
Ensemble im Bühnenbild von Jürgen Rose. Foto: Wiener Staatsoper / MIchael Pöhn
WIEN / Staatsoper: L’ELISIR D’AMORE
263. Aufführung in dieser Inszenierung
25. Oktober 2022
Von Manfred A. Schmid
Otto Schenks liebevolle inszeniertes Melodramma giocoso von Gaetano Donizettis aus dem Jahr 1980, im Sonnen durchfluteten Bühnenbild von Jürgen Rose, macht einfach Freude. Eine museale Angelegenheit? Gewiss. Aber was ist so falsch daran? Manchmal geht man eben gerne ins Kunsthistorische Museum, bewundert alte Meister und freut sich, Gemälde bewundern zu können, bei denen die passenden historischen Rahmen noch nicht durch welche aus Aluminium ersetzt worden sind. Und wenn man Lust hat, besucht man zur Abwechslung wieder einmal ein Museum (!) der Moderne. Dass Angenehme an der Staatsoper ist ja, dass man im selben Haus Altes und Neues präsentiert bekommt. Manchmal auch Altes im neuen Rahmen, der nicht unbedingt zum Werk passen muss. Das nennt man dann Regietheater. Aber es gibt auch Regietheater, bei dem der neue Rahmen so wirkt, dass man das Werk in einem neuen Licht sieht und Facetten erkennt, die man früher nicht wahrgenommen hat. Ob es im Falle von Donizettis Liebestrank aber Sinn machen würde, die Oper auf der Tankstelle eines etwas heruntergekommenen alpenländischen Dorfes in der Nachkriegszeit spielen zu lassen, und die Tankstellenpächterin Adina, weil den sie heftig liebenden, derzeit arbeitslosen Hilfsarbeiter Nemorino gar so schlecht und streng behandelt, als sadistische Domina zu entlarven, bleibe dahingestellt. Da ist einem Schenks nicht ohne feine Ironie auskommende Dorfidylle wohl lieber.
Interessanterweise wurden die Aufführungen ab 1993 auf den Programmzetteln stets mit dem Vermerk „Inszenierung nach Otto Schenk“ angeführt. Nun ist dort wieder „Inszenierung Otto Schenk“ zu lesen. Der Eindruck, dass diesmal mit besonders viel Herz gespielt wird, dass man, bei aller Komik, die Personen und ihre Gefühle wieder besonders ernst zu nehmen scheint, legt nahe, dass hier tatsächlich eine intensivere Vorbereitung stattgefunden habe könnte. Vielleicht eine Verbeugung vor dem Altmeister, dessen – allerdings schon jahrelang nicht mehr aufgeführten – Meistersingern es demnächst an den Kragen geht.
Eine Freude ist es, Maria Nazarova als entzückende Adina wiederzusehen und zu hören. Ihr silbrig schimmernder, Wärme verstrahlender Sopran bewährt sich auch in den Koloraturen bestens. Ihre reuevolle Einsicht, mit ihrem provokant zur Schau gestellten Desinteresse den Bogen überspannt und Nemorino, den sie liebt, an den Rand der Verzweiflung gebracht zu haben, klingt wahrhaftig. Sie wird alles tun, um das wiedergutzumachen und dem gemeinsamen Glück nicht im Wege zu stehen, und bekundet das in der Arie und in ein Duett übergehenden „Prendi, per me sei libero“ , in der sie ihm ihre Liebe und innige Zuneigung endlich gesteht. Nicht weniger eindrucksvoll und von spielerischer Lust geprägt ist ihr ausgelassenes, parodistisch ausgestaltetes Duett mit dem Quacksalber Dulcamara im 1. Akt
Alex Esposito ist ein hinreißend komödiantischer, mit einer breiten gesanglichen Ausdruckspalette ausgestatteter Dulcamara. Nicht, wie so oft, ein beleibterer Kerl, sondern eine drahtige, höchst agile Erscheinung, verkörpert er einen mit allen Wassern gewaschene Verführungskünstler. Ein geschäftstüchtiger An-den-Mann und An-die-Frau-Bringer seiner dubiosen Heilmittel. Köstlich seine Überraschung, als er entdeckt, dass sein angeblicher Liebestrank bei Nemorino tatsächlich gewirkt haben dürfte, weil ihm plötzlich alle Dorfmädchen nachlaufen, was aber nur der Erbschaft zu verdanken ist, die dieser gemacht hat.
Auch Bogdan Volkov ist nicht nur ein hervorragender Sänger mit heller, einschmeichelnder Tenorstimme, fein zu hören in seiner Parade-Arie „Una furtiva lacrima“, sondern auch darstellerisch ein Vergnügen. Naiv und nicht besonders hell, aber überaus sympathisch. Man versteht, dass die belesene und reiche Gutspächterin Adina an ihm Gefallen gefunden hat, weil sie seine inneren Werte, seine Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit und Treue schätzt. Besonders gelungen sind ist sein Auftritt, als er, vom „Liebestrank“, laut Eingeständnis Dulcamaras nur ein simpler Rotwein, angeduselt, den beschwingten Liebeswerber mimt und, als er von Adina ignoriert wird, ebenfalls Desinteresse vortäuscht.
Der versierte, stimmlich eindrucksvolle Davide Luciano, tritt als Belcore Adina gegenüber nicht, wie von ihm selbst angekündigt, als galanter Offizier auf, sondern mit viel Komik. Als sie auf sein Werben hin sofort Ja sagt und in eine Hochzeit einwilligt, wirkt er selbst überrascht, obwohl er sich von seiner Ausstrahlung und Attraktivität schon sehr überzeugt zeigt. Als nicht daraus wird, wirkt er fast erleichtert: Es warten ja noch Tausende Bräute auf ihn, in aller Welt.
Miriam Kutrowatz, seit Saisonbeginn Mitglied des Opernstudios, hat am Haus als Papagena debütiert und ist eine ansprechend singende Gianetta, die bei ihren Auftritten die Aufmerksamkeit auf sich zieht
Gerhard Berndl, Solotrompeter auf der Bühne, in Bestform, was auch für den Chor, geleitet von Martin Schebesta, gilt. Die gesanglich und darstellerisch überaus erfreuliche Aufführung wird mit einhelligem, aber überraschend kurzem Beifall bedacht. Der Grund dafür mag in den nicht so überzeugenden Klängen liegen, die diesmal aus dem Orchestergraben kommen. Unter der Leitung von Gianluca Capuano wird solide musiziert, die Aura des Außergewöhnlichen will sich aber nicht so recht einstellen. Das melancholische Fagott in der Einleitung zur Nemorinos Klage kommt in den ersten Tönen etwas verhuscht daher. Symptom einer nicht ganz stimmigen Abendverfassung. Trotzdem: Der Besuch dieser Aufführung ist ein erholsamer, wohltuender, erfrischender Kurzausflug in südliche Hemisphären. Zweieinhalb Stunden Urlaub im sonnigen Italien. Donizetti, Schenk, dessen Bühnenbildner Rose und dem als Reiseführer fungiernden Ensemble sei herzlich gedankt.