Egils Silins, Linda Watson. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
WIEN / Staatsoper: „LOHENGRIN“ – diesmal mit Piotr Beczala
12.1.2020 – Karl Masek
Über die szenische Hervorbringung des Andreas Homoki wurde im Laufe der Jahre (auch in diesem Medium) ausführlich referiert. Auch nach dem Motto: „Man kann sich über alles ärgern – aber man ist nicht dazu verpflichtet“ wurde über die Verortung der Schwanenritter-Story ins „Wadelstutzen-Lederhosen-Gamsbart-Bayern“ von Scherzbolden gewitzelt.
Also: sofort zum musikalischen Teil.
Die aktuelle Vorstellungsserie sollte das mit Spannung erwartete Wiener „Lohengrin“-Rollendebüt des Piotr Beczala bringen. Eine Erkältung (ein grippaler Infekt?) machte da bei der 1. Aufführung der geplanten Serie durch Absage einen Strich durch die Rechnung. Beim zweiten Anlauf gab‘ s eine Ansage: Piotr Beczala sei von seiner Erkältung noch nicht ganz wieder hergestellt, der Sänger werde die Vorstellung singen, er bittet allerdings um Nachsicht …
„Nun sei bedankt, mein lieber Schwan“ kam noch erwartungsgemäß vorsichtig. In der unbequem liegenden, ja zusammengekrümmten Position im Nachthemd, wie es das Homoki-Regiebuch verlangt, naturgemäß mit etwas gequältem Ausdruck. Aber ab „Heil, König Heinrich…“ schien gesundheitliche Unbill hinter sich gelassen.
„Nie sollst du mich befragen…“ hatte bereits die nötige klare, edle Lohengrin-Stimmansage – und bis zur Gralserzählung hatte man nach der mehr als fordernden Partie den Eindruck, da sei jemand trotz Verkühlungs-Handicaps besser als fast alle anderen, die sich als gesund präsentieren.
99% der Rolle waren da einfach fantastisch. Die lyrischen Qualitäten, die der Schwanenritter benötigt, stehen Beczala vollinhaltlich zu Gebote. Ein Stimmschmelz, wie ich ihn sonst fast nur bei einer Schallplattenaufnahme des Sándor Kónya feststellen konnte (Fritz Wunderlich ist ja trauriger Weise nie bis zu einem geplanten Lohengrin gekommen).
Beinahe alle derzeitigen Rollenvertreter übertreffend in einer idealtypisch anmutenden Farbgebung, Intonationsklarheit, Leichtigkeit des Tonansatzes. Jenseits des „Lohengrin“-Hypes um Jonas Kaufmann und Klaus Florian Vogt (je nach Geschmack und Fan-Zugehörigkeit) fällt mir im Moment unbedingt Daniel Behle ein, der ähnlich schwerelos und „Rollen-idealtypisch“ singt). Ich habe es in Dortmund, erst Ende November 2019, erlebt…
Ja, und das eine Prozent?
Es war ohrenscheinlich wirklich nur die besonders gefürchtete Stelle „Heil dir, Elsa! Nun lass vor Gott uns gehn!“ am Ende des 2. Aktes vor dem Münster (bei Homoki ist ja irgendwie alles im „Bayerischen Wirtshaus“!), die bei Beczala einen „Frosch“ auslöste, der ihm (dem stimmtechnisch so Versierten!) bei idealer Stimmdisposition niemals passieren würde!
Brautgemach: von lyrisch-zärtlich bis dramatisch-bestimmt ebenfalls ideal. Gralserzählung: vom Pianissimo-Sprechgesang des „In fernem Land…“ bis zum strahlenden … „…sein Ritter ich, bin Lohengrin genannt!“ nicht auf bloßes Durchkommen präsentiert. Da ist auch der Dirigent Valery Gergiev lobend zu erwähnen. In diesen Minuten bewies er Opernkapellmeister-Qualitäten (Natürlich auch im Brautgemach, wo er das Tempo forcierte, um Beczala nicht allzu große Kraftreserven abzuverlangen)!
Davor aber: eine lange Durststrecke! Seine berühmt-berüchtigten Zitter- und Flatterfinger erzeugten eher Irritation im Graben wie auf der Bühne als Sicherheit vom Dirigentenpult! Das 1.-Akt-Vorspiel entbehrte über weite Strecken der unnachahmlich ätherischen A-Dur-Klangflächigkeit! Sehr eilig ging er’s an – und war dann auch viel zu früh bei einem satten „Steigerungs-Forte“ angelangt.
Das Orchester der Wiener Staatsoper stellte sich – angeführt von Konzertmeister Rainer Honeck – höchst professionell auf dessen Dirigier-Exzentrik ein. Folge: etliche gelungene Details – damit seien vor allem schöne Instrumental-Soli von Oboe über Flöte bis hin zur Klarinette und dem Englischhorn gemeint. Aber auch orchestrale Unfälle blieben nicht aus. Daher nochmals: Irritation im Graben, die etwa bei der Orchesterüberleitung vom Brautgemach zum Schlussbild in einem selten gehörten „Holterdiepolter“ und einem „beinahe-Kollektiv-Schmiss“ gipfelten…
Cornelia Beskow. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Die weitere Sängerbesetzung: Cornelia Beskow hatte als Elsa ihr Hausdebüt an der Wiener Staatsoper, und gleichzeitig ihr Rollendebüt! Der noch sehr jungen schwedischen Sopranistin begegnete ich vor genau zwei Jahren erstmals als Chrysothemis in einer Elektra-Wiederaufnahme an der Königlichen Oper Stockholm (Dirigentin: Simone Young, „Elektra“: Irene Theorin). Der damalige Eindruck bestätigte sich auch im Haus am Ring. Attraktive Bühnenerscheinung. Eine überaus schön und reizvoll timbrierte Sopranstimme, noch jungmädchenhaft getönt, dennoch kräftig (ist es statthaft, die ganz junge Gundula Janowitz als Vergleich aus der Vergangenheit heranzuziehen??), zu innigen Tönen fähig. Und eine starke Schauspielerin, eine Sing-Darstellerin von heutig-moderner Bühnenpräsenz! Aktuell mit einer gewissen sängerischen Schwachstelle, wenn’s um dramatische Expansion ab dem Ton A geht. Da bekommt diese ausnehmend schöne Stimme scharf-schrille Dimension, auch steife Beimengung, die dem Schrei nahekommt. Technisch vermutlich noch nicht endgültig ausgereift? Um auf den aktuellen Abend zurück zu kommen: Sie spielte eine Elsa, die um Lohengrin bis zum Letzten kämpft und ringt. Keine Dulderin eines Gebieters aus der Gralslandschaft! Sie erbringt den Nachweis, dass man in eine noch so anfechtbar bis lächerlich anmutende Inszenierung mit Verve und glaubhafter persönlicher Rollenauslegung einsteigen und damit Lächerlichkeit ad absurdum führen kann. Chapeau – das Publikum dankte es mit einer starken Ovation!
Und sonst? Eine Besetzung, die viel „Wagner-Routine“ aufwies. Ain Anger war ein „Heinrich der Vogler“, der sich über das „Oberförster-Image“ dieser Inszenierung erscheinungs- wie stimmmäßig hinwegsetzte. Die Herausforderungen des 1. Aktes bewältigte er Respekt gebietend. Die Strapazen des jahrzehntelangen Wagner-Singens werden mit der Zeit nicht unüberhörbar. Boaz Daniel war in jeder Faser der Sekretär bzw. Pressesprecher des „Oberförsters“ (vulgo Heerrufer), der, als ginge das gar nicht anders, mit seiner Aktentasche verwachsen ist und auch noch eine Hand frei hat, den Hut des „Oberförsters“, samt ausuferndem Gamsbart, zur Aufsicht zu übernehmen. Und sängerisch? Bariton: rollendeckend. Egils Silins war der ausdrucksstarke, metallische, stimm-stämmige Telramund, der, ohne peinlich anzumuten, seiner Gemahlin selbst in flatternden Unterhosen zurufen kann: „Erhebe dich, Genossin meiner Schmach…“
Linda Watson war die wuchtige Gemahlin als Ortrud, die erscheinungs- wie stimm-mäßig an Zeiten gemahnte, die so manche Opernfreaks als wohlig nostalgisch sehen. Eine Hochdramatische wie aus dem historischen Opernbilderbuch! Gleichwohl alle Facetten dieser dämonischen Opernfigur „auch heutig“ auslotend. Die Prüfstellen („Entweihte Götter…“) wurden souverän gemeistert. Und ausuferndes Vibrato ist glaubhaft übersteigertes Ausdrucksmittel einer abgründig bösen Person!
Der Chor der Wiener Staatsoper dröhnte sein „Für deutsches Land, das deutsche Schwert…“, dass die Ohren schlackerten. Das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper ließ sich ebenfalls nicht lumpen.
Karl Masek