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WIEN/ Staatsoper: LOHENGRIN

19.05.2016 | Oper

WIEN / Staatsoper: LOHENGRIN am 18.05.2016


Michaela Schuster (Ortrud). Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Bis gestern glaubten wir, dass es in der Wiener Staatsoper keine wirklich schlechten Wagner-Vorstellungen gibt – heute sind wir um eine Erfahrung reicher und um eine Illusion ärmer!

Wegen der Erkrankung von Jaap van Zweden übernahm Graeme Jenkins, der uns schon in drei Holländer-Serien nicht überzeugen konnte, das Dirigat dieser märchenhaften Oper, die so viel Einfühlungsvermögen und Zartheit erfordert. Nun gelang es dem britischen Maestro bereits im Vorspiel, dass er mit den Blechbläsern die Streicher so zudeckte, dass sich die überirdische Stimmung nicht einstellen konnte – es blieb Blasmusik mit Begleitung.

Das nächste Opfer war Michaela Schuster, die bei der Anrufung ihrer Götter so unter Druck gesetzt wurde, dass sie keine Chance hatte, den finalen Ausbruch bei „dass glücklich meine Rache sei!“ entsprechend vorzubereiten.

Eine weitere Ursache des negativen Gesamteindruckes lieferte (unverschuldet) der Staatsopernchor, der durch die Positionierung im geschlossenen Gastzimmer wie aus einem Schalltrichter verstärkt wurde und selbst noch bei den Galerie – Stehplätzen mit schmerzhafter Lautstärke ankam – diese Klangmassen, die nicht immer synchron mit dem Orchester waren, konnten von den Solisten natürlich nicht durchdrungen werden.

Die Inszenierung von Andreas Homoki, die den Geist der Geschichte so konsequent missachtet, stellt eine Respektlosigkeit gegenüber den Absichten Richard Wagners, aber auch jenes Teiles des Publikums dar, dem das Genie des Komponisten wichtiger ist als die Selbstdarstellung eines Regisseurs. Die „Grafen, Edle, Freie von Brabant“ als biersaufende, bayerische Wirtshausgesellschaft, König Heinrich als jovialer Bürgermeister/Oberförster oder was auch immer, Lohengrin mit einem Auftritt als hilflos zuckender Riesen – Embryo im Nachthemd und Herzogin Elsa von Brabant als geistig nicht ganz aufgeweckte Magd mit der Plastikgans verhindern auch beim sechsten Besuch dieser Inszenierung, dass sich Einsicht, Verständnis oder zumindest Gewöhnung einstellt – ganz im Gegenteil – die Enttäuschung und der Ärger werden immer größer. Was tun, wenn man auf die geniale, ergreifende Musik Richard Wagners nicht verzichten will?

Hatte uns in der Wiederaufnahme am 10. 05. der Luxus – Einspringer Klaus Florian Vogt noch gerettet, ist bei der von uns hier beschiebenen dritten Vorstellung der graue Alltag vollends eingekehrt. Herbert Lippert ersetzte den erkrankten Burkhart Fritz und konnte diesmal keinen fulminanten Eindruck, wie zuletzt als Bacchus, erzielen. Wie wir schon in Gaz feststellen mussten, liegt ihm der Lohengrin nicht optimal in der Kehle: zu hoch, zu dramatisch und emotional zu anspruchsvoll – keine Traumrolle für den wertvollen und verlässlichen Haustenor, dem zu seinen Nerven zu gratulieren und für die Bereitschaft, die Vorstellung zu retten, zu danken ist.

Camilla Nylund war – wie schon so oft als Elsa von Brabant – das herausragende Ereignis des Abends. Sie trifft mit ihrem edel klingenden Sopran alle Stimmungen perfekt: das verklärte Gebet, die Verzweiflung, die Zuversicht und die gütige, mitfühlende Siegerin – das alles wird durch eine Stimme ausgedrückt, die ebenso in der Lage ist, eine hysterische, hochdramatische Salome zu singen – Gratulation!

Der zweite Fixstern am Lohengrin-Himmel war auch diesmal Kwangchul Youn als König Heinrich der Vogler (es kann aber auch der Oberbürgermeister von Wolfratshausen gewesen sein). Sein tragfähiger, sonorer Bass erzeugt eine natürliche Autorität, die in dieser Inszenierung rettet, was noch zu retten ist. Sein Vibrato liegt für uns gerade noch in einem Bereich, in dem es als „edel“ bezeichnet werden kann – stärker sollte es aber nicht mehr werden!

Das „finstere Paar“ gestaltete den zweiten Akt zu einem Erlebnis. Thomas Johannes Mayer erlebten wir erstmals als Telramund und wurden in der Intensität der Darstellung an Falk Struckmann erinnert. Nach seiner gesundheitlichen Wiederherstellung hörten wir einen mächtigen, technisch guten, angenehm klingenden Bariton, der sowohl die brutalen Beschuldigungen als auch das weinerliche Selbstmitleid eindrucksvoll gestaltete. Michaela Schuster war in dieser dritten Vorstellung eine verschlagene, Furcht einflößende Ortrud. Sie hatte sich auf die „Eigenheiten“ des Dirigates bestmöglich eingestellt und ließ ihren hochdramatischen Mezzosopran beeindruckend strömen. Das Duett mit Elsa bis zum „Es gibt ein Glück, das ohne Reu’“ und die anschließende Orchesterpassage gehörte zu den berührendsten Momenten des Abends – hier merkt man beglückt, dass die Philharmoniker mit Rainer Küchl UND Rainer Honeck am Konzertmeisterpult gar nicht in der Lage sind, Wagners Musik nicht wunderschön zu spielen.

Das letzte Opfer dieser Inszenierung war Adam Plachetka als Heerrufer – oder eigentlich als Oberoffizial der oberbayerischen Forstverwaltung – ausgestattet mit Aktentasche und Jägerhut – dem man das Unbehagen ansehen konnte. Nach etwas verwackeltem Beginn gelang ihm in der Folge zumindest gesanglich eine respektable Leistung.

Betrachtet man die aktuellen Inszenierungen der Wagner-Opern, die ja fixer Bestandteil des Kernrepertoires der Wiener Staatsoper sind, ist Sorge angebracht. Immer mehr Werke werden dem Zeitgeist, bzw. den selbstdarstellerischen Vorstellungen von Regisseuren geopfert, denen offensichtlich die Ehrfurcht vor und die Liebe zu diesen Meisterwerken fehlt. Ein Holländer im marxistisch-leninistischem Umfeld mit emanzipatorischer Sendung, ein Tannhäuser der mit Gewalt zwischen Bordell und Irrenhaus angesiedelt ist, ein Lohengrin als Parodie in der süddeutschen Dorfidylle machen Angst vor dem neuen, in der nächsten Saison anstehenden Parsifal. Hoffnung gibt die Tatsache, dass es einen nichtssagenden, aber brauchbaren Ring, alte, aber noch immer gut funktionierende Meistersinger und einen gelungenen neuen Tristan gibt – und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Wollen wir das Zitat vom Zwischenvorhang „Es gibt ein Glück“ als Vesprechen für die nächsten Produktionen werten.

Maria und Johann Jahnas

 

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