WIEN / Staatsoper: „LA TRAVIATA“ – 15.9.2024
Lisette Oropesa, Juan Diego Florez. Foto: Michael Pöhn/ Wiener Staatsoper
Während Teile von Österreich im Hochwasser versinken und ganz Niederösterreich zum Katastrophengebiet erklärt wurde, wird in Wien trotz großer Einschränkungen im Öffentlichen Verkehr versucht, den Kulturbetrieb am Laufen zu halten. Da die Wiener Staatsoper bisher verschont geblieben ist – im Gegensatz zur Semperoper bei der Flutkatastrophe in Dresden im Jahr 2002 – fand die letzte Aufführung der laufenden „Traviata“-Serie wie geplant statt.
Die Besetzung der drei Hauptpartien war ident mit der Besetzung der Aufführungsserie vor einem Jahr (siehe mein Bericht: https://onlinemerker.com/wien-staatsoper-la-traviata-26/ ).
Lisette Oropesa ist mit ihrem lyrischen Koloratursopran, der sowohl zarte Lyrismen als auch dramatische Ausbrüche mühelos bewältigt, eine ideale Interpretin der Violetta Valéry, die in der Inszenierung von Simon Stone ja keine Kurtisane im Paris des 19. Jahrhunderts ist, sondern eine Influencerin der Gegenwart. Oropesa überzeugt sogar mehr als ihre Vorgängerin in der Premiere dieser Produktion. Man nimmt ihr sowohl die ausgelassene Lebensfreude zu Beginn als auch die Resignation und Verzweiflung über die fortschreitende Krebserkrankung ab.
Die Stimme von Juan Diego Flórez bleibt im Volumen einfach begrenzt, wodurch die von ihm angestrebte Repertoireerweiterung nicht ganz einfach zu bewerkstelligen sein dürfte. (Wie wohl der Pollione in der geplanten „Norma“-Premiere gelingen wird?) Über weite Strecken klingt seine Stimme einfach zu leise, aber wenn er feinsinnig und nobel lyrische Phrasen singt, dann nimmt man ihm den Alfredo auch stimmlich ab.
Ludovic Tezier. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Ludovic Tézier, der krankheitsbedingt die ersten beiden Vorstellungen dieser Aufführungsserie absagen musste, begann an diesem Abend noch sehr vorsichtig, steigerte sich aber bereits im Duett mit Violetta und überzeugte mit seinem kraftvollen Bariton als Chef des „Germont-Clans“.
Die kleineren Partien (Alma Neuhaus als Flora, Stephanie Maitland als Annina, Carlos Osuna als Gaston, Attila Mokus als Baron Douphol, Leonardo Neiva als Marquis d’Obigny und Ilja Kazakov als Doktor Grenvil) waren zufriedenstellend besetzt.
Der aus Venezuela stammende Domingo Hindoyan am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper fiel vor allem durch seine Rücksichtnahme auf die Sänger auf, wodurch vor allem Juan Diego Flórez profitierte. Ob das damit zusammenhängt, dass der Dirigent mit einer Sängerin, der bulgarischen Sopranistin Sonya Yoncheva, verheiratet ist?
Noch ein kleines Detail zur Inszenierung: ich habe diese Inszenierung nun zum dritten Mal live gesehen. Und ich habe mich tödlich gelangweilt, trotz der guten Sänger. Während in der alten Otto Schenk-Inszenierung auch noch in der 100. Aufführung Spannung aufkam, wenn drei unterschiedliche Sängerpersönlichkeiten aufeinandertrafen, erweist sich das Regiekonzept von Simon Stone bei mehrmaligem Sehen nicht nur mit vielen Fehlern behaftet, sondern vor allem als langweilig, trotz der Bilderflut, mit der die Zuseher überschüttet werden.
Viel Beifall und verdienter Jubel für die drei Protagonisten.
Walter Nowotny