Alessio Arduini, Olga Bezsmertna. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Le Nozze di Figaro
Wiener Staatsoper, 9.3.2019
Ein Abend der vergebenen Chancen
EXKURS
Ich komme ursprünglich aus dem Sportbereich und beobachtete Spieler und Mannschaften, die ein großes Potential in sich hatten, doch entweder diese niemals auf den Platz brachten – oder direkt beim Spiel vom Trainer durch Fehlentscheidungen oder zu passives Coaching um den Erfolg gebracht wurden.
EXKURS ENDE
.. und genau dieses Gefühl hatte ich gestern am Abend. Die „Nozze“ ist sicherlich eine der perfektesten Opern aller Zeiten und sollte entsprechend geprobt werden. Bei dieser Mini-Serie, die eingeschoben wurde, da die Philharmoniker sich zurzeit auf Tournee befinden, gab es keine einzige Orchesterprobe, keine Bühnenprobe – und gleich drei Rollendebüts. Dazu wurde, um im Sportjargon zu bleiben, für eine vakant gewordene Stelle ein Ersatzspieler nominiert, der normalerweise auf einer ganz anderen Position spielt und so seine Stärken nicht ausspielen konnte, im Gegenteil, die Harmonie innerhalb der Mannschaft sogar störte. Der Trainer war auch nicht in der Lage entsprechend auf die Mannschaft einzuwirken – unter all diesen Umständen wurde aber nichtsdestotrotz ein gutes Ergebnis rausgeholt – obwohl das Potential für einen klaren Sieg gegeben war.
Die Produktion des bereits verstorbenen Jean-Louis Martinoty in den Bühnenbildern (im wahrsten Sinne des Wortes) von Hans Schavernoch und in den wirklich großartigen Kostümen von Sylvie de Segonzac war von Beginn an umstritten. Zu sehr hängt das Herz des Wiener Stammpublikums noch an der Vorgängerinszenierung. Natürlich brachte Martinoty eine ganz andere Ästhetik auf die Bühne – und ich selbst war dieser niemals so negativ eingestellt als die meisten meiner Kollegen, aber eine Frage bleibt unbeantwortet (und ist meines Erachtens nach aber eine sehr wichtige in Bezug auf jede Neuproduktion) – warum eine Neuinszenierung, wenn die „Deutung“ des Stückes genau der der Vorproduktion entspricht? Und wenn man sich trotzdem dazu entschließt ist es die Pflicht des Managements dafür zu sorgen, dass die Bedingungen für die Sänger rein akustisch sich entweder verbessern oder zumindest gleichbleiben. Derartig sängerunfreundliche Produktionen wie z.B. die aktuelle Traviata, Onegin, Nozze etc. sollten verhindert werden. Und noch einmal – da geht es nicht um Ästhetik, sondern rein darum, dass Sänger durch den Bühnenaufbau unterstützt werden.
Sascha Goetzel wurde im Vorjahr für das Dirigat des Don Giovanni sehr gelobt. An diesem Abend klang es aber nach „Dienst nach Vorschrift“. Ich vermisste jedwede Akzentuierung, irgendwie klang alles nach Einheitsbrei. Aber – und das gebe ich zu – ist es möglich, dass ich dem Dirigenten Unrecht tue, weil ich HIP-Produktionen von Mozart-Opern einfach präferiere, besonders die von Harnoncourt – und wie man ja weiß befinden sich Welten dazwischen. Ich bin auch sicher, dass er, hätte er die Möglichkeit zu Orchesterproben gehabt, mehr Gestaltungsmöglichkeiten gefunden hätte.
Stephanie Houtzeel gebührt ein Sonderlob. Ich habe noch niemals eine derart präsente und prägnante, spielfreudige und bühnenbeherrschende Marcelline erlebt wie sie. An diesem Abend war es wirklich schade, dass die Arie im 4.Akt (wie meistens) gestrichen wurde. Eine brillante Leistung – und die Vorfreude auf die Rosenkavalier-Serie in zwei Wochen steigt!
Ebenfalls großartig war (man möchte schon fast sagen „natürlich“) Jongmin Park als Figaro. Eine hervorragende fundierte Stimme, technisch sehr sauber, beeindruckte er von Beginn an das Publikum. Ich bin sicher, dass mit der Zeit seine Interpretation der Rolle reifen wird. Er war ein wenig zu „brav“ und wirkte an und ab wie ein gemütlicher Teddybär – daran sollte er in Zukunft noch arbeiten. Aber es ist wirklich viel von ihm zu erwarten, und möge er der Staatsoper noch möglichst lange erhalten bleiben.
Als Susanna zeigte sich in dieser Saison zum letzten Mal Valentina Nafornita. Nach einem etwas verhaltenen Beginn (in der Anfangsszene mit Park klang sie etwas „belegt“) konnte sie sich freisingen und präsentierte eine innig gesungene Rosenarie. Dass sie eine außergewöhnliche Bühnendarstellerin ist weiß man ohnehin.
Alessio Arduini stammt, wie überhaupt die komplette Besetzung, aus dem Hausensemble. Was für Jongmin Park gilt, das trifft auch auf ihn zu. Eine technisch saubere Leistung, gut gespielt – aber von der Interpretation her ist noch Platz nach oben. Es liegt aber vielleicht auch an der Inszenierung, dass der Conte eher als Schwächling dargestellt wird, der von jedermann gegängelt wird. Seine Contessa war Olga Bezsmertna, die ja in den vergangenen Jahren eine tolle Entwicklung hinter sich hat. Ihre Leistung war – so unglücklich der Ausdruck auch ist – rollendeckend, allerdings gelang ihr „Dove sono“ sehr gut und sie erhielt berechtigten Szenenapplaus.
Die Wiener Staatsoper hat immer schon hervorragende Darstellerinnen des Cherubino gehabt. Prägend in den letzten 10-15 Jahren waren auf jeden Fall Angelika Kirchschlager und Elina Garanca. An diesem Abend übernahm Virginie Verrez diese sehr dankbare Rolle. Ihr Mezzo ist etwas hell timbriert und klang besonders bei Rezitativen fast wie ein Sopran, doch gesanglich blieb kein Wunsch offen, auch die tieferen Töne bei „Voi che sapete“ erreicht sie mühelos. Auch figürlich ist sie ideal für den Farfallone d’amor. Ob sie schauspielerisch von sich aus ein wenig zu sehr outrierte oder ob das seitens der Regie so gewollt ist – diese Frage bleibt einmal unbeantwortet.
Maria Nazarova ist eine quirlige Barbarina. Dass ihre Cavatina nicht mehr Eindruck hinterließ kreide ich nicht ihr an, sondern dem Dirigat. Das war eine der (vielen) vergebenen Chancen an diesem Abend.
Was ist dem Besetzungsbüro dabei eingefallen, dass sie Herwig Pecoraro als Don Basilio einspringen ließen?!?? Er, der ein ganz toller Mime ist und ein erfahrener Charaktertenor war leider eine Fehlbesetzung. Damit tat man weder dem Sänger noch dem Publikum einen Gefallen.
Ein gesundheitlich ein wenig angeschlagener Sorin Coliban war Don Bartolo, Don Curzio wurde von Leonardo Navarro auch ein wenig übertrieben gespielt, als Antonio sorgte Igor Onishchenko für Heiterkeit.
Zusammenfassend war es schlussendlich ein doch gelungener Abend – aber als Nozze- und Mozart-Liebhaber war ich fast mehr über das enttäuscht, was möglich gewesen wäre als über das erfreut, was tatsächlich geboten wurde.
Kurt Vlach