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WIEN / Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO

Barrie Koskys Figaro-Inszenierung: Das Non plus ultra komischer Auslotung

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Andrè Schuen (Graf Almaviva), Hanna-Elisabeth Müller (Gräfin Almaviva). Alle Fotos: Wiener Staatsoper /Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO mit bewährten Kräften

20. Aufführung in dieser Inszenierung

22. September 2024

Von Manfred A. Schmid

Die Comedia per musica rund um die von Graf Almaviva lüstern verzögerte Verehelichung Figaros mit der Kammerzofe Susanna ist das Meisterstück in Barrie Koskys Mozart/Da Ponte-Zyklus an der Staatsoper, der zum Saisonende im Juni mit der Premiere der irgendwie unfertig und überhastet wirkenden Cosi fan tutte seinen Abschluss fand. In La nozze di Figaro passt alles zusammen, Musik, Regie, Bühne (die etwa im Don Giovanni den Gesamteindruck empfindlich mindert) und Libretto. Die bis ins Detail ausgefeilte Personenführung und die hinsichtlich Komik erfindungsreich ausgelotete Handlung sind so gefinkelt, dass man bei jedem Besuch neue Entdeckungen macht, selbst in den kleinsten Begebenheiten. Sei es beim Aufeinandertreffen von  Marcellina und Susanna im ersten Akt, wenn sie einander als Komplimente verpackte Gemeinheiten an den Kopf werfen und Susanna die Rivalin mit einer Ladung Spray verjagt, bei der als Strafaktion anzusehenden Ernennung Cherubinos zum Leutnant, wenn Kosky gleich eine kleines Bataillon von strammen Soldaten aufmarschieren lässt, oder beim Hochzeitständchen der Mädchen, wenn sich der entgegen dem Befehl noch nicht abgereiste Cherubino unter sie mischt und falsch mitsingt. Fein konzipiert sind auch die Aktschlüsse, in denen immer eine Person im Mittepunkt steht und übrigbleibt, nachdem alle anderen bereits die Bühne verlassen haben. Im ersten Akt ist es Susanne, die ratlos verweilt und wohl darüber nachsinnt, wie sie mit den Avancen Almavivas umgehen sollte. Im zweiten Akt steht der verdutzte Cherubino da, verzweifelt das ihm unvermittelt übergebene Gewehr in Händen und dessen Schaft zwischen seine Oberschenkel geklemmt. Die von ihrem Gatten betrogene und zutiefst gekränkte Gräfin steht am Ende des dritten Akts todtraurig und verlassen in der Ecke. Nur Susanne dreht sich beim Verlassen des Raums noch einmal besorgt um, kann aber auch nicht helfen, geht ab und lässt sie in ihrem Elend. Erst am Schluss, bei der Absolution durch das generelle „Perdono“, nach dem etwas öde als Deckel-auf-Deckel-zu inszenierte Verwirrspiel, stehen alle Beteiligte, vorübergehend ausgesöhnt, nebeneinander auf der Bühne. Doch auch da greift Kosky ein und gibt dem Ganzen eine pfiffige Wendung: alle Paare sind glücklich vereint. Nur die Gräfin steht nicht neben ihrem Mann.

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Peter Kellner (Figaro), Slávka Zámecníkova (Susanna)

Bis auf das Rollendebüt des deutschen Charaktertenors Michael Gniffke, der einen schmierigen, einschmeichelnden, intriganten Basilio abgibt und sich auch stimmlich gut einfügt, kommen in dieser Aufführung bewährte und aufeinander schon eingespielte Kräfte zum Einsatz. Die meisten sind Hausbesetzungen, die mit erfreulichen Leistungen am Gelingen eines unterhaltsamen und gesanglich sehr homogenen Opernabends beitragen. Eine Ausnahme ist die junge Sopranistin Hannah-Theres Weigl, die derzeit als Mitglied des Opernstudios ihre Ausbildung bei Daniela Fally und Angelika Kirchschlager perfektioniert, aber schon beachtliche Erfahrungen auf der Bühne vorweisen kann, feiert ein rundum gelungenes Hausdebüt als Barbarina. Zu Gast sind Andrè Schuen und Hanna-Elisabeth Müller als Graf und Gräfin.

Der aus dem ladinischen Teil Südtirols stammende Bariton Andrè Schuen hat in Wien schon 2014 in Harnoncourts Da-Ponte-Zyklus als Figaro, Don Giovanni und Guglielmo auf sich aufmerksam gemacht, war an der Staatsoper ein ausgezeichneter Titelheld in Eugen Onegin, bei den Salzburger Festspielen der schurkische Gangsterboss-Almaviva in Kusejs Nozze im Mafiamilieu.  Er kann seinen guten Ruf als Almaviva erneut bestätigen. Mit samtigem Bariton gestaltet er einen eleganten, virilen Grafen, der immer auf erotische Abenteuer aus ist, aber auch von Eifersucht angetrieben ist und spürt, dass seine Machtbasis zu bröckeln beginnt.

Hannah-Elisabeth Müller nimmt man die leidende, traurige Gattin eines adligen Schmalspur-Don-Giovannis gerne ab, die bei Kosky in ihrem Frust aber durchaus auch beim jugendlich-leichtsinnigen, stürmischen Cherubino, von Isabel Signoret umwerfend quirlig und hyperaktiv dargestellt, Trost sucht. Auch wenn sie in der Arie „Dove sono i bei momenti“ trotz der Demütigung ihre Liebe zu Almaviva bekräftigt. Wieweit sie dabei gehen könnte, bleibt offen. Im Schlussbild steht jedenfalls Cherubino an ihrer Seite.

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Isabel Signoret (Cherubino)

Slavka Zamecníkova ist eine bezaubernde Susanna, lebensklug und gewitzt weiß sie die Nachstellungen des Grafen zu ihren Gunsten zu nützen. In der Verkleidung als Gräfin im vierten Akt zeigt sie, dass sie durchaus auch das Zeug zu einer wirklichen Gräfin hätte.

Peter Kellner als Figaro ist der Mann, der den Grafen herausfordern will. Ein sympathischer, lockerer junger Kerl, den Susanna so sehr liebt, dass sie ihn glauben lässt, dass er die Fäden zieht, obwohl eigentlich sie es ist, die das Heft in der Hand hat und unmittelbar und improvisierend auf heikle Situationen zu reagieren versteht.

Ähnlich verhält es sich mit dem Komik-Paar Marcelina und Bartolo. Auch hier ist es die Frau (quicklebendig und urkomisch Stephanie Houtzeel), die den Ton angibt und den gutmütigen Mann (Stefan Cerny) dirigiert.

Geradezu eine Luxusbesetzung ist Wolfgang Bankl als Gärtner Antonio, Andrea Giovannini gibt einen verhaltensorigineller Notar Don Curzio, der ausnahmsweise nicht stottert, sondern an Asthma leidet und unablässig für Sauerstoffzufuhr aus der Dose sorgen muss.

Bei Ivor Bolton ist Mozart in besten Händen, beim Orchester ohnehin. Zu loben auch der emsige Chor und Stephan Hopkins am Hammerklavier.

Applaus: Fünf Minuten. Was dem langjährigen Durchschnitt entspricht, obwohl dieser Opernabend gewiss keine Durchschnittsware ist und Barrie Koskys die witzigste und unterhaltsamste Figaro-Inszenierung, die ich kenne.

 

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