Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO

Staatsoper, „Le nozze di Figaro“, 30. September 2021

le nozze di figaro d5a3360 bengtsson nolz
Maria Bengtsson (Gräfin), Patricia Nolz (Cherubino). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Die neue Staatsoperndirektion hat in ihrer ersten Saison die Ponnelle-Inszenierung von „Le nozze di Figaro“ noch einmal aufgefrischt. Die Wiederaufnahme dieser Produktion fand im Februar 2021 unter Lockdown-Bedingungen statt. Sie wurde gestreamt und im ORF ausgestrahlt. Jetzt wird sie insgesamt vier Mal vor Publikum gezeigt.

Es mag überraschen, dass die neue Staatsoperndirektion einer Inszenierung aus den 1970er-Jahren ein „Revival“ ermöglicht hat. „Le nozze die Figaro“ in der Regie und in der Ausstattung von Jean-Pierre Ponnelle wurde 1977 in den Spielplan aufgenommen. Dirigiert hat damals Herbert von Karajan. Die Produktion stand bis zum Beginn der Ära Dominique Meyer im Repertoire. Meyer hat sie 2011 durch eine Neuinszenierung von Jean-Louis Martinoty ersetzt – und bis zum Schluss seiner Amtszeit nicht verstanden oder nicht verstehen wollen, warum dieser „Martinoty-Figaro“ vom Wiener Publikum nicht „angenommen“ wurde. Bei Gastspielen wurde nach wie vor auf die Produktion von Ponnelle zurückgegriffen.

Jean-Pierre Ponnelle ist mit diesem „Figaro“ eine Inszenierung geglückt, die über alle Moden hinweg ihre Gültigkeit behauptet hat. Das beginnt bei der ansehnlichen „Oberfläche“, die historisch dekorativ das 18. Jahrhundert beschwört und sich im Gartenbild des vierten Aktes zu einer nächtlichen Silhouette amourösen Lebensgefühls verdichtet. Das im Wesentlichen werkimmanent aufgefasste, zahnrädchenartige Ineinandergreifen von Musik, Bühnenbild, Requisiten und Personenregie ist beispielgebend. Für so manche Szene – etwa die Basilio-Graf-Susanna-Cherubino-Verwirrung im ersten Akt – hat Ponnelle eine idealtypische Lösung geliefert, an die man sich als Besucher jedes Mal erinnert, wenn man den „Figaro“ in einer anderen Inszenierung sieht. Die Figuren werden ohne Übertreibung entwickelt, sind fest im Libretto und in der Musik verankert. Einstudiert wurde die Wiederaufnahme von Grischa Asagaroff, ehemals Assistent von Jean-Pierre Ponnelle.

Was einem bei der Wiederbegegnung nach über zehn Jahren sofort auffällt: Es ist eine Wohltat, keine verinszenierte Ouvertüre vorgesetzt zu bekommen. Bei Ponnelle darf die Musik noch für sich sprechen. Die Ouvertüre unter dem Dirigat von Antonello Manacorda machte zudem gleich bewusst, dass einem an diesem Abend keine so „ausgetüftelte“ Orchesterbegleitung serviert werden wird wie zwei Tage zuvor in der „Barbier“-Premiere. Das Klangbild war insgesamt etwas breiter, „herkömmlicher“ – und der Zugriff hätte eine Spur „bissiger“ sein können. Die Tempi waren nicht überzogen und der Vortrag nicht mit diversen „Exaltismen“ angereichert. Nach der Pause schlich sich sogar eine Spur romantischer Schwermut ein, die in den vierten Akt einsickerte wie nächtliche Dämmerung: Plötzlich durfte man wieder spüren, wie ernst es dem Grafen ist, Verzeihung zu erlangen. Aber die Verwirrung der Gefühle klärte sich rasch, das Hochzeitsmahl wartet! (Natürlich wissen wir heute, wie die Geschichte weitergeht, aber Mozart hat die Uraufführung des dritten Teils von Beaumarchais-„Figaro“-Trilogie nicht mehr erlebt.)

le nozze di figaro d5a3333 bartneck muehlemann schuen
Robert Bartneck (Basilio), Regula Mühlemann (Susanna), Andre Schuen (Graf). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Andrè Schuen gab 2014 im Theater an der Wien unter Nikolaus Harnoncourt den Figaro, die Stimme hat sich inzwischen mit ihrer Noblesse den Grafen erobert. Ihm steht ein gesättigter, männlicher Bariton zur Verfügung, der im Finale zu entwaffnender Demut findet. Im Spiel ist Schuens Conte noch ausbaufähig – vielleicht eine Spur zu introvertiert und narzisstisch gekränkt, fehlte es dem Grafen an der nötigen Galanterie, um sich gleich im ersten Akt das Publikum zu erobern.

Die Gräfin der Maria Bengtsson erfreute bei ihrem Wiener Rollendebüt mit einem silbrigen, tragfähigen Sopran (das „Porgi, amor“ wurde mit etwas flackriger Stimme gegeben; das „Dove sono“ mit angenehmem Piano schön ausgestaltet). Es war eine Gräfin, die mehr zurückhaltend agierte, die sich mehr an der erlittenen seelischen Verletzung ausrichtete und die eine innige Verzeihung gewährte.

Der Figaro von Philippe Sly hätte ruhig ein wenig mehr auf „auf den Tisch hauen“ können. Mit seinem eher schlanken, angenehm timbrierten Bassbariton wird der Figaro zum netten Burschen von „Nebenan“, der sich mehr schlaksig als nachhaltig durch das Intrigenspiel bewegt, ohne diesem seinen Stempel aufzudrücken – ein Figaro der „Nadelstiche“, im vierten Akt dann auch stimmlich schon ein wenig verblassend. Seine Susanna (Regula Mühlemann mit Staatsopern-Rollendebüt) benötigte den ersten Akt als Aufwärmphase, in der sich ihr Sopran erst mal „zurecht rundete“. Die Rosenarie wurde sehr hübsch vorgetragen. Im Spiel war sie frisch und kokett, eigentlich die „Lebendigste“ von den Genannten.

le nozze di figaro d5a3351 bengtsson muehlemann
Maria Bengtsson (Gräfin), Regula Mühlemann (Susanna). Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Patricia Nolz erobert sich mit ihrem klangvollen Mezzo und einnehmenden Spiel derzeit als Cherubino die Wiener Opernbühnen: vom Schönbrunner Schlosstheater über das Theater an der Wien jetzt mitten hinein in den „Olymp“ der Wiener Staatsoper. Stephanie Houtzeel als Marcellina und Wolfgang Bankl als Don Bartolo (Rollendebüt am Haus) ergaben ein witziges Paar. Don Basilio (Robert Bartneck, ebenfalls mit Staatsopern-Rollendebüt), Hans Peter Kammerer als zorniger Antonio, die lebenslustige Barbarina (Joanna Kedzior, auch Staatsopern-Rollendebütantin), Andrea Giovannini als Don Curzio sowie der Staatsopernchor ergänzten passend die Aufführung.

Die Vorstellung war um 22.40 Uhr zu Ende. Vor dem Beginn um 19.00 Uhr stand eine lange Schlange in der Operngasse, um sich in der Albertinapassage irgendeinem „Clubbing“ zu widmen. Man hätte glauben können, der Andrang gilt der Staatsoper. Die Aufführung war sehr gut besucht, aber der Stehplatz nicht voll besetzt. Die Zahl touristischer Besucher ist eindeutig im Wachsen. Während der Aufführung gab es immer wieder kurzen Szenenapplaus. Beim dankbaren Schlussbeifall war das Publikum schon ein wenig müde und strebte nach knapp fünf Minuten dem Ausgang zu. Laut Programmzettel war es die 252. Aufführung dieser Produktion im Haus am Ring.

Dominik Troger/ www.operinwien.at

 

 

Diese Seite drucken