. Zu erwähnen auch, dass in der Lucias Wahnsinns-Arie die – von Donizetti ursprünglich vorgesehene – Glasharmonika für überirdische Stimmung sorgt und zugleich die Fragilität ihrer Seele unterstreicht.

Benjamin Bernheim, vor nicht allzu langer Zeit noch als „Stimme der Zukunft“ bezeichnet, belegt – wie schon im Jänner als Rodolfo in La Bohème –, dass er längst der Riege der besten Tenöre der Gegenwart angehört. Strahlend-heller Klang, farbenreich und ungemein höhensicher, zeichnen ihn aus und prädestinieren ihn geradezu für den extremen Stimmungsschwankungen ausgesetzten Edgardo. Stimmtechnisch bestens gerüstet und stets bestrebt, die Tiefen seiner Charaktere auszuloten, gestaltet er die Wutausbrüche Edgardos, die Liebesbezeugungen in dessen romantisch-schwelgerischen Kantilenen, die lyrischen Auftritte und die ergreifende Szene im 3. Akt, in dem er die Wahrheit über Lucia erfährt und Selbstmord begeht.

lucia1

Lisette Oropesa Lucia in der Wahnsinns-Arie.

George Petean ist der einzige, der schon in der Premierenbesetzung dabei war, alle anderen sind Rollendebütanten. Der Einsatz des rumänischen Baritons fällt diesmal überzeugender aus. Er strahlt rücksichtslose Brutalität gegenüber den Bedürfnissen seiner Schwester Lucia aus, die er für seine der Machterweiterung dienende Hochzeitspolitik missbraucht und in Wahnsinn und Tod treibt. Seine Einsicht kommt zu spät, sein Bedauern klingt authentisch.

Ensemblemitglied Josh Lovell wird von Einsatz zu Einsatz besser, sein heller, jugendlich frischer Tenor gewinnt an Durchschlagskraft und Farbigkeit. Als Arturo begegnet er den Hauptakteuren auf Augenhöhe und ist ein nicht unsympathischer, von Enrico auserwählter Bräutigam Lucias.

Roberto Tagliavini ist als Raimondo ein skrupelloser Erzieher und Berater Lucias, der sich von Enrico vereinnahmen lässt und seinen Schützling belügt und in die Irre führt. In Wien immer wieder – zuletzt in Nabucco und Macbeth – gerne gesehen und gehört, ist Tagliavini diesmal ein etwas rau und schroff klingender Bass, der mit den tiefen Tönen allerdings keinerlei Probleme hat.

Nach ihrem fulminanten Auftritt als Konstanze in der Entführung von Hans Neuenfels und ihrem Solokonzert erwartete man gespannt auf Lisette Oropesas Rollendebüt als Lucia. Ein voller Erfolg. Wie die Amerikanerin kubanischer Abstammung am Anfang bei „…Ed ecco! ecco su quel margine…“ über den gespenstischen Auftritt der toten Frau erschrickt, deutet schon an, wie feinfühlig, filigran und höchst gefährdet die von ihr dargestellte jungte Frau ist. Höchst glaubwürdig ihr Liebesschwur, und ergreifend dramatisch die Wahnsinnsszene. 20 packende, abwechslungsreich gestaltet Minuten, die ungemein berühren. Oropesa gilt seit ihrem Rollendebüt 2017 am Royal Opera House London als die derzeit gesuchteste Lucia. Darstellerisch unübertrefflich und auch gesanglich geradezu perfekt. Die Koloraturen gelingen geschmeidig und klar, ihre silbrig-helle, modulationsfähige Sopranstimme ist gepaart mit einer sicheren Technik und mit starker Ausstrahlung. Oropesa steht für eine neue Lucia, die sich von der einer Edita Gruberova, die in Wien diese Rolle in der Vorgänger-Inszenierung rund 80 Mal gesungen hat, darin unterscheidet, dass sie eine leichte, luftigere Sopranstimme vorzuweisen hat, während Gruberovas Stimme schwerer war. Schlankheit ist derzeit offenbar auch hier angesagt.

Wie in der Roscic-Ära allgemein üblich, werden auch bei dieser Aufführungsserie Mitglieder des Opernstudios mit Erfolg eingesetzt. Der Tenor Hiroshi Amako ist ein ausgezeichneter Normanno, Patricia Nolz als Alisa eine gute Vertraute Lucias.

Starker Applaus im so gut wie ausverkauften Opernhaus. Gute Besetzung ist und bleibt also eine Grundvoraussetzung für einen attraktiven Opernabend. Versierte Sänger/Darsteller können mit ihrer Erfahrung und auratischer Bühnenpräsenz inszenatorische Mängel, wenn sie nicht zu sehr ins Gewicht fallen, durchaus vergessen machen.

17.4.2022

 

Diese Seite drucken