„Mein lieber Schwan!– Lohengrin an der Wiener Staatsoper, 1. Aufführung dieser Seria am 15.04.2023
Nina Stemme, Tomasz Konieczny. Foto: Wiener Staaatsoper/Michael Pöhn
Piotr Beczała als Lohengrin, Camilla Nylund als Elsa, Nina Stemme als Ortrud und Tomasz Konieczny als Friedrich – Mein lieber Schwan! Kein Wunder also, daß der Abend ausverkauft war und eine gewisse neugierige Spannung liegt in der Luft, bevor Maestro Meir-Wellber den Orchestergraben betritt, Abende wie dieser einer zu werden verspricht, sind selten an der Staatsoper geworden. Der Zwischenvorhang zeigt zwei brennende Herzen, die einem Votivbild aus dem Eisacktal entnommen sind, gleichzeitig sehen wir dahinter die Vorgeschichte, nämlich das Begräbnis Gottfried von Brabants und die Zurückweisung Friedrich von Telramunds durch Elsa, beides noch mit ihrem jüngeren Bruder, dem dann zum Schwan verzauberten Thronfolger Gottfried. Und bereits hier gelingt es Herrn Meir-Wellber meisterlich, den sphärischen Klang des Vorspiels in klarer Reinheit umzusetzen. Wir denken zurück an den Parsifal, und sehen auf Monsalvat die Enthüllung des Grals vor unserem geistigen Auge. Und was dann mit dem ersten Akt folgt, ist in der Tat ein Hochfest der Musik, ein Lohengrin der Extraklasse!
KS Tomasz Konieczny lotet mit seinem Bassbariton den Charakter des Telramund fabelhaft aus: Hier steht ein Mann, der weiss, was er will und das ist Macht. Und zwar die absolute. Dafür ist er bereit alles zu tun und jeden aus dem Weg zu räumen, der ihn daran hindert. Doch benötigt er dafür auch das passende Narrativ, denn sein Leumund soll weiterhin tadellos bleiben. Den Herzogstitel von Brabant an sich zu nehmen ist wohl erst der erste Schritt dieses ehrgeizigen Mannes, gut vorstellbar, daß seine Ambitionen hin zur Königskrone gehen. So erleben wir auch eine Stimme, die stark ist wie eine Eiche, fest, verwurzelt und dominant. Es wird auch klar, dass Telramund wohl unbewusst weiss, wie wenig er seinen eigenen Ansprüchen tatsächlich genügt. Die Behauptung, Lohengrin habe sich eines schwarzen Zaubers bedient, kommt ihm gerade Recht, um das Gottesurteil des Zweikampfes und die dadurch erlittene Schmach nicht zu akzeptieren. Zu sehr lockt ihn die Macht, zu wenig scheint ihm der Dank für integres Handeln attraktiv zu sein. Also lässt er sich wieder auf die falschen Versprechungen Ortruds ein, die ihm schon einmal zum Verhängnis geworden sind und die ihm schließlich auch im 3. Akt das Leben kosten werden. Bravo, Herr Konieczny, eine tadellose Leistung in Spiel und Gesang, der Telramund wurde zu einem sehr greifbaren Charakter, wie wir ihn an allen Ecken des Alltags sehen können.
Diese Narrative, die Telramund braucht um sein Handeln zu rechtfertigen, liefert ihm Ortrud und Nina Stemme bietet hier im 2. Akt eine Darstellung von Durchtriebenheit und niederträchtigem Handeln allererster Güte. In ihr lodert der reinste Hass und man muss sich fragen, was diese Ortrud in ihrer Niederträchtigkeit antreibt. Das muss mehr sein, als nur der Glaube an alte germanische Götter, den sie geschändet sieht. Frau Stemme stellt eine Frau dar, der Böses widerfahren sein muss und das dadurch erlittene Trauma zu bittersten Rachegelüsten verwandelt hat: “Mein Leid zu rächen will ich mich vermessen/ was mir gebührt, das will ich nun empfahn!“
Ihre umfangreiche Erfahrung mit Wagnerpartien kommt ihr natürlich hier zugute: Eindringlich geht ihr Gesang nahezu in Mark und Bein, fast fürchten wir uns vor dieser Frau, die offensichtlich kein Mitleid kennt und eine regelrechte Soziopathin ist, die sich am Leid anderer noch ergötzt. Stellenweise scheint es fast, als würden die Pferde mit Frau Stemme durchgehen und beinahe wird sie schrill in den Höhen, kippt glücklicherweise dann aber doch nicht und legt hier eine erstklassige Ortrud hin. Brava, Frau Stemme, der Kammersängerinnen-Titel wird Ihnen zu Recht verliehen!
Camilla Nylund. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Dem gegenübergestellt und ebenfalls ideal besetzt ist Kammersängerin Camilla Nylund als Elsa von Brabant, der es gelingt, die Naivität der jungen Elsa absolut real zu verkörpern. Hier sehen wir ein junges Ding auf der Bühne, das offensichtlich viel zu früh den Vater verloren hat und sich nun in einer harten Welt nach romantischer Liebe sehnt. Nicht auf dem weissen Ross, sondern einem weissen Schwan eben soll er kommen, ihr Ritter und ihr damit beweisen, daß die Welt doch ein guter Ort ist. Weiss sie vielleicht sogar mehr als alle anderen? Vielleicht, dass Telramund ihren Vater ermorden liess? Und diesen Mann war sie beinahe gezwungen zu heiraten. Doch Frau Nylunds Elsa verliert den Glauben an das Gute und an die Liebe nicht: „Es gibt ein Glück, das ohne Reu!“ – und tatsächlich erscheint der sagenhafte Ritter, schützt sie, gesteht ihr sogar die Liebe und nimmt sie zur Frau. Eine Märchen wie aus einem Disneyfilm (oder sind Disneyfilme letztlich wie Wagneropern?) und wenn wir es nicht besser wüssten, würden wir glauben, daß Frau Nylund eine noch junge Frau Anfang 20 oder jünger ist. In absoluter Klarheit steigt sie schon im ersten Akt in den trüben Tagen in schwindelnde Höhen und singt diese mit einer Leichtigkeit, die wirklich beeindruckend ist. Da kommt nicht einmal ein Hauch von stimmlicher Unsicherheit vor, leicht, strahlend, funkelnd und glitzernd ist ihre Stimme. Dieses Niveau hält Camilla Nylund natürlich den gesamten Abend durch und schafft es nicht nur das naive Mädchen, sondern am Ende auch die verzweifelte Frau glaubhaft darzustellen. Denn mit dem Weggang Lohengrins zerplatzen auch ihre Illusionen: Die idealisierte Welt, von der sie träumte, gibt es nicht. Und sie muss erkennen, daß sie an sich selbst gescheitert ist, denn trotz des Versprechens, das sie gab, fragte sie Lohengrin nach Nam und Art. Am Ende steht bei Elsa also die Erkenntnis, daß sie selbst ein Teil jener imperfekten Welt ist, die ein Glück ohne Reue nicht zulässt. Wenn nach dem dritten Akt dann der Vorhang fällt, sehen wir, wie Elsa das Schwert des Bruders selbst zur Hand nimmt und auf Ortrud losgeht. Schnell erdet die Finnin also ihren Charakter und zeigt: Auch Elsa von Brabant ist nun willens und entschlossen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Frau Nylund zeigt mit diesem Abend wieder einmal, dass sie nicht nur eine exzellente Sängerin ist, sondern eine Künstlerin der Extraklasse, die ihr Fach in allen Dimensionen beherrscht. Brava, bravissima, Camilla Nylund!
Auch die Qualitäten von Kammersänger Piotr Beczała sind bekannt. Feierte er unlängst erst Erfolge an der Met mit seinem Lohengrin, war die Erwartung entsprechend hoch angesiedelt. Und Herr Beczała lieferte einwandfrei! Sein Lohengrin ist weniger ein überirdischer, engelsgleicher Heilsbringer. Er verwurzelt seinen Schwanenritter sehr geerdet und auch gesanglich sehr handfest, ohne die strahlenden Seiten, die diese Partie stimmlich verlangt, zu vernachlässigen. Da wirkt es sehr glaubwürdig, daß er als Lohengrin unbewaffnet den Telramund im ersten Akt zu Boden ringt. Gleichzeitig sehen wir mit Lohengrin einen jungen Mann (auch beachtlich, wie es Herrn Beczała gelingt, so dauerhaft jung zu wirken), der neugierig ist. Neugierig auf die Liebe, die es in Monsalvat aufgrund des Keuschheitsgelübdes ja nicht geben kann. Was ist also diese Liebe, nach der sich Elsa so sehr sehnt und die er ihr, ohne sie zuvor je gesehen zu haben, selbst verspricht? Da kommt dann schon die Entrücktheit der Rolle zum Tragen, denn man fragt sich doch: Wie kann das sein? Und doch verkörpert Piotr Beczała das absolut glaubwürdig. Ein suchender, forschender Mann, der merkt, daß die Liebe, die ja auch der Gral repräsentiert, etwas besonderes ist. So besonders, daß Elsa sich bereit erklärt, ihn niemals nach Namen und Herkunft zu fragen. Die Herausforderung, welche der Lohengrin gesanglich darstellt, meistert Herr Beczała dabei fabelhaft. Im angenehm erdigen Klang steigert er sich von Akt zu Akt weiter dem Finale des Abends zu, seine Stimme schwebt geradlinig und schön wie der Ritter selbst und zeigt dann im „fernem Land“, mit welcher Konstanz der Pole zu singen vermag. Absolut fehlerfrei, jeden Ton perfekt getroffen, die richtige Betonung bei „es heisst der Gral“, wie ein strahlendes Aufscheinen des Gefäßes selbst und keinerlei Anstrengung dabei anzumerken – ein umwerfender Auftritt von immenser Wucht! Tatsächlich: Mein lieber Schwan! Bravo, bravissimo, Piotr Beczała, das war Wagner in zeitloser Schönheit!
Zu erwähnen sind auch Tareq Nazmi, der einen sehr edlen, weisen und staatsmännischen König Heinrich gegeben hat, sowie Clemens Unterreiner, der ebenso souverän und mit der nötigen Ausstrahlung von Autorität den Heerrufer sang. Beide fehlerfrei und fabelhaft, nichts anderes war da aber auch zu erwarten. Bravi, die Herren, ausgezeichnet gemacht!
Und dann war da noch Maestro Omer Meir-Wellber, dessen Dirigat wir mit Spannung erwarteten. Keine Frage, er ist in der Lage Musik einen magischen, farbenreichen Klang zu geben. Ebenso erlebten wir aber auch seine Traviata an der Volksoper, die ganze 15 Minuten schneller war als angesetzt. Man merkt also, der Mann hat Energie, die er augenscheinlich aus der Freude an der Musik zieht und will diese teilen. Und tatsächlich gelang es ihm an diesem Abend, diese Freude und Energie genau richtig zu kanalisieren und die genau richtige Mischung aus großem, wagnerischem Klang und zauberhafter Märchen-Poesie umzusetzen. Von fein ziselierten, filigranen Klangkonstrukten bei Beginn des Vorspiels bis hin zum vollen pompösen Fortissimo holt er das Beste aus dem Orchester der Wiener Staatsoper an diesem Abend heraus und legt einen Lohengrin mit Freude vor, daß es nur so kracht! Das Publikum tobt dann auch bereits nach dem 1. Akt, zahlreiche Bravi für den Maestro vor Beginn des 2. Aktes, selbiges nach dem 2. und vor dem 3. Akt. Einen einsamen Buhrufer gibt es dann zum Schluss tatsächlich, doch diesen nimmt Herr Meir-Wellber gelassen, legt nur die Hand ans Ohr und wird mit noch mehr Bravi aus dem Publikum gefeiert. Was für ein Triumph! Nach diesem Dirigat ist der Maestro als exzellenter Wagner Dirigent zu handeln, bravo, bravissimo!
Eigentlich möchte man sagen, daß die Inszenierung an so einem Abend dann schon Nebensache ist. In der Tat haben wir es hier mit einer fast schon typischen Inszenierung von Andreas Homoki zu tun: Im statischen Schaukasten platziert er sein Stück in ein bayerisches Dorf des 19. Jahrhunderts, genauer in das dortige Wirtshaus in sich dem alle Protagonisten in Tracht die Hand geben – Heimatfilmkulisse vom Feinsten. Bereits in den vergangenen Serias hat diese Produktion von 2014 für wenig Begeisterung gesorgt und eigentlich halten auch wir sie nicht für wirklich gelungen. Zu begrenzt ist der braune Eichenholz-Schaukasten (auch wenn das wohl den begrenzten Horizont der Dorfbewohner darstellen soll), zu sehr entfernt von der Burg in Flandern ist das Set-Up welches eher an einen Kirtag denn an ein mittelalterliches Fest erinnert. Doch ist sie wenigstens nett anzuschauen und an diesem Abend haben wir das Glück, dass die Besetzung tatsächlich so gut ist, daß sie sogar diese Inszenierung mit Magie und leben füllen können.
Wie schon erwähnt, tobte das Publikum der Staatsoper, ein Abend, der fast wie eine Erlösung wirkte und zu fast 20 Minuten Standing-Ovations nach dem Vorhang führte. Bravi, bravissimi tutti, wir sehen: „Es gibt ein Glück“!
E.A.L