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WIEN/ Staatsoper: LES TROYENS. 4. Vorstellung

Keine Grand Opéra - und doch ganz große Oper

27.10.2018 | Oper


Das trojanische Pferd. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Wien / Staatsoper

Les Troyens von Hector Berlioz am 26. Oktober 2018                                                                    
4. Aufführung in dieser Inszenierung

 

Keine Grand Opéra – und doch ganz große Oper

 

Der Form nach – sowie in Anbetracht ihrer enormen Dimensionen und wegen der obligaten Balletteinlage – ist die Oper Les Troyens dem Genre der Grand Opéra zuzurechnen, es fehlt ihr dafür allerdings jeglicher Sinn für eine zusammenhängende, vorwärtsdrängende Handlung und sich (psychologisch) entwickelnde Charaktere. Das Ganze besteht vielmehr aus aneinandergereihten Tableaus, deren Sinnhaftigkeit und Einheit letztlich wohl nur in der romantischen Vision ihres genialen Schöpfers selbst zu finden ist. Hector Berlioz selbst bezeichnet sein monumentales Werk Les Troyens nicht als „Grand opéra“, sondern bevorzugt die Bezeichnung „Poeme lyrique“. Damit will er wohl darauf hinweisen, dass es weder dramatisch noch episch angelegt ist, sondern eher dem Umfeld seiner großen Orchesterwerke (Symphonie fantastique) und Vokalkompositionen (Romeo et Juliét) zuzurechnen ist. Dieses extrem romantische Konzept ist wohl auch der Hauptgrund dafür, warum es die Opern von Berlioz schon immer schwer haben, sich durchzusetzen.

Szenen im herkömmlichen Sinn setzten auf die Handlung. Bei den Tableaus von Berlioz hingegen geht es mehr um das Atmosphärische, um das Festhalten des Sinngehalts einer Begebenheit. Da wirkt jede einzelne Szene für sich, zugleich ist die Abfolge dieser einzelnen Szenen in ihrer dramaturgischen Unverbundenheit eine große Herausforderung. Man stürzt von einer schaurig-schönen Szene in die andere, taucht in sie ein und wird wieder hinauskatapultiert. Damit wird das Ganze zu einer fordernden Berg-und-Talfahrt der Gefühle. Die dramatische Handlung im Subtext spielt sich jedoch – noch dazu meisterhaft instrumentiert – in der Musik ab. Und das ist das Neue und Einzigartige an diesem Werk – und das, was diesen Abend zu einem unvergesslichen Erlebnis macht. Und die musikalische Seite in bei Alain Altinoglu in den allerbesten Händen. Er bringt die überreiche Partitur mit dem prächtig aufspielenden Staatsopernorchester so zum Blühen und Glühen, dass einem Hören und Sehen tatsächlich nicht vergeht.

Das Team rund um David McVicar (Regie) ist sichtlich bemüht, die Abfolge dieser – in den Chorszenen oft auch recht statisch wirkenden – Tableaus in eine Gesamtschau zu bringen. Dazu dient im Bühnenbild des Hollywood- und Arena-erfahrenen Es Devlin für den ersten und zweiten Akt (gewissermaßen also für das Vorspiel) die schier unbezwingbare Stadtmauer Trojas sowie das übermächtige, metallene Trojanische Pferd, das die bauliche Abwehrstrategie der Trojaner letztlich trickreich überwinden wird. Damit wird von Anfang an klar signalisiert, worum es hier geht: Um Krieg, Täuschung, List, Verlust und Verrat. Nicht zuletzt geht es in diesem Stück aber auch um Liebe, um ebenso große wie enttäuschte Liebe, die einer höheren Aufgabe wegen – der Gründung Roms – geopfert wird.  Kurz: Die übliche Geschichte eines sich zu Höherem berufen fühlenden Mannes, der wegen seiner hehren Mission dazu bereit ist, die so heißgeliebte Frau und eventuelles Familienglück auf dem Altar der missionarischen Pflichterfüllung preiszugeben. Und das nennt man dann Heldentum.

Im dritten Akt wird ein märchenhafter, aus Sand oder Lehm erbauter, nordafrikanisch-arabischer Palast in die Wüste gezaubert: Märchen werden selten wahr, und Träume sind Schäume, das muss die mehr als gastfreundliche Herrscherin in diesem Reich, Königin Dido, an eigenem Leib und an eigener Seele erfahren. Der vierte Akt ist dann in ein diffuses Ambiente getaucht, hier ist nichts mehr so recht greifbar. Balletteinlagen, zum Teil musikalisch sehr exotisch-afrikanisch angehaucht, schwirren durch die Gegend, und Didon und Enée verlieben sich, trotz anfänglicher Bedenken Didons ihrem verstorbenen Mann gegenüber, sterblich ineinander. Im fünften Akt, als Enée – bedrängt vom schlechten Gewissen Didon und seinem Auftrag gegenüber sowie nachdrücklich gemahnt von den unheimlichen Schatten der Vergangenheit – endlich die Segel setzen lässt,  um die Reise „gen Italien“ anzutreten, taucht im Hintergrund wieder das furchterregende, nun blutrot-bedrohlich flammende Trojanische Pferd auf, mit dem alles so verhängnisvoll begonnen hat.

Das Vorspiel rund um die Eroberung und Zerstörung Trojas gehört ganz und gar der großartigen Anna Caterina Antonacci, die als hellsichtige Cassandre die Bewohner Trojas vergeblich auf die drohende Gefahr aufmerksam macht und ihren Geliebten Chorébe (gut Adam Plachteka) – ebenso vergeblich – zur Flucht auffordert. Wie sie agitiert, sich engagiert und selbstlos auf ihr eigenes Liebesglück verzichtet, packt ungemein, denn sie erweist sich dabei – ihrer unbeugsamen Kompromisslosigkeit zum Trotz – in ihrem Innersten als ein fragiles, verwundbares Wesen. Ein gewichtiger Akteur im ersten und zweiten Akt ist zudem u.a. noch Anthony Schneider als Schatten des im Kampf gefallenen Hector.


Anna Caterina Antonacci. Copyright: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Dann gehört die Bühne – bis zum bitteren Ende – der herrlich singenden Joyce DiDonato als Didon und ihrem Kurzzeit-Lebensabschnittspartner Enée, ebenso intensiv und gefühlvoll verkörpert und gesungen von Brandon Jovanovich. Beide durchlaufen dabei so ziemlich alle vorstellbaren Werte auf der emotionalen Tonlagenskala und steigern sich in einen ekstatischen Liebesrausch hinein, aus dem es offenbar nur ein erschreckend ernüchterndes Aufwachen geben kann. Pflichtbewusstsein siegt über Liebe, und der Selbstmord Didons auf dem Altar unnütz geopferter Liebesgaben – inklusive ihrer eigenen Person – liefert dann doch noch das, was eine Grand Opéra im wahrsten Sinn des Wortes ausmacht: Ganz große Oper!

Aus dem großen personellen Aufgebot hervorzuheben sind beispielhaft noch der Chor, Jongmin Park als Narbal, Paolo Fanale als Iopas (bekommt Auftrittsapplaus), Rachel Frenkel als Enées Sohn Ascagne und Ensemblemitglied Margarita Gritskova, die als Didons Schwester Anna ein gelungenes Rollendebüt absolviert.

Der Applaus ist überschwänglich und geht über zehn Minuten, was nicht nur den zuletzt konstatierten Normalwert von fünf Minuten mehr als verdoppelt, sondern auch zeigt, dass sich das Wagnis und der Aufwand, Berlioz´ angeblich so sperriges Werk auf die Bühne zu bringen, mehr als gelohnt haben.

28.10.2018

Manfred A. Schmid


Brandon Jovanovich, Joyce DiDonato. Copyright: Wiener Staatsoper/ Christian Pöhn

 

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