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WIEN / Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO

Selten so viel und herzlich gelacht - und doch gibt es auch erschütternde Momente

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Philippe Sly (Figaro) und Slávka Zamecnikova (Susanna). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO

17. Aufführung in dieser Inszenierung

10. Mai 2024

Von Manfred A. Schmid

Dass sich Barrie Koskys Inszenierung als sehr repertoiretauglich erweisen wird, weil sie reich an witzigen Einfällen ist, die auch nicht so kunstbeflissene Besucher und Touristen gut unterhalten werden, hat sich schon bei der Premiere abgezeichnet. Es ist dem regielichen Tausendsassa tatsächlich viel – zuweilen allzu viel – eingefallen, um die von Lorenzo Da Ponte und Mozart kongenial erstellte „comedia per musica“ mit allerlei Slapstick und Gimmicks aufzupeppen. Bei der Fülle an Späßen droht die Musik manchmal allerdings etwas in den Hintergrund zu geraten und erinnert an Zeichentrickfilme Marke Tom & Jerry aus Hollywood, die auch von bekannten klassischen Musikstücken untermalt werden. Einige der Gags hingegen sind besonders gelungen, wie etwa das Versteckenspiel unter Leintüchern oder die herrlich aufbereitete „Sua Madre, Sua Padre“-Szene. Dass ausgelassener Komik immer auch eine tragische Komponente innewohnt, wird von Kosky ebenfalls angemessen gewürdigt. Als Almavivva glaubt, seine Frau beim Ehebruch ertappt zu haben, behandelt er sie in seinem Zorn und in seiner Verachtung wie eine Hure und macht sich daran, sie brutal zu vergewaltigen, was nicht ausgeführt wird, weil Susanna aus der verschlossenen Kammer kommt, in der er fälschlicherweise seinen Nebenbuhler vermutet hat. Ein harter Schock, bei aller Drastik aber durchaus berechtigt. Kein Wunder, dass dann in der Schlussszene im Dritten Akt, wenn der Graf und die Gräfin allein sind, sich offensichtlich nichts mehr zu sagen haben, sie schweigend dasitzen, bis er sie mit einer Geste seiner Hand auffordert, an seiner Seite Platz zu nehmen, um die erwartete Huldigungen des Personals bei der Hochzeitsfeier entgegenzunehmen: Trister lässt sich die Entfremdung in einer zerrütteten Ehe nicht schildern. Und da es vor allem die Gräfin Almaviva ist, die darunter leidet, bleibt sie, als alle frohgemut trällernd den Raum verlassen, allein in stummer Traurigkeit zurück. Das berührt nicht nur ihre Zofe Susanna, die einen besorgten Blick auf ihre Herrin zurückwirft, bevor sie entschwindet, sondern auch das Publikum. Und die Gräfin steht da und kann das alles nicht fassen. Die Bühne verdunkelt sich. Der schwarze Vorhang fällt. Aus.

Es geht aber weiter. Der Vierte Akt, in dem die Eifersucht der Männer von den Frauen mittels einer listigen Maskerade lächerlich gemacht wird, findet auf einer schrägen Plattform mit Luken statt. Das stete Aufklappen, Auftauchen, Verschwinden und Zuklappen, eine Variation der burlesken Tür-auf-Tür-zu-Technik, ist zunächst eine reizvolle Überraschung, wird dann aber doch bald ziemlich ermüdend. Ein sinnvoller Zusammenhang dieser merkwürdigen Konstruktion mit den Schauplätzen der vorangegangenen Akte, die alle auf einen schon etwas heruntergekommenen Palast aus der Zeit des spätbarocken Rokokos hinweisen, ist nicht zu eruieren. Hier ist der geniale Theaterregisseur letztlich doch wieder zu einem der üblichen Regietheaterer geworden. Die oben erwähnten Vorzüge seiner Inszenierung überwiegen aber eindeutig. Damit Barrie Koskys komödiantisches Feuerwerk so richtig zündet, braucht er natürlich gute, spielfreudige Mitstreiter. Die Sängerinnen und Sänger in dieser Aufführungsserie – besucht wurde die zweite Vorstellung – nehmen das verlockende Angebot gerne an und überzeugen sowohl gesanglich wie auch darstellerisch, was wohl auch auf eine gute Vorbereitung schließen lässt. Philippe Jordan am Pult des Staatsopernorchesters leitet eine beseelte, durch und durch mozartisch gestimmte Aufführung und betätigt sich auch als unaufdringlicher, genau hinhörender Begleiter am Hammerklavier.

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Davide Luciano (Graf Almaviva), Federica Lombardi (Gräfin Almaviva)

Davide Luciano zählt zu den besten SängerDarstellern im italienischen Fach. Sein wendiger, einnehmender Bariton und seine unbändige Spiellaune, die auch die dunkle Seite von Almavivas Wesens ungeschönt hervorblitzen lässt, macht ihn zu einer so überzeugenden Besetzung für diese Rolle, dass man sich schwer vorstellen kann, dass er in dieser Verfassung von einem der üblichen Verdächtigen in diesem Fach übertroffen werden kann. In der zornigen Arie „Vedrò, mentr’io sospiro“ bekennt er offen seinen misstrauischen Machismo und bekommt dafür starken Szenenapplaus.

Ganz in der obersten Liga ist auch Federica Lombardi angesiedelt, die als Gräfin Almaviva in dieser Oper die einzige Figur ist, die keine komischen Eigenschaften hat, sondern mit Würde und Ergebenheit ihr Leid, Ehefrau eines gewissenlosen Schwerenöter zu sein, ertragen muss. „Dove sono i bei momenti“ liefert eine ergreifende Beschreibung ihres seelischen Zustands. Eine kleine Affäre mit dem liebestollen Pagen Cherubino, putzmunter dargestellt von Isabel Signoret, würde man ihr dennoch gerne vergönnen.

Slavka Zamevcnikova ist eine schlagfertige Susanna, die mit den heiklen Gegebenheiten, den ewigen Nachstellungen des Grafen, recht gut zurande kommt und sich geschickt durchmanövriert. Mit Phlippe Sly hat sie es mit einem aufmüpfigen, kecken Figaro zu tun, der von seinem Herrn leider auch ein paar schlechte Angewohnheiten abgeschaut und übernommen hat. Die sie ihm aber, nun seine Ehefrau, vermutlich bald gründlich austreiben wird.

Stephanie Houtzeel holt aus der Figur der heiratsvernarrt schäkernden Marcelline das komödiantische Maximum heraus, was auch für Norbert Ernst als Don Basilio und Evgeny Solodnikov als Don Bartolo gilt.

Andrea Giovannini und Attila Mokus, wie die drei Letztgenannten ebenfalls aus dem Ensemble stammend, sorgen in Kurzauftritten als Notar Don Curzio bzw. als Gärtner Antonio für Heiterkeit. Ileana Tonca ist eine erfreulich präsente Barbarina. Der Chor ist so, wie man es in Wien glücklicherweise gewohnt ist: bestens vorbereitet, gut gestimmt und  gut gelaunt.

Viel Applaus. Mozart, Da Ponte und Kosky: Das hat schon was. Auf Cosi fan tutte darf man gespannt sein.

 

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