Hoffmann (Dmitry KOrchak und seine Muse Gaëlle Arquez. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
11.9. 2019– LES CONTES D‘HOFFMANN: C’est la methode
91 Aufführungen hat diese Produktion von Offenbachs Opéra Fantastique schon auf dem Buckel, sagenhafte 26 Jahre ist sie alt, und doch wirkt sie in ihrer phantasievollen Ästhetik irgendwo zwischen Kafka und Dali so zeitnah und gültig, als hätte sie erst vor Kurzem ihre Premiere gefeiert. Sie stammt vom rumänischen Regisseur Andrej Serban, dem die Staatsoper auch den ebenfalls nach wie vor spielbaren Werther verdankt. Wohltuend sticht sie aus dem Einerlei der schwarzgrauen Einheitsquader zahlreicher anderer, auch jüngerer Inszenierungen wohltuend heraus, und man vermag sich lebhaft das Vergnügen in den Garderoben vorzustellen, wenn die Darsteller wieder in ihre markant-grotesken Kostüme (Ausstattung Richard Hudson) schlüpfen dürfen, sind sie doch sonst jetzt so oft dazu verurteilt, sich in einem nichtssagenden, pseudo-heutigen Straßenoutfit zu präsentieren.
Oper also ausnahmsweise einmal als Theaterereignis auch für die Augen. Aber auch die musikalischen Sinne kamen an diesem Abend auf ihre Rechnung, wofür unter den Sängern der Hauptrollen vor allem Dmitry Korchak in der Titelpartie und Gaëlle Arquez als sein Muse/Nicklausse verantwortlich zeichneten. Der russische Tenor begab sich nach kleinen Anlaufschwierigkeiten bereits mit einem schlacksigen Lied vom „Klein Zack“ in Position, an dessen Ende er auch erstmals seine kräftige Höhe zeigen konnte, mit der er im Laufe des Abends immer wieder Akzente zu setzen verstand. Seine Stimme, die man vom Klang her irgendwo im lyrischen Vorfeld von Shicoff einordnen könnte, ist technisch gut geführt und gestattet ihm über weite Strecken, die überaus fordernde Partie mit nobler Phrasierung zu bewältigen. Im Piano weicht er gelegentlich auf die Kopfstimme aus, vor allem im Duett mit Julietta, doch hat er anschließend doch noch ausreichend Reserven für einen dramatisch gestalteten Epilog. Die französische Mezzosopranistin ist ihm ein fürsorglicher Begleiter durch die Wirrnisse seiner Liebesabenteuer und lässt mit samtig-warmem Timbre aufhorchen. Überaus berührend gelingt ihr die Einleitung zur Schluss-Apotheose.
Was Olga Peretyatko betrifft, die sich der Herausforderung stellte, alle drei bzw. vier Liebhaberinnen des Hoffmann zu verkörpern, muss man leider feststellen, dass die Befürchtungen, die man nach der Begegnung mit ihrer Lucia im Frühjahr im Hinblick auf das ehrgeizige Unterfangen haben musste, sich vollinhaltlich bestätigt haben. Und diese wären schon im Hinblick auf die Olympia, die ihrem Fach noch am nächsten liegt, berechtigt gewesen; um wieviel mehr bezüglich ihrer Ausflüge an die Fachgrenzen (Antonia) bzw. darüber hinaus (Giulietta). Besonders fatal erwies sich dabei, dass die drei ganz unterschiedlich angelegten Frauen-Partien mit ihren je eigenen Anforderungen an ihre Interpretin gewissermaßen einen je spezifischen Blick auf die unterschiedlichen technischen Unzulänglichkeiten dieser Künstlerin eröffneten, die nur noch gelegentlich, sozusagen phrasenweise, verständlich machen kann, wie sie einmal einen so renommierten Wettbewerb wie Operalia gewinnen konnte. Das alles wurde andernorts schon umfänglich aufgezeigt, und die Figur des Frantz bringt es im 2. Akt auch direkt auf den Punkt: „C’est la methode“ – sodass man sich für diesmal darauf beschränken kann, das Event-hafte zu berichten, dass nämlich zu „guter“ Letzt die Schluss-Sequenzen des 1. und des 2. Aktes angepeilt, aber schlicht vollkommen in den Sand gesetzt worden sind, und der 3. Akt musikalisch vor allem in den Ensembles weitgehend ohne weibliche Hauptperson stattgefunden hat. Denn, und hier ist die Besetzungspolitik tatsächlich direkt anzufragen, die Stimme ist einfach zu klein für das Haus (oder wird so eingesetzt, dass sie zu klein erscheint). Wie gesagt, nichts, was nicht schon in der Lucia der vorigen Saison festzustellen gewesen wäre, und es sei der Einfachheit halber angenommen, dass es vertragsrechtliche Gründe hatte, die es verhindert haben, dass man nach dem damaligen Misserfolg für das gegenständliche Projekt nicht mehr umdisponieren konnte.
Weniger deutlich, aber auch nicht gerade enthusiastisch wird ein Kommentar zu Luca Pisaroni ausfallen, dem für die Verkörperung der vier Teufelsgestalten das Timbre, das Volumen und der schaurige Charakter fehlen, weshalb er wohl eher nur als Kompromissbesetzung bezeichnet werden kann. Dafür erweist sich der junge Michael Laurenz aus Deutschland als wirklicher Gewinn für das Ensemble, dem man bedenkenlos die vier Diener-Gestalten (Andrés, Cochenille, Frantz, Pichichinaccio) anvertrauen kann und der namentlich im Antonia-Akt mit seiner kleinen Solo-Szene in Erinnerung bleibt.
Zoryana Kushpler gab eine markante Stimme der Mutter (Antonias) – und verwies im Duett mit ihrer Tochter diese klar in die zweite Reihe; aus den kleineren Rollen des Herren-Ensembles (Igor Onishchenko, Lukhanyo Moyake, Alexandru Moisiuc, Samuel Hasselhorn) stachen Dan Paul Dumitrescu als Vater Antonias und – natürlich – Clemens Unterreiner als Schlémil hervor, Fr. Peretyatko wurde im Epilog von Margarita Gritskova und Diana Nurmukhametova unterstützt.
Das Orchester der Wiener Staatsoper sorgte unter der Leitung von Frédéric Chaslin für eine solide Umsetzung der schillernden Partitur Offenbachs. Der in dieser Fassung auch szenisch reichlich geforderte Chor der Wiener Staatsoper war von Thomas Lang einstudiert und erfüllte seine Aufgabe, abgesehen von einigen etwas „verschobenen“ Einsätzen, wie gewohnt. Das Publikum war nicht allzu kritisch, hielt sich zwar während der Vorstellung mit Szenenapplaus zurück, spendete schließlich aber einhellig Beifall, am meisten (zu Recht) Hrn. Korchak – insgesamt aber, wohl angesichts der sehr fortgeschrittenen Stunde, nicht allzu lange.
Valentino Hribernig-Körber