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WIEN /Staatsoper: L’ORFEO – Zweite Vorstellung

WIEN / Staatsoper:  L‘ ORFEO oder ORFEO
2. Aufführung in dieser Inszenierung

13. Juni 2022

Von Manfred A. Schmid

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Kate Lindsey, Georg Nigl. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Monteverdis Favola in musica, eine Frühform der Oper, wird in der Musikgeschichte in der Regel unter den Titel L’Orfeo angeführt. Auf dem Programmzettel der Wiener Staatsoper heißt sie schlicht nur mehr Orfeo. Damit hat es mit der Schlichtheit aber schon ein Ende, denn was dem Publikum in der Inszenierung von Tom Morris – vor allem in den ersten zwei Akten – dargeboten wird, ist mit Anleihen aus gegenwärtigen Pride- und Love Parades aufgemascherltes, üppiges Barocktheater. Ein Missverständnis, denn Monteverdis in Musik gesetzte Legende von der tragischen Liebesgeschichte von Orpheus und Euridice gehört eindeutig in die Zeit der Renaissance, in der – trotz der Entdeckung und künstlerischen Würdigung der breit gefächerten Gefühlswelt  – Ausgewogenheit, Kontrolle überschwänglicher Ausbrüche sowie Klarheit und Harmonie die gestalterischen Grundprinzipien sind. Was soll’s:  Das bunte Spektakel (Bühne und Kostüme von Anna Fleischle) kommt gut an.

Werktreue, soweit sie es überhaupt geben kann, findet man in der Musik. Dafür sorgt der auf Originalinstrumenten musizierende Concentus Musicus Wien unter der Leitung von Pablo Heras-Casado, dem mit diesem Ensemble an der Staatsoper bereits die musikalisch hochgelobte Neuproduktion von Monteverdis Lincoronazione di Poppea anvertraut war. Welche Instrumente in dieser frühen Oper zum Einsatz kommen, wurde vom Komponisten zwar angegeben, wie die Musik aber auf diese Instrumente bzw. Instrumentalgruppen zu verteilen ist, wurde nicht spezifiziert. Man darf annehmen, dass in dieser Hinsicht Niklaus Harnoncourt wichtige Vorarbeit geleistet hat. Das Ergebnis – eine eindrucksvolle Symbiose von Wort und Klang – ist jedenfalls äußerst stimmig und überzeugend. Wie sich in Orfeos Klage die Soloinstrumente abwechselnd einmischen, um seine emotionale Befindlichkeit bei der Trauerarbeit zu unterstreichen, geht unter die Haut.

Georg Nigl, ein warm timbrierter Bariton mit feinen tenoralen Höhen und guten Tiefen, ist eine ideale Besetzung für den Orfeo, der in der Antike als d e r Inbegriff eines Sängers galt. Gesanglich modulatiosstark, kann Nigl im dritten Akt, als er Charon, den Fährmann in die Unterwelt, mit seinem kunstvolllen Gesang beeindrucken und umstimmen will, die geforderten melodischen Verzierungen – Vorläufer der Koloratur – souverän ausgestalten. Darstellerisch wirkt er etwas verhalten, fast scheu. Da hätte der Regisseur bestimmt mehr herausholen können, hat Nigl u.a. doch auch schon als Papageno alle gestalterischen Register gezogen.

Darstellerisch wäre in Orfeos Begegnung mit dem Totenreich auch bei Wolfgang Bankl, ein versierter und vielseitig einsetzbarer Bass von Figaro bis Ochs, mehr möglich gewesen. An Bankls stimmlichen Leistung ist aber nichts auszusetzen. Sein fülliger, tiefgründiger Bass fesselt die Aufmerksamkeit wie gewohnt. Sein Auftritt weniger. Festzuhalten bleibt, dass Morris‘ Personenführung insgesamt ab dem dritten Akt zu wünschen übriglässt. Dabei beginnt das Ganze mit einem eindrucksvollen Knalleffekt, wenn die bukolische Welt, Schauplatz der ausgelassenen Partystimmung in den beiden vorangegangenen Akte, mit Krachen und Ächzen emporgerissen wird und den Blick in die düstere Unterwelt, in die von der Decke das Wurzelwerk hineinragt, freigibt.

Hervorragend bewähren sich die beiden bereits in der Lincoronazione zu bewundernden Sopranistinnen. Kate Lindsey bewältigt ihre drei Rollen als Musik, Hoffnung und Echo mit Bravour, Slávka Zámecniková ist eine zartbeseelte, innig singende Euridice, der die Melancholie von Beginn an nicht fremd ist.

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Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Die Mezzosopranistin Christina Bock war auch schon auf der Besetzungsliste von Monteverdis Lincoronazione zu finden. Nach Ottavia tritt sie diesmal als eindrucksvolle Botin und Proserpina auf. Ihre klare Artikulation, bei der sie so gut wie ohne Vibrato auskommt, prädestiniert sie gewissermaßen für das Barockfach. Die Sängerin hat aber auch schon den Orlofsky gesungen. Ein Ensemblemitglied mit starker Bühnepräsenz und strahlender Zukunft.

Andrea Mastroni ist ein Bass, der seine Ausbildung am Instituto Claudio Monteverdi in Cremona absolviert und mit der Musik des Meisters vermutlich schon früh Kontakt hatte. Er ist ein selbstbewusster Plutone, der sich taktisch klug mit Orfeo arrangiert.

Hiroshi Amako, Mitglied des Opernstudios, ist ein wenig göttlicher Apollo, der seinem Sohn Orfeo ins Gewissen redet und ihm einen Weg zeigt, wie er mit seinem Dilemma fertigwerden kann. In dieser Inszenierung ist dieser Apollo einfach ein Partygast unter vielen. Als Hirten und Geister treten Narumi Hashioka und Aaron McInnis auf.

In dieser durchaus unterhaltsamen Inszenierung wird – wie in der Direktionszeit von Roscic üblich, wo immer es sich machen lässt – jungen Kräften Auftrittsmöglichkeit verschafft. Eingesetzt werden die hauseigene Chorakademie und die Jugendkompanie der Ballettakademie der Wiener Staatsoper sowie das Europaballett St. Pölten. Das hebt die Stimmung.

Viel Applaus im gut besuchten Haus.

Satirische Schlussbemerkung: Im Publikum befinden sich an diesem Abend auffallend viele Jugendliche. An einem Tag wie diesen steht einer Verlängerung des Vertrags von Direktor Roscic um weitere fünf Jahre daher wirklich nichts im Wege. Da es sich aber offensichtlich – wie sich herumgesprochen hat – um ein Maskenfest handelt, haben sich die meisten auf alt und mittelalt geschminkt.

 

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