WIEN / Staatsoper: „LE NOZZE DI FIGARO“ – 16.05.2022

Isabel Signoret, Michael Nagy und Regula Mühlemann. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Am 10. Mai 1977 hatte die Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle Premiere an der Wiener Staatsoper. Herbert von Karajan dirigierte, und eine Besetzung, die bis in die kleinste Partie luxuriös besetzt war (Tom Krause, Anna Tomowa-Sintow, Ileana Cotrubas, José van Dam, Frederica von Stade, Jane Berbié, Heinz Zednik, Kurt Equiluz, Jules Bastin, Zoltán Kelemen, Janet Perry) bescherte dem Wiener Publikum eine glanzvolle Premiere. Die Inszenierung war eine Übernahme von den Salzburger Festspielen. In der dortigen Premiere 1972 sang übrigens die vor drei Tagen verstorbene Teresa Berganza den Cherubino. Heute stand diese Inszenierung wohl endgültig zum letzten Mal auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper.
In den insgesamt 260 Vorstellungen dieser Produktion konnte ich in den letzten 45 Jahren viele großartige Sänger sehen. Als Graf Almaviva habe ich u.a. Thomas Allen, Wolfgang Brendel, Thomas Hampson, Simon Keenlyside, Claudio Nicolai, Ruggero Raimondi, William Shimell, Ludovic Tézier, Eberhard Waechter und Bernd Weikl, als Gräfin Almaviva u.a. Renée Fleming, Barbara Frittoli, Anja Harteros, Soile Isokoski, Gundula Janowitz, Adrianne Pieczonka, Lucia Popp, Margaret Price und Cheryl Studer, als Susanna u.a. Diana Damrau, Edith Mathis, Marie McLaughlin und Lucia Popp, als Figaro u.a. Carlos Álvarez, Ildebrando d’Arcangelo, Walter Berry, Ferruccio Furlanetto, Hermann Prey, Samuel Ramey, Erwin Schrott, Giuseppe Taddei und Bryn Terfel, als Cherubino u.a. Agnes Baltsa, Elina Garanca, Susan Graham, Vesselina Kasarova, Sophie Koch, Ann Murray und Trudeliese Schmidt erleben können.
Vor allem die Aufführungen, die unter der musikalischen Leitung von Herbert von Karajan, Karl Böhm, Erich Leinsdorf, Christian Thielemann und Riccardo Muti standen, kann man heute bereits als Sternstunden bezeichnen.
Nun also heute Abend die 260. und höchstwahrscheinlich allerletzte Aufführung in dieser Inszenierung mit einem größtenteils jungen Ensemble. Einen Namen habe ich im letzten Absatz nicht extra erwähnt, denn er stand an diesem Abend am Pult: Adam Fischer. Auch er hat schon für viele Mozart-Sternstunden gesorgt und war auch hauptverantwortlich für den großen Erfolg dieser letzten Vorstellung. Fast bis zum Ende der Saison haben wir warten müssen, bis wir endlich in dieser Spielzeit ein großartiges Mozart-Dirigat an der Staatsoper erleben durften. Fischer kennt die Partitur auswendig, er lebt Mozart, er liebt Mozart, er atmet Mozart, und er atmet mit den Sängern, eine Eigenschaft, über die viele Dirigenten heute nicht mehr verfügen. Bereits die Ouvertüre geriet fulminant, und bis zum Schlusston konnte Fischer die Spannung aufrechterhalten. Nach diesem Abend kann man sich nur wünschen: bitte mehr Mozart-Abende mit Adam Fischer am Pult!
Michael Nagy, den wir bereits aus dem Theater an der Wien kennen (etwa in „La finta giardiniera“ oder „Hans Heiling“) debütierte in dieser Serie an der Wiener Staatsoper als Graf Almaviva. Er stellt einen eifersüchtigen Macho dar und konnte mit seinem kernigen, dunklen Bariton gefallen.
Als Maria Bengtsson als Gräfin Almaviva ihre Arie „Porgi amor“ mit viel zu viel Druck und starkem Vibrato sang, musste man schon um den weiteren Verlauf des Abends bangen, doch sie steigerte sich rasch und gestaltete ihre Arie im dritten Akt („Dove sono“) bereits in gewohnter Qualität mit berückend schönen Piani und starkem Ausdruck.
Regula Mühlemann ist eine entzückende und resolute Susanna, der niemand widerstehen kann. Sie besitzt zwar keine große, aber tragfähige Stimme. Besonders die Rosenarie geriet ihr schön (mit Ausnahme des Abstiegs bei „… notturna face“, der leider offenlegt, dass die Stimme in der Tiefe wenig Fundament besitzt).

Peter Kellner. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Die beste Gesangsleistung kam von Peter Kellner, der sich damit wohl endgültig in die erste Reihe der Mozart-Sänger katapultieren konnte. Die Intendantin der Grazer Oper, Nora Schmid, hat den slowakischen Bass bei einem Gesangswettbewerb entdeckt und sofort nach Graz engagiert, wo er 2015-2018 Ensemblemitglied war, bevor er dann ins Ensemble der Wiener Staatsoper wechselte. Ich konnte ihn in Graz in vielen Partien hören, u.a. als Basilio im „Barbier von Sevilla“, als Osmin, als Lord Sydney in Rossinis „Il viaggio a Reims“, als Plumkett in Flotows „Martha“ und bereits dort als Figaro. Es ist sehr erfreulich zu sehen, wie er sich in den wenigen Jahren entwickelt hat. Die Stimme ist voller und größer geworden, er phrasiert sehr schön, verfügt über gute Höhen und ist auch spielfreudig und darstellerisch überzeugend.
Isabel Signoret aus dem Opernstudio war ein bezaubernder Cherubino. Es ist schon erstaunlich, wie viele gute Sänger sich derzeit in unserem Opernstudio befinden.
Stephanie Houtzeel als Marcellina, Robert Bartneck als Don Basilio, Andrea Giovannini als köstlich stotternder Don Curzio, Evgeny Solodovnikov als Don Bartolo, Marcus Pelz als Antonio und Johanna Wallroth als Barbarina ergänzten mit viel Spielfreude das Ensemble.
Am Schluss gab es großen Jubel für die Sänger aber vor allem für Adam Fischer.
Wer weiß, was sich Barrie Kosky im nächsten Jahr für die Neuinszenierung von Mozarts „Le nozze di Figaro“ einfallen lassen wird. Nach seinem „Don Giovanni“ sehe ich dieser Premiere mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Als sich heute Abend der Vorhang zum letzten Mal nach diesem tollen Tag gesenkt hat, überkam mich schon so etwas wie Wehmut. Eine Mozart-Ära an der Wiener Staatsoper ist heute zu Ende gegangen.
Walter Nowotny
Die Aufnahme der Premiere dieser Produktion vom 10. Mai 1977 ist bei ORFEO auf CD veröffentlicht worden.
Und eine Video-Aufzeichnung dieser Produktion aus dem Jahr 1980 anlässlich eines Gastspiels der Wiener Staatsoper in Japan unter Karl Böhm mit Bernd Weikl, Gundula Janowitz, Lucia Popp, Hermann Prey und Agnes Baltsa kann man bei youtoube sehen: https://www.youtube.com/watch?v=30-vsvbyVR4