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WIEN/ Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO . 3. Vorstellung

WIEN / Staatsoper: LE NOZZE DI FIGARO von W.A. Mozart am 5.10.2021

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Maria Bengtsson, Regula Mühlemann. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Vor wenigen Tagen veröffentlichte A. C. im Tageskommentar ein Foto, das Menschenschlangen vor der Oper zeigte. Allerdings stellten sich die vornehmlich jungen Leute nicht für die Oper, sondern für ein Clubbing in der Albertina-Passage neben der Oper an. Ich kann mich jedoch noch an die Zeiten erinnern, als sich die Menschen in Schlangen für eine Stehplatzkarte der Wiener Staatsoper angestellt haben.

Im Mai 1977 herrschte hier Ausnahmezustand. Herbert von Karajan kehrte nach 13-jähriger Abwesenheit an die Wiener Staatsoper zurück und dirigierte innerhalb von 13 Tagen neun Opernvorstellungen: drei Aufführungen von Verdis IL TROVATORE mit Leontyne Price, Christa Ludwig, Luciano Pavarotti und Piero Cappuccilli, drei Aufführungen von Puccinis LA BOHÈME mit Mirella Freni, José Carreras, Renate Holm und Rolando Panerai sowie drei Aufführungen von Mozarts LE NOZZE DI FIGARO mit Anna Tomowa-Sintow, Ileana Cotrubas, Frederica von Stade, Tom Krause und José van Dam. Bei der NOZZE handelte es sich um eine Premiere, besser gesagt um die Übernahme der erfolgreichen Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle, die bereits seit 1972 auf dem Spielplan der Salzburger Festspiele stand.  Um eine dieser neun Opernvorstellungen am Stehplatz sehen zu können, musste man sich bereits am Vortag (!) um 6 Uhr morgens bei der Oper eine Nummer holen und tagsüber sowie am nächsten Tag mehrmals zu festgelegten Appellen erscheinen. Hatte man keinen Appell versäumt, dann durfte man sich drei Stunden vor der Vorstellung in der Schlange vor der Stehplatzkasse anstellen. Da aber fast jeden Tag eine Karajan-Vorstellung stattfand, war man gezwungen sich fast immer gleichzeitig in zwei Schlangen anzustellen, was eine logistische Herausforderung war. Ich lebte in diesen zwei Wochen praktisch vor und in der Staatsoper. (Welche Opernvorstellung wäre es heute noch wert, dass man sich dafür zwei Tage lang anstellen würde?)

Ich habe also die Ponnelle-Inszenierung der NOZZE vom ersten Tag an bewundert und lieben gelernt. Im Laufe der Jahrzehnte habe ich weltweit nur sehr wenige Produktionen dieser Oper erlebt, die auch nur annähernd als gleichwertig angesehen werden können, besser war ohnehin keine. Ponnelle hat hier wirklich eine Modell-Inszenierung geschaffen, in der Bühnenbild, Kostüme und Personenregie mit Mozarts Musik und da Pontes Libretto völlig im Einklang stehen. Eine einzige Änderung hat Ponnelle vorgenommen. Er hat die Arie der Gräfin im 3. Akt etwas vorgezogen. Ponnelle gelang es Karajan und auch Karl Böhm, der bei einer Verfilmung dieser Inszenierung und auch bei späteren Repertoirevorstellungen an der Staatsoper und auf Gastspielreisen am Pult stand, davon zu überzeugen, dass diese Umstellung dramaturgisch richtig ist. Erst viele Jahre später machte Riccardo Muti diese Umstellung wieder rückgängig.

Bereits zu Beginn der Direktionszeit von Dominique Meyer wurde diese Inszenierung durch eine Neuproduktion von Jean-Louis Martinoty ersetzt. Auch dabei handelte es sich um eine Übernahme, nämlich aus dem Théâtre des Champs-Élysées in Paris. Dort war diese Produktion sehr erfolgreich. Aber in Wien war diese Inszenierung akustisch ein Problem. Während das Théâtre des Champs-Élysées nur über einen schmalen Bühnenstreifen und so gut wie keine Hinterbühne verfügt, boten die wenigen Versatzstücke und herunterhängenden Bilder den Sängern akustisch keinen Schutz gegen die nach hinten offene Bühne der Wiener Staatsoper, was zur Folge hatte, dass Sänger mit kleinen Stimmen, die von Direktor Meyer bevorzugt eingesetzt wurden, im Haus kaum zu hören waren. Große Teile des  Wiener Publikums lehnte diese Produktion von Anfang an ab. Was das Wiener Publikum aber vollends aufbrachte, war die Tatsache, dass Dominique Meyer auf zwei Gastspielreisen nach Japan und auf Gastspielreise nach Muscat (Oman) die wundervolle Ponnelle-Inszenierung präsentierte, während er in Wien weiterhin stur trotz der Publikumsproteste diese ungeliebte Inszenierung seines Freundes Martinoty spielte. So kam es auch, dass Riccardo Muti in seiner Direktionszeit keine NOZZE-Vorstellungen an der Wiener Staatsoper dirigiert hat, sehr wohl aber mit dem Staatsopernensemble in Japan. Kein Wunder also, dass das Wiener Publikum darüber sehr erbost war und sich nun freute, dass bereits in der ersten Spielzeit der neuen Direktion die beliebte Ponnelle-Inszenierung, liebevoll von dessen langjährigen Assistenten Grischa Asagaroff einstudiert, in den Spielplan der Staatsoper zurückkehrte. Asagaroff hat die Wiederaufnahme zwar nicht detailgenau einstudiert (wo z.B. war das Wollknäuel im Finale des 3. Aktes?), aber doch wenigstens im Sinn von Ponnelle. Asagaroff hat auch wieder die Arie der Gräfin nach vorne verlegt, so wie Ponnelle es wollte.

Unter der Leitung von Antonello Manacorda bot das Orchester der Wiener Staatsoper einen spritzigen Mozart. Der Dirigent überzeugte mit flotten Tempi. Auch wenn es Manacorda nicht auf das letzte Detail ankam, spürte man die gute Zusammenarbeit zwischen dem Orchester und den Sängern. Letzteren gab er genügend Raum zur Entfaltung, forderte aber das Orchester in den instrumentalen Passagen und spülte damit viel frischen Mozartklang in Ponnelles Sevilla des 18. Jahrhunderts.

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Robert Bartneck, Regula Mühlemann, Andre Schuen. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

André Schuen, der 2014 im Theater an der Wien unter Nikolaus Harnoncourt noch den Figaro gesungen hatte, war ein junger und sehr viriler, testosterongesteuerter Graf mit schöner Mozart-Stimme. Allerdings nimmt man ihm die Reue am Schluss nicht wirklich ab. Wenn er im Finale kniefällig seine Gräfin um Verzeihung bittet, dann weiß der Besucher bereits, dass dieser Graf bei der nächsten Gelegenheit wieder wortbrüchig und untreu werden wird. Der klangvolle Sopran von Maria Bengtsson, mit Empfindsamkeit und Grandezza zugleich ausgestattet, war eine ideale Gräfin. Allerdings war die Stimmführung im „Porgi, amor“ noch sehr unruhig. Im „Dove sono“ überraschte sie dann aber mit wunderschönen Piani. Regula Mühlemann spielte eine vielschichtige Susanna, mit vibratoarmer Stimme und schwerelosen Höhen. Philippe Sly ist ein agiler und sympathischer Figaro. Störend erweist sich jedoch, dass er hohe Spitzentöne nur mit Druck hinaufstemmt. Diesbezügliche technische Mängel sollte er möglichst bald beheben, bevor das noch zur Gewohnheit wird. Mit feinem Mezzo singt Patricia Nolz, Mitglied des Opernstudios, den Cherubino, ein großes Versprechen für die Zukunft. An diesem Abend hat sie nicht nur die Herzen der Damen auf der Bühne, sondern auch jene des Publikums im Sturm erobert. Die kleineren Partien waren mit Stephanie Houtzeel als Marcellina, Robert Bartneck als Basilio, Andrea Giovannini als stotternder Don Curzio, Wolfgang Bankl als Bartolo, Hans Peter Kammerer als betrunkener Antonio und Joanna Kędzior als Barbarina gut besetzt. Der Chor der Wiener Staatsoper ergänzte in kleiner Besetzung zufriedenstellend.

Somit war es insgesamt eine sehr erfreuliche Aufführung. Aber eines fällt doch auf: auch der neue Operndirektor scheint eher kleine Stimmen zu bevorzugen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie diese Besetzung in der Martinoty-Produktion akustisch untergegangen wäre. Aber zum Glück für die Sänger (und zum Glück für das Publikum) spielen wir diese Oper ja wieder in der Ponnelle-Inszenierung. Möge das noch möglichst lange so bleiben …

Walter Nowotny

 

 

 

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