. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
LA TRAVIATA-Premiere Staatsoper, 7.3.2021 – TV und Stream
(Heinrich Schramm-Schiessl)
Die nächste Premiere der von Direktor Roscic für notwendig erachteten Erneuerung des Repertoires gilt Verdis „La Traviata“. Allerdings ist es diesmal kein uralter Ladenhüter, sondern eine neue Produktion, die auf einer Kooperation mit der Pariser Oper beruht und dort vergangene Saison ihre Premiere hatte. Mit der Regie wurde Simon Stone betraut, der schon am Burgtheater inszeniert hat und bei den Salzburg Festspielen Reimanns „Lear“ und Cherubinis „Medea“ verunstaltet – pardon, „neu gedacht“ – hat.
Es wird sicher kaum jemand von sich behaupten können, dass er besonders traurig ist, dass man die Produktion aus dem Jahre 2011 nicht mehr sehen kann, aber, wie so oft, kommt nicht wirklich etwas Besseres nach. Simon Stone lässt das Werk natürlich nicht in der Zeit spielen, die im Libretto vorgegeben ist, sondern versetzt sie in unsere Zeit mit all seinen Nebenerscheinungen, wie die Smartphones und die sogenannten sozialen Medien. Aber auch wenn Piave und Verdi das Werk damals in ihrer Zeit spielen haben lassen, kann eine solche Transformation nicht funktionieren, denn zwischen damals und heute liegt mehr als ein ganzes Jahrhundert, in dem sich die gesellschaftlichen Vorgaben so radikal verändert haben, dass alle inszenatorischen Tricks nichts nützen.
Violetta ist in der Auffassung von Stone nach meinem Dafürhalten ein Top-Model, das Teil der „Seitenblicke“-Gesellschaft ist und in dieser Alfredo kennenlernt, bei dem sie erstmals echte Liebe verspürt. Dieser Zugang funktioniert im 1. Akt durchaus, aber spätestens im 2. Akt geht das nicht mehr. Im Originallibretto ist Violetta nämlich eine Halbweltdame, die sich von reichen Männern aushalten läßt und eine quasi offizielle Liaision mit einem Sohn aus gutem Haus ging da natürlich gar nicht. Ich will ja gar nicht bestreiten, dass es heute noch den einen oder anderen verschrobenen Vater gibt, der hier glaubt eingreifen zu müssen. Allerdings würde das einerseits nichts nützen und andererseits entstammt ein Großteil der heutigen Väter der 68er-Generation, die selbst aktiv diese radikale Änderung der Gesellschaft herbeigeführt haben. Da nützt auch der auf der Videowand umgedeutete Text des Gesprächs zwischen Violetta und Vater Germont nicht, maßgeblich ist das, was gesungen wird. Hätte Stone die Handlung in die 1950er-Jahre verlegt, hätte es vielleicht funktioniert, aber so musste es scheitern.
Auf der von Robert Cousins gestalteten Bühnen befindet sich ein nach einer Seite geöffneter viereckiger Kubus, der sich fast ständig dreht und drei geschlossenen Seiten als Videowand dienen, während in der offenen Seite der jeweilge Schauplatz durch verschiedene Versatzstücke, wie z.B. im 1. Bild durch eine Sektglaspyramide, im 4. Bild durch das heute obligatorische Spitalsbett und im 2. Bild – besonders originell – einen Traktor, kenntlich gemacht wird. Darin führt Stone die Protagonisten eigentlich relativ konventionell. Mit dem Chor weiss er eigentlich überhaupt nichts anzufangen. Die Kostüme von Alice Babidge waren naturgemäß heutig und manchmal etwas schrill.
Juan Diego Florez, Pretty Yende. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Auch musikalisch konnte man eigentlich nicht wirklich zufrieden sein. Pretty Yende mag eine durchaus erfreuliche Amina, Adina oder Marie sein, für die Violetta ist ihre Stimme einfach zu leicht. Da fehlt die breite Mittellage, um speziell in den dramtischen Szenen eine entsprechende Durchschlagskraft zu entwickeln. Auch läßt sie in ihrer gesamten Rollengestaltung eigentlich kalt. Speziell in der Schlüsselstelle des 2. Aktes, dem „Amami, Alfredo“, wo man eigentlich den berühmten Kloß im Hals spüren sollte, passierte gar nichts. Ähnliches mußte man bei der Arie im 3. Akt und vor allen Dingen im Finale, dass von ihr viel zu diesseitig klang, feststellen. Bei Juan Diego Florez‘ Alfredo hat sich mein Eindruck, den ich schon bei seinem Edgardo hatte, leider bestätigt. Es fehlt ihm einfach die Verdische Kantilene. Auch fehlt der Stimme eine gewisse Weicheit und Geschmeidigkeit und im 3. Bild auch die dramatische Durchschlagskraft. Igor Golovatenko als Vater Germont wirkt vom Regisseur vollkommen verlassen, der ihn nur irgendwie auf der Bühne herumstehen lässt. Er verfügt zwar über einen durchaus schönen Bariton, der aber für diese Rolle etwas zu hart erscheint, was speziell in der Arie unangenehm auffällt.
Der Dirigent des Abends, Giacomo Sagripanti, ist sicher ein ordentlicher Opernkapellmeister, der den Abend sicher über die Runden brachte. Besondere Feinheiten bei der Auslotung der Partitur konnte man nicht feststellen, wobei speziell die beiden Vorspiele einige Wünsche offen ließen. Im übrigen fehlte der grosse Bogen, der bei diesem Werk schon eine unabdingbare Notwendigkeit ist. Das Orchester versuchte das Beste aus der Situation zu machen, der Chor (Einstudierung: Martin Schebesta) sang zufriedenstellend.
Wir werden auch mit dieser Inszenierung zu leben lernen, allerdings wird sie in fünf Jahren älter aussehen, als es ihre Vorvorgängerin je getan hätte.
Heinrich Schramm-Schiessl