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WIEN / Staatsoper: LOHENGRIN – 2. Aufführung in dieser Serie

Goldene Stimmen veredeln einen Lohengrin im Lodengrün mit Ablaufdatum

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Piotr Beczala (Lohengrin) und Camilla Nylund (Elsa). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: LOHENGRIN

2. Aufführung der laufenden Serie

20. April 2023

Von Manfred A. Schmid

Vorweg: Die Lobeshymnen für die Aufführung, mit der die derzeit laufende Lohengrin-Serie eröffnet wurde, werden auch von der zweiten vollauf bestätigt. Es fehlt zwar die Vergleichsbasis, aber erfahrungsgemäß kann davon ausgegangen werden, dass die Leistungen diesmal noch gediegener ausfallen, da das Ensemble noch besser aufeinander eingespielt ist, der „Premieren“-Stress wegfällt und man aus etwaig konstatierten, noch so minimalen Unpässlichkeiten gelernt und Konsequenzen gezogen haben dürfte. Jede Besucherin und jeder Besucher dieser Vorstellung kann sich daher glücklich schätzen, Augen- und Ohrenzeuge von viereinhalb wahrhaftigen Sternstunden in der Opernsaison 2022/23 gewesen zu sein.

Der von Andreas Homoki an- und ausgerichtete Lohengrin im Lodengrün wird durch goldene Stimmen jedenfalls enorm veredelt. Die exzellente Besetzung, die auch darstellerisch überzeugt, lässt sogar erkennen, dass die regieliche Grundidee Homokis, alles in einem Raum stattfinden zu lassen, so schlecht nicht ist. Auch die Personenführung erweist sich als weitgehend nachvollziehbar, wenn man vom peinlichen Plastikschwan und der Ankunft des Gralsritters, der in einem Nachthemd, wie dahingespien, auf dem Boden liegt, was sich bei der Ankunft von Elsas verschollenem Bruder Gottfried zum Überdruss nochmals wiederholt, einmal absieht. Das eigentliche Unheil kommt vielmehr von der unsäglich dummen Kostümierung aller Protagonisten in einem alpenländisch krachledernen Trachtenlook und einer Wirtshausatmosphäre, die vom Originalschauplatz Brabant galaxienweit entfernt sind. Wolfgang Gussmann, der dafür verantwortlich zeichnet, hätte dafür eigentlich auf ewig ein Opernverbot auferlegt werden müssen. Im Haus am Ring scheint er auch tatsächlich nicht mehr engagiert worden zu sein. Aber alle diese inszenatorischen Anmerkungen sind ohnehin nur noch ein Nekrolog auf eine lästige Episode. Eine Neuproduktion von Lohengrin in der kommenden Saison ist bereits beschlossen.

Nun zur viel wichtigeren, weil geradezu beglückenden musikalischen Dimension des Opernereignisses. Omer Meir Wellber am Pult des bestens eingestellten Staatsopernorchesters, ist der kundige, energiegeladene Garant einer nie langweilig werdenden, sondern stes äußerst abwechslungsreichen Aufführung. Die von glanzvollen Fanfaren angekündigten großen Aufmärsche rund um König Heinrich klingen so pompös und aufmerksamkeitsheischend, wie sie im der Partitur stehen, die ebenso mächtig angelegten Ensembleszenen mit bis zu fünf Solostimmen und dem exzellenten Chor, inklusive fallweiser Bühnenmusik, sind vortrefflich aufeinander abgestimmt, die intensiven Duette von Ortrud/Telramund und Elsa/Lohengrin lassen Emotionen hochkochen, während in den Vor- und Zwischenspielen, die meist die Umbauphasen überbrücken, das Orchester geradezu symphonisch die Stimmungslage der kommenden Geschehnisse ankündigt. Die Lautstärke geht manchmal an die Grenzen des Zuträglichen, was aber stets dramaturgisch gerechtfertigt ist, die Tempi stimmen. Schon möglich, dass manche Passagen etwas rascher scheinen als gewohnt, aber der Duktus überzeugt insgesamt. Die Blech- und Holzbläser, die Streicher und die Percussion haben viele Gelegenheiten, solistisch meisterhaft in Erscheinung zu treten.

Mit Camilla Nylund und Nina Stemme sind die beiden Rivalinnen vortrefflich besetzt. Stemmes Ortrud ist die mit zauberischen Fähigkeiten, aber auch mit Suggestionskraft ausgestattete Vertreterin der alten Ordnung, die sie gerne wieder an die Macht bringen möchte. Wie sie zu diesem Zweck Elsa geschickt manipuliert, verunsichert und schließlich zur verhängnisvollen, verbotenen Frage drängt, führt die dramatische Sopranistin eindrucksvoll vor. Auch ihre Beziehung zum Telramund dient im Grunde dem Erreichen dieses Ziels. Auch er wird von ihr manipuliert. Wenn Stemme am Ende des zweiten Aufzugs zufrieden lächelnd im Vordergrund steht, weiß sie, dass sie gewinnen wird. Gesanglich spürt man mit jedem Ton und jeder Phrase, dass hier eine bewährte Wagnersängerinnen am Werk ist. Die emotionalen Ausbrüche klingen zuweilen etwas scharf, was aber durchaus gut zur Rolle passt. Eine imposante Leistung, die auch darstellerisch überzeugt, weil Stemme den dämonisch-geheimnisvollen Charakter dieser Frau, der gewiss übel mitgespielt worden ist, in allen Schattierungen offenbart und sie als perfekte Meisterin psychologischer Beeinflussung glaubhaft auf die Bühne bringt.

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NIna Stemme (Ortrud) und Tomasz Konieczny (Telramund),

Camilla Nylund, ebenfalls eine Wagnersängerin mit breitgefächertem Repertoire von Strauss über Verdi bis Puccini, ist gesanglich ungemein facettenreich. Als Elsa ist sie zunächst die naive, unschuldige, ratlose junge Frau, die eines ungeheuerlichen Verbrechens beschuldigt wird und sich nicht dagegen zu wehren weiß, sondern einzig und allein auf Beistand von außen hofft. Als der Retter in der Person des geheimnisvollen Ritters erscheint, entdeckt sie sich in der Liebe zu ihm immer als Frau mit eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen. Sie blüht förmlich auf, beginnt Selbstbewusstsein zu gewinnen, wird aber in dieser Entwicklung von Ortrud gehemmt und mehr und mehr verunsichert, bis sie sich zu einem Schritt drängen lässt, den sie dann sofort zutiefst bereuen wird. Alles Glück ist dahin, wie ihr der frischangetraute Lohengrin klarmachen muss. Unsicherheit und Verlorenheit, aufkeimende Liebe, Verrat und Enttäuschung, diese Stimmungen werden von Camilla Nylund muskalisch fein ausgedrückt. Man bangt mit ihr von Anfang an mit, auch wenn man weiß, wie die Sache schließlich ausgehen wird.

Dass auch der Bariton Tomasz Konieczny zu den großen Wagnersängern der Gegenwart gehört, hat er in den letzten Jahren in Wien in zahlreichen Auftritten im Ring bewiesen. Koniecznys Gestaltung des Telramunds besticht – neben seinem in der Färbung der Vokalen unverwechselbaren Bariton als Markenzeichen – durch eine fein ausgearbeitete darstellerische Leistung, mit ausdruckstarken Gesten und geradezu sprechender Mimik. Wie er, nach der vernichtenden Niederlage im Gottesurteil völlig zerstört und gebrochen, allmählich wieder Fuß fasst und sich, angeleitet durch seine Frau Ortrud, gesellschaftlich rehabilitieren will, ist beeindruckend.

Alles überstrahlt an diesem Abend aber der Lohengrin von Piotr Beczala. Der wunderbare, einschmeichelnde Tenor des polnischen Sängers, der italienische Belcanto-Eigenschaften aufweist und dennoch genug Power für einen romantischen Held aufzubieten vermag, verleiht dieser rätselhaften Figur die Autorität und Kraft, die er braucht, um der Retter Elsas und Retter von Brabant werden zu können. Er verleiht aber auch der Sehnsucht nach Liebe und Glück beredten Ausdruck. Das Duett mit Elsa am Anfang des dritten Aufzugs ist an Innigkeit schwer zu übertreffen. Man ist hingerissen von Beczalas vielfältiger Ausdrucksfähigkeit und kann nur staunen, wie ungebrochen spannend und erregend die Gralserzählung am Ende eines mehr als viereinhalbstündigen Opernabends klingt.

Komplettiert wird das vortreffliche Ensemble durch die kraft- und eindrucksvollen Auftritte von Clemens Unterreiner als markiger Heerrufer und von Tareq Nazmi als nobler, edler und leutseliger Heinrich der Vogler.

Man darf weiter gespannt sein, was das Haus am Ring bis zum Ende der Saison noch zu bieten hat. Gut möglich, dass mit diesem Lohengrin der Gipfel bereits erreicht ist. Der enthusiastische Beifall legt nahe, dass diese begeisternde Gesamtleistung musikalisch nur sehr schwer zu toppen sein wird.

 

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