
Isabel Signoret (Cherubino), Michael Nagy (Graf Almaviva), Regula Mühlemann (Susanna). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
WIEN / Staatsoper: Jean-Pierre Ponnelles LE NOZZE DI FIGARO
256. Aufführung in dieser Inszenierung
3. Mai 2022
Von Manfred A. Schmid
Dass es doch noch ein guter, letztlich sogar ausgezeichneter Opernabend werden soll, ist nach dem 1. Akt nicht zu erwarten. Glanzlos schleppt er sich dahin. Der Funken will nicht und nicht überspringen. So sehr sich Adam Fischer im Orchestergraben auch darum bemüht, das Geschehen auf der Bühne bleibt saft- und kraftlos. Da können sich auch Figaro und seine Susanna noch so sehr anstrengen, völlig unvermutet beginnen Zweifel am legendären Rang der aus dem Dornröschenschlaf wiedererweckten Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle aus dem Jahr 1977 aufzukeimen. Man ist tatsächlich nahe daran, sich nach der doch so ungeliebten Inszenierung von Jean-Louis Martinoy im Bühnebild Hans Schavernoch zu sehnen. So schööön, so vorgestrig und so uninspiriert mutet das Dargebotene an. Als dann der Vorhang fällt und vom Bühnenpersonal gerafft und gezupft wird, um den eher flauen Applaus anzustacheln und den Auftritt des Ensembles vor dem Vorhang vorzubereiten, ist das Ergebnis so kläglich, dass der Applaus zu verebben droht, bevor noch die letzten Sänger wieder abgetreten sind.
Im 2. Akt kehrt der zuvor so vermisste Esprit, den man mit Le nozze di Figaro und mit der Ponnelle-Inszenierung verbindet, allmählich zurück. Die Cavatine der Gräfin, „Porgi, amor, qualche ristoro“ hat zwar noch nicht die von Maria Bengtsson zu erwartende, ausdrucksstarke Qualität. Diese kommt eigentlich erst im 3. Akt, in der tieftraurigen, emotionsstarken Arie „Dove sono i bei momenti“ voll zur Geltung, dann aber umso bezwingender. Wie da Bengtsson in der Reprise in feinstem Pianissimo die Verletzlichkeit und den wehmutsvollen Seelenschmerz der Gräfin Almavia offenlegt, berührt ungemein und bestätigt, warum diese Sängerin gegenwärtig als eine der besten Gestalterinnen dieser Rolle gilt. Voll erblüht sind im 2. Akt allerdings längst Regula Mühlemann als aufgeweckte Susanna und Peter Kellner bei seinem Rollendebüt als hochpräsenter, spielfreudiger und stimmlich überzeugender Figaro. Beide sind hervorragend aufeinander eingespielt. Kein Wunder, sind sie in diesen Rollen doch gerade erst vor knapp einem Monat in Berlin, unter der Leitung von Daniel Barenboim, auf der Bühne gestanden.

Peter Kellner (Figaro).
Ihnen zu Seite steht der umtriebige Cherubino. Isabel Signoret, Mitglied des Opernstudios, gibt bei ihrem Rollendebüt ein starkes Zeichen ihres Könnens, das sie u.a. auch schon als Tisbe in La Cenerentola und als Mercédès in Carmen unter Beweis gestellt hat. Stimmlich und darstellerisch eine Freude, besonders nachdem sich die in „Non so più cosa son, cosa faccio“ noch spürbare Nervosität gelegt hat und sie die Arietta „Voi che sapete che cosa è amor“ frei und mit jugendlichem Übermut zum Besten gibt. Eine Sängerin, die ihre Chancen nachhaltig zu nützen weiß.
Das Hausdebüt von Michael Nagy als Graf Almaviva fällt nicht ganz ungetrübt aus. Sein Bariton klingt etwas eindimensional und lässt an Farbigkeit zu wünschen übrig. Graf ist er – auch darstellerisch – keiner, eher doch nur das von Figaro in „Se vuol ballare, signor Contino“ verspottetes Gräflein.
Für komische Akzente sorgen Stephanie Houtzeel und Evgeny Solodnikov als Marcellina und Don Bartolo. Die Szene, wenn sie sich dem verdutzten Figaro als dessen Eltern „outen“, gehört zu den – auch musikalischen – Highlights des Abends, woran der gekonnt stotternde Notar Don Cuzio von Andrea Giovannini ebenfalls einen Anteil hat. Einen komödiantisch wirksamen Auftritt kann auch Marcus Pelz als rechthaberisch faselnder Gärtner Antonio für sich verbuchen. Robert Bartneck ist eine tadellose, rollendeckende Hausbesetzung für den Don Basilio.
Wie Signoret ebenfalls aus dem Opernstudio kommt Johanna Wallroth. Die Cavatine der Barbarina, „L’ho perduta… me meschina“, mit der sie den letzten Akt eröffnet, gelingt ihr ausgezeichnet.
Adam Fischer am Pult Staatsopernorchester zeichnet in bewährter und engagierter Manier für einen schließlich doch noch rechtzeitig in die Gänge gekommenen und gelungenen Opernabend vreantwortlich. Die legendäre Ponnelle-Inszenierung hat ihre Qualitäten – spät aber doch – noch aufzeigen können. Die Szene mit den Landfrauen beim Überreichen ihrer Blumensträuße an die Gräfin ist ein Juwel der Personenführung, und der Unmut der Bauern und des Gesindes, der lautstark in den Palast hereinweht, wenn der Graf das Tor öffnet, zeigt, dass der Aufstand des Volkes, die Revolution, schon vor der Tür steht. Es sind vor allem diese feinen Details, die die Größe des Bühnen-Genies Ponnelle belegen. Schade, dass dieser Zauber bald wieder aus dem Repertoire verschwinden wird. Barry Koskies angekündigte Neuinszenierung steht nämlich ebenfalls schon vor der Tür wird nicht lange auf sich warten lassen. Nach seinem wenig versprechenden Don Giovanni wäre das durchaus auch als Drohung zu verstehen.
4.5.2022