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WIEN/ Staatsoper: LADY MACBETH VON MZENSK. Viele Kleinkinder um 16 h in der Oper – wohl ein Irrtum von Eltern und Großeltern!

WIEN / Staatsoper: „LADY MACBETH VON MZENSK“ – 8.6.2023 

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Elena Mikhailenko, Günther Grössböck. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

 Da staunte ich nicht schlecht, als ich am Nachmittag des Fronleichnamstages den Zuschauerraum der Wiener Staatsoper betrat, um (bereits zum dritten Mal in dieser Aufführungsserie) Schostakowitschs LADY MACBETH VON MZENSK zu sehen. So viele Kleinkinder hat man schon lange nicht mehr in der Staatsoper gesehen. Da haben wohl so manche Eltern/Großeltern gedacht, es müsse sich um eine Kinderoper handeln, wenn die Aufführung schon um 16 Uhr beginnt. Der frühe Beginn musste jedoch nur wegen des Sommernachtskonzerts der Wiener Philharmoniker in Schönbrunn gewählt werden. Eltern/Großeltern sollten sich vielleicht doch vorher erkundigen, ob eine Oper für kleine Kinder geeignet ist oder nicht. Aber so haben die kleinen Besucher wenigstens noch einen Aufklärungsunterricht gratis dazubekommen.

Geht es in dieser Oper des jungen Dmitri Schostakowitsch doch ganz schön zur Sache. Neben Mord und Totschlag auch jede Menge Sex, der sogar ausführlich komponiert wurde. Ein Meisterwerk, das allerdings Stalin und seinen Parteigenossen nicht gefallen hat. Ein Artikel in der Prawda unter dem Titel „Chaos statt Musik“ – entweder von Stalin selbst verfasst oder auf seinen Befehl hin – führte dazu, dass die Oper abgesetzt wurde. Nach Stalins Tod hat Schostakowitsch seine Oper einer gründlichen, entschärften Neufassung unterzogen, die unter dem Titel KATERINA ISMAILOWA 1965 auch an der Wiener Staatsoper gespielt wurde. In den insgesamt 16 Vorstellungen konnte man bis 1969 alternierend Ludmila Dvořáková, Hilde Zadek und Inge Borkh in der Titelpartie erleben. Die Musikwelt hat es wohl Mstislaw Rostropowitsch zu verdanken, dass sich schließlich doch noch die Urfassung durchgesetzt hat. 1978 spielte er in London die erste Plattenaufnahme dieser Fassung ein (mit seiner Frau Galina Wischnewskaja in der Titelpartie) und dann trat diese Oper in ihrer originalen Form ihren Siegeszug um die Welt an. Die Wiener Volksoper brachte eine grandiose Inszenierung dieser Fassung durch Christine Mielitz 1991 heraus. Unter der musikalischen Leitung von Donald Runnicles sangen Rebecca Blankenship, Kurt Schreibmayer und Wicus Slabbert – eine unvergessliche Aufführung. Die Inszenierung war wirklich so sensationell (ja, früher hat es tatsächlich solche Volksopernaufführungen gegeben!), dass man sogar eine Übernahme ins Haus am Ring mit Mara Zampieri und Neil Shicoff in Erwägung gezogen hat. Leider wurde aber nichts aus diesem Plan.

Die Inszenierung des ehemaligen Burgtheaterdirektors Matthias Hartmann, die im Jahr 2009 an der Wiener Staatsoper Premiere hatte, konnte mit der Mielitz-Produktion zwar nicht mithalten, geriet aber dennoch sehr gut und vor allem werkentsprechend, was ja heute schon eine große Seltenheit ist.

Günther Groissböck hat in Boris Ismailow eine weitere Rolle gefunden, in der er schön fies sein kann. Ein Übervater, der am liebsten mit seiner Schwiegertochter einen Erben zeugen möchte, weil das sein schwaches Söhnchen nicht zustande bringt. Groissböck überzeugt sowohl stimmlich als auch darstellerisch (obwohl man anmerken muss, dass Kurt Rydl bei der Premiere noch eine Spur brutaler wirkte).

Dieser schwache Sohn Sinowi wurde von Andrei Popov mit seinem leichten, lyrischen Tenor ideal verkörpert. (Bei den Salzburger Festspielen 2017 sang er in dieser Oper unter der musikalischen Leitung von Mariss Jansons noch die Partie des Schäbigen.)

Aušrinė Stundytė sollte eigentlich in dieser Wiederaufnahme die Titelpartie singen. Leider hat sie sich zuvor gerade in dieser Partie bei Aufführungen an der Genfer Oper verletzt und musste daher die Aufführungsserie in Wien absagen. Die Einspringerin, Elena Mikhailenko, ist für Wien jedoch keine Unbekannte mehr. Im Theater an der Wien konnte man sie bereits als Jolanthe in der gleichnamigen Oper von Tschaikowsky hören. Und als Lady Macbeth von Mzensk gastierte sie bereits erfolgreich in Bologna und Neapel. Auch bei ihrem Staatsoperndebüt konnte sie nun voll überzeugen, sowohl als intensive Darstellerin als auch mit ihrer dramatischen Sopranstimme.

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Dmitriy Golovnin, Elena Mikhailenko. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Dmitriy Golovnin begeisterte hier als Sergej mit kraftvollem Tenor und der richtigen Mischung aus Weiberheld und Taugenichts. Damit konnte er an seinen großen Erfolg anknüpfen, den er erst vor wenigen Wochen im Museumsquartier in der Österreichischen Erstaufführung der Oper DER IDIOT von Mieczysław Weinberg (den übrigens Schostakowitsch vor einer Deportation bewahrt und damit ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hat) errungen hat.

In dieser Oper gibt es auch jede Menge dankbarer, kleinerer Rollen. Maria Barakova beeindruckte als sinnliche Sonjetka mit ihrer wunderschön timbrierten Alt-Stimme. Die junge russische Sopranistin Evgeniya Sotnikova sang die Magd Axinja, die von einer ganzen Horde Arbeitern vergewaltigt wird, mit klarer, frischer Stimme. Thomas Ebenstein gelang als Schäbiger ein Kabinettstück, als er auf der Suche nach Alkohol die Leiche des ermordeten Ehemanns findet und der Polizei meldet. Köstlich auch Evgeny Solodovnikov als Karikatur eine Popen und Attila Mokus als Polizeichef, der beleidigt ist, weil er zu Katerinas Hochzeit nicht eingeladen wurde. Der Alte Zwangsarbeiter im letzten Akt wurde von Dan Paul Dumitrescu berührend mit weich strömendem Bass gesungen.    

Bis in die kleinste Partie war die Besetzung ausgezeichnet. Hans Peter Kammerer, Marcus Pelz, Carlos Osuna und Jenni Hietala überzeugten in den weiteren Rollen. Stimmgewaltig und homogen: der Chor der Wiener Staatsoper.

Alexander Soddy muss eine großartige Einstudierungsarbeit geleistet haben. Das Orchester der Wiener Staatsoper präsentierte sich in Bestform, die Orchestersoli (und von denen gibt es in dieser Oper jede Menge) waren ganz besondere musikalische Höhepunkte. Der junge britische Dirigent entlockte dem Orchester die feinsten Nuancen, um dann gleich wieder in einen ekstatischen Klangrausch zu verfallen. Den Jubel nach dem Marsch des Schäbigen hat sich das Orchester (inklusive dem Bühnenorchester der Staatsoper) wahrlich verdient.

In dieser Aufführung stimmt einfach alles – Inszenierung, Dirigat sowie die Leistungen von Chor, Orchester und Solisten. Für mich waren das die besten Vorstellungen der Wiener Staatsoper in dieser Spielzeit. Jeder, der diese Aufführung noch nicht gesehen hat oder sie noch einmal sehen will, sollte sich beeilen: am kommenden Montag (12.6.) steht die letzte Vorstellung auf dem Programm. Das sollte man sich nicht entgehen lassen.

Und die Wiener Staatsoper sollte vielleicht das nächste Mal vor dem Sommernachtskonzert DIE ZAUBERFLÖTE oder HÄNSEL UND GRETEL ansetzen.

Walter Nowotny

 

 

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