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WIEN / Staatsoper: LA FANCIULLA DEL WEST – Wiederaufnahme

Eine Opernrarität als willkommene Bereicherung des Repertoirealltags

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Claudio Sgura (Sheriff Jack Rance) und Malin Bytröm (Minnie) beim folgenschweren Pokerspiel. Alle Fotos: Wiener Staatsoper / MIchael Pöhn

WIEN / Staatsoper: Wiederaufnahme von Giacomo Puccinis LA FANCIULLA DEL WEST

17. Aufführung in dieser Inszenierung

7. Jänner 2024

Von Manfred A. Schmid

In Puccinis im Wilden Westen spielender „Pferdeoper“ La fanciulla del west (Das Mädchen aus dem Goldenen Westen) kommen zwar keine Pferde vor,  immerhin aber viele Goldgräber, ein Sheriff, eine Saloon-Wirtin sowie ein paar dubiose Gesellen, darunter der Räuberhauptmann Ramerrez, der wegen verschiedener Überfälle von der Firma Wells Cargo Firma gesucht wird und schließlich von der Wirtin Minnie, die sich in ihn verliebt hat, in letzter Minute vor dem Tod auf dem Galgen gerettet wird. Ramerrez, der sich unter dem Namen Dick Johnson in dem kalifornischen Goldgräberort eingeführt hat, gelobt an der Seite seiner Geliebten ein neues Leben anfangen zu wollen. In der Inszenierung von Marco Arturo Marelli, der – wie bei dem Ehrenmitglied der Staatsoper üblich – auch für Bühne und Licht verantwortlich zeichnet, besteigt das Paar am Schluss einen Heißluftballon, der sich in die Lüfte erhebt, und reist ab. Ein glücklicher Ausgang, wie er bei Puccini, sieht man von seinem komischen Einakter Gianni Schicchi und der unvollendet gebliebenen, aber ansonsten doch recht blutgetränkten Turandot einmal ab, ziemlich unüblich ist: Nirgends wird bekanntlich so schön gestorben wie in den Opern des aus Lucca stammenden Italieners, der mit seinen veristischen Meisterwerken La Bohème, Tosca, Manon Lescaut und Madama Butterfly den Spielplan der Opernhäuser in aller Welt prägt und dominiert wie kaum ein anderer.

La fanciulla del west gehört zu den zu Unrecht unterschätzten und im Repertoirealltag leider allzu oft vernachlässigten Opern Giacomo Puccinis. Schön, dass dieses fein orchestrierte und spannungsgeladene Werk, das es in den zehn Jahren seit der Wiener Premiere 2013, unter der Leitung von Franz Welser-Möst und mit Nina Stemme und Jonas Kaufmann, nur auf mickrige 16 Aufführungen gebracht hat, nun wieder auf der Bühne der Staatsoper zu erleben ist. Die Personenführung von Marelli erweist sich in der Wiederaufnahme weiterhin als ebenso meisterhaft wie die von Puccini genial komponierten und von Marelli exzellent umgesetzten Massenszenen. Und das, obwohl Roberto Frontali kurzfristig krankheitshalber ausgefallen ist und in buchstäblich letzter Minute durch den zur Rettung des Abends angereisten italienischen Landsmannes Claudio Sgura ersetzt werden musste. Dem großgewachsenen Bariton, der sich bereiterklärt hat, die Rolle des selbstbewusst und autoritär auftretenden Sheriffs Jack Rance nicht nur zu singen, sondern – ohne vorherige Probe – auch zu spielen, kommt seine Erfahrung in dieser Rolle zugute. Sgura hat ein gutes Gespür für die Abläufe und ist ein mehr als tadelloser Einspringer für die Figur der argwöhnischen, eifersüchtigen und vergeblich auf Minnies Gunst hoffenden Ordnungshüters.

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Yonghoon Lee (Dick Johnson alias Ramerrez) und Ensemble

Malin Byström ist Minnie, die von den Bewohnern der eingezäunten Container-Siedlung verehrte, geschätzte wie auch geliebte Wirtin, die ihre Gäste in ihrem Saloon Polka“ nicht nur freundlich bedient, sondern – als Lehrerin und Beraterin – auch zu deren Erbauung beiträgt und ihnen gelegentlich sogar aus der Bibel vorliest. Die Rolle der resoluten und doch naiven wie auch unschuldsvollen jungen Frau, die es schafft, sich die zudringlichen Kerle vom Leib zu halten und auf deren Respekt zählen darf, nimmt man der schwedischen Sopranistin nicht so einfach ab. Als sie aber in der unvermuteten Begegnung mit Dick Johnson/Ramerrez die Liebe entdeckt und in Leidenschaft für ihn entflammt, wirkt sie um vieles authentischer. Um ihn zu retten, lässt sie sich auf einen gefährlichen Deal mit dem Sheriff ein: In einem Pokerspiel ist sie der ihm winkende Preis, sollte er gewinnen, was sie allerdings gerissen zu verhindern weiß. Spannung pur in einer Konstellation, die an die Dreiecksbeziehung Cavaradossi-Tosca-Scarpia erinnert: Es kommt nicht zum Duell der beiden Rivalen, sondern die Frau übernimmt die Initiative und schaltet sich ein. Ausdruck von Puccinis Wertschätzung der Frauen.

Yonghoon Lee als zur Läuterung bereiter Dick Johnson kann seinen geschmeidigen Tenor in der Hektik der Handlung erst im dritten Akt, als es ihm an den Kragen geht und er in der Arie „Ch’ella mi credas“ Seine Reue und Sorge um Minnies Zukunft kundtut, so richtig ausspielen. Ein junger Mann mit einer großen Stimme, ein Spinto-Tenor mit Potenzial für einen dramatischen Tenor: ideale Voraussetzungen für einen überzeugend starken Auftritt in dieser Rolle.

Dreizehn weitere Rollen sind trefflich aus dem Ensemble und dem Opernstudio besetzt. Erwähnung verdienen u.a. Carlos Osuna als verlässlicher Kellner Nick, Attila Mokus als Goldgräber Sonora und Dan Paul Dumitrescu als Ashby, Repräsentant von Wells Cargo. Ilja Kazakov als Billy Jackrabbit und Daria Sushkova als Wowkle treten als ein Paar der amerikanischen Ureinwohner auf, früher einmal in Hollywood-Western despektierlich „Rothäute“ genannt.

Auch der Chor ist musikalisch gefragt und kommt auf der Bühne, ebensio wie das Bühnenorchester, auch szenisch zum Einsatz. Als musikalischer Leiter am Pult des Staatsopernorchesters sorgt Carlo Rizzi, ein erfahrener Operndirigent vor allem im italienischen Fach, bei seinem späten Hausdebüt für eine dramatisch stets spannende Umsetzung der farbenreich durchkomponierten Partitur, die – unabgelenkt von Arien – stets die erregend voranschreitende Handlung im Auge behält.

Sehr viel und länger als üblich anhaltender Applaus für eine solide, den Repertoirealltag erfreulich bereichernde Aufführung.

 

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