WIEN / Staatsoper: LADY MACBETH VON MZENSK
17. Aufführung in dieser Inszenierung – Wiederaufnahme
18. Mai 2023
Von Manfred A. Schmid
Die Oper von Dmitry Schostakowítsch, in deren Mittelpunkt die unterdrückte, frustrierte Haus- und Ehefrau Katerina steht, die – zunächst ähnlich wie Madame Bovary oder Anna Karenina – aus ihrer unerträglich empfundenen Lage an der Seite eines impotenten Ehemannes ausbrechen und so der deprimierenden, lähmenden Langeweile entkommen will, dabei aber – und das unterscheidet sie von den beiden literarischen Vorbildern – vor Mord nicht zurückschreckt, erzählt in drastischer Weise, wozu unstillbare Sehnsucht nach Sex und Erotik fähig ist. Zugleich ist Lady Macbeth von Mzensk aber auch ein Hohelied auf die Liebe: Der 29-jährige Komponist hatte das Werk explizit seiner Braut gewidmet. Und in der Tat: Expressionistischer als hier wurden seither, Wagner und Strauss weit hinter sich lassend, die emotionalen und körperlichen Zustände einer koitalen Verbindung, inklusive der erschlaffenden Posaunenklänge nach dem Akt, nicht in Tönen eingefangen. Zugleich ist die Oper aber auch eine scharfe, zuweilen auch satirische Gesellschaftskritik an den Zuständen im zaristischen Russland, die vom begeisterten Publikum bei der Uraufführung 1932 wohl zu Recht auch als verklausulierte Abrechnung mit sowjetischen Missständen gedeutet wurde. Es dauerte einige Zeit, bis die Politik davon Notiz nahm und die Oper schließlich von Stalin verboten wurde. Aus formalistischen Gründen – „Chaos statt Musik“ titelte die Prawda – und wegen des Inhalts: Positive, inspirierende Werte sollten von der Kunst propagiert werden, nicht verabscheuungswürdige Einstellungen. Schostakowitsch wurde jahrelang von sowjetischen Behörden verfolgt und fürchtete um sein Leben. Die Oper aber hatte längst ihren Siegeszug um die Welt angetreten.
Die 2009 von Matthias Hartmann, damals gerade erst neuer Chef des Burgtheaters, inszenierten Oper erlebte im Jahr 2015 ihre erste Wiederaufnahem. Nun steht das Werk erneut auf dem Spielplan der Wiener Staatsoper. Hartmann hat das Ganze, dem gewaltigen Aufwand an Musikern und Chören zum Trotz, als Kammerspiel auf die Bühne gestellt, in der das große Ehebett dominierend im Mittelpunkt steht (Bühne Volker Hintermeier), in dem – während einer längeren geschäftlichen Abwesenheit des Gatten Sinowi – längst der eben erst angeheuerte Arbeiter Sergej seinen aktiven Schlafplatz an Katerinas Seite gefunden hat. Als sie dabei von deren Schwiegervater Boris Ismilow ertappt werden, der selbst gerne für den fehlenden Nachwuchs sorgen würde, wird er von Katerina vergiftet. Bei seiner Heimkehr wird auch ihr Gatte Sinowi umgebracht. Bei der bald darauf stattfindenden Hochzeit entdeckt ein Angestellter Sinowis Leiche im Keller. Katerina und Sergej werden zu Zwangsarbeit verurteilt und sind auf dem Weg nach Sibirien. Katerina glaubt an eine gemeinsame Zukunft, aber Sergej hat sich längst einer neuen Frau zugewendet und Katerina vor allen Mithäftlingen bloßgestellt und lächerlich gemacht. Sie stößt die Konkurrentin von einer Brücke und springt selbst in den reißenden Fluss. Die Inszenierung ist klar, die Personenführung übersichtlich. Gesamteindruck: durchaus okay.
Die auf einer Novelle von Nikolai Leskov basierende Geschichte ist grausam und brutal. Es gibt – gleich am Anfang – eine Massenvergewaltigungsszene. Es folgen explizite Sexszenen (einmal unnötigerweise im Bett Katerinas und simultan als Schattenspiel an der Wand), Mobbing, Morde und eine lange, schwer erträgliche Auspeitschung Sergejs durch Boris. Es gibt aber auch Szenen voll Zärtlichkeit, zuweilen in höchst erstaunlichen Situationen, sowie Szenen voll Humor und Satire – so etwa der polternde Walzer, den der notgeile Boris rund um das Bett hinlegt, der übermütige Tanz des Popen angesichts des Todes von Boris sowie seine grotesken Annäherungsversuche an Katerina in der ausgelassenen, wodkaseligen Hochzeitsgesellschaft. Auch das Trinklied des Schäbigen wäre zu erwähnen. Es ist aber die Musik, die diese Szenen erst so richtig eindrücklich macht. Wann immer Sex oder Tod im Spiel sind, begleitet Schostakowitsch diese Szenen mit geballter, massiger Blasmusik. Alexander Soddy am Pult des in Höchstbesetzung angetretenen Orchesters lässt die unablässig zwischen zarten lyrischen Passagen und höchster Entfaltung dissonanter Höhepunkte changierende Musik das Geschehen auf der Bühne untermauern, verstärken und ausdeuten. Die wichtigen Solostimmen der Geige, des Cellos, von Fagott, Oboe und Flöte werden wunderbar ausgeführt. Die Intensität ist stets präsent, und der Chor, einstudiert von Martin Schebesta,einfach bewundernswert.
So laut, kräftig und farbgesättigt ist das, was aus dem Graben kommt, dass man meinen möchte, die Grenzen des Zuträglichen seien längst erreicht. Doch Günther Groissböck als stimmgewaltiger, Autorität, Angst und Schrecken verbreitender Boris Ismailow ist den entfesselten, wuchtigen Klangballungen in jeder Lage ebenso souverän gewachsen wie die von ihm insgeheim körperlich begehrte Schwiegertochter Katerina, die von Elena Mikhailenko bei ihrem Hausdebüt mit Bravour dargestellt wird und auch gesanglich überzeugt. Groissböck erinnert an den Boris seines Vorgängers Kurt Rydl in dieser Rolle, lässt aberauch an seine eigene Gestaltung des Ochs von Lerchenau denken, auch wenn der Walzer, den er diesmal tanzt, sich durch und durch gefährlich und aggressiv ausnimmt und jegliche Gemütlichkeit vermissen lässt.
Mikhailenkos Katerina beginnt als die von Erfüllung ihrer Sehnsüchte Träumende, die, einmal wachgeküsst, im Reich der Lüste angekommen, ist, um dort zu bleiben. Sie verfolgt dieses Ziel ohne Rücksicht auf Verluste. Trotz der Abscheulichkeit ihrer Taten gelingt es ihr, dass man sie irgendwie auch bewundert, mit ihr mitfühlt und sie zu verstehen versucht. Eine feurige, betörende Mischung aus ein wenig femme fatale, ein Hauch von Carmen und viel gelangweilte Hausfrau. Exzellent gesungen.
Der russische Tenor Andrej Popov, ebenfalls zum ersten Mal an der Staatsoper im Einsatz, ist ein unauffälliger und daher besetzungsmäßig gut passender Sinowi, Dmitry Golovin als gewiefter Verführer Sergej könnte zwar etwas mehr Charme versprühen, gewinnt Katerina aber wohl durch seine Beharrlichkeit und körperlichen Vorzüge.
Die vielen Nebenrollen sind durchwegs gut und – mit Ausnahme von Evgeniya Sotnikova als Köchin Axinja, die von den Arbeitern übelst bedrängt wird, und Maria Barakova, die am Schluss als Rivalin um die Gunst Sergejs als Siegerin hervorgeht – mit Kräften aus dem Haus besetzt. Brillant, gesanglich wie auch darstellerisch, Thomas Ebenstein als Der Schäbige mit seinem tieftraurigen und dennoch komischen Trinklied, und Evgeny Solodinikov als Karikatur eines Popen.
Dan Paul Dumitrescu ist eine Luxusbesetzung für den Alten Zwangsarbeiter, dem er das sympathische Profil eines um seine Mithäftlinge sorgenden Mannes verleiht. Erwähnt zu werden verdienen weiters u.a. Hans Peter Kammerer als Verwalter/Polizist, Marcus Pelz als Hausknecht/Wärter, Attila Mokus als Polizeichef und Carlos Osuna als Lehrer.
Es gibt begeistertern Applaus für einen anspruchsvollen, rundum gelungene Opernabend.