„Dal tutto al niente precipito in un tratto “ oder „„Il giorno di Dandini“ – La Cenerentola an der Wiener Staatsoper, Aufführung vom 12.03.2023
Dmitry Korchak, Vasilisa Berzhanskaya. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Es ist uns nicht ganz klar, ob man Sven-Eric Bechtolfs Inszenierung von Rossinis Cenerentola aus dem Jahr 2013 noch als zeitgenössisch bezeichnen kann, da ja derzeit ein Großteil dessen, was an der Staatsoper gegeben wird, neu gestaltet wird. Ziel soll dabei sein, statt ein Museum zu sein, zeitgenössische Relevanz zu erzeugen und ebenso zeitgenössische Inszenierungen einzukaufen. Dass die meisten davon auf wenig Gegenliebe beim Publikum stoßen, scheint irrelevant zu sein, irgendwie wird man das Haus schon füllen und wenn es nur mit Touristen der Fall ist. Und auch über die Aussage mit dem Museum selbst machen sich ja bereits andere Inszenierungen lustig, nicht zuletzt ist gegen ein gut geführtes Museum nun wirklich nichts einzuwenden.
Glücklicherweise liegt bei der Bechtholfschen Inszenierung eine Umsetzung vor, die zwar keineswegs eine historisierende Form auf die Bühne bringt, aber durch und durch vor Witz und Charme sprüht. Dabei wird die Handlung in einen fiktiven Mini-Staat verlegt – San Sogno – welcher im Set-Up der 50er Jahre eine Mischung aus Monaco und Rimini der 50er Jahre darstellt. Hier paaren sich dann Clubsessel und Nierentischchen mit Petticoats, ausfallenden Brillengestellen und alten Agip-Zapfsäulen. Eigentlich fehlt nur noch Conny Francis, die auf dem Fahrrad des Eisverkäufers die Blicke der versammelten Einwohner des fiktiven San Sognos auf sich zieht.
So tritt dann auch Don Ramiro in der Chauffeurs-Uniform seines Kammerdieners auf, natürlich mit Breeches und Schirmmütze. Dmitry Korchak spielt dabei die Rolle des Prinzen so natürlich, als hätte er sie nicht nur bereits in der Premiere dieser Produktion gegeben, sondern wäre ohnehin nie etwas anderes gewesen. Diese natürliche Entspanntheit schlägt sich auch in seinen gesanglichen Qualitäten wieder, die sich zielgerichtet im Laufe des Abends steigern und schließlich in der Arie „Sì, ritrovarla io giuro“in voller Gänze zeigen: Ein Tenore di Grazia, wie er im Buche steht, strahlend wie eben ein Prinz sein muss, der zu Pferde (oder hier im 52er MG TD Cabriolet) seine Cenerentola aus den Fängen der bösen Verwandten entreißt und neben sich auf den Thron setzt. Das können wirklich nur ganz wenige und lässt wirklich nichts zu wünschen übrig. Bravo, bravissimo Herr Korchak, das war Bel-Canto in Reinform!
Nicht minder Lob ist an Vasilisa Berzhanskaya zu entrichten, die als Angelina das perfekte Pendant zu Prinz Ramiro bildet: Mit echter Bescheidenheit und angenehmer Zurückhaltung startet sie spielerisch in den Abend. Dabei gelingt es ihr bereits bei „Una volta c‘era un re“ erste Markpunkte zu setzen, die rasch in einem ersten Höhepunkt während des „Signore, una parola“gipfelt. Und auch im weiteren Verlauf des Abends steht hier auf der Bühne eine junge Frau, die immer weniger bereit ist, sich unterdrücken zu lassen und sich immer weiter emanzipiert. Frau Berzhanskaya bringt das auch stimmlich auf die Bühne und lässt uns schliesslich in „non piu mesta“ das ganze Spektrum ihres gesanglichen Könnens erleben, was wahrhaftig beeindruckend ist. Dass Frau Berzhanskya dabei stets bescheiden und bodenständig bleibt, ist nicht nur der Inszenierung geschuldet. Es ist auch ihrem zurückhaltenden Auftreten zu verdanken, welches ebenso bescheiden wie die Cenerentola auf die Bühne tritt, und dabei Großes leistet, ohne im Mittelpunkt stehen zu wollen. Il bontà in trionfo eben – im Spiel als auch im Gesang. Brava, bravissima Vasilisa Berzhanskaya!
Fulminant ist vom ersten Augenblick an Roberto Tagliavini als Alidoro. Man ist versucht, seinen Bass wirklich als gewaltig zu bezeichnen, was er an diesem Abend bringt, ist wirklich bemerkenswert. Dass er dabei stets nonchalant der Strippenzieher der Geschichte bleibt und gekonnt über den Dingen schwebt, unterstützt die Wirkung seiner Stimme noch zusätzlich. Spätestens, als er der koketten Eisverkäuferin an den Hintern geht, blitzt ganz kurz auf, dass dieser Alidoro doch vielschichtiger ist, als es scheinen mag. Natürlich gibt er den großen Philosophen und Humanisten. Doch auch dieser ist nicht mehr und weniger menschlich, als alle anderen Charaktere, die Rossini in der Cenerentola zwar in Teilen stereotypisch, doch mit großem Tiefgang gezeichnet hat. Denn Tagliavini zeichnet einen Alidoro, der vor allen Dingen seinem Arbeitgeber verpflichtet ist, da kann der Humanismus an der einen oder anderen Stelle einmal warten. Und dieser Alidoro weiss sich im Erfolg seiner Arbeit zu sonnen, auch wenn das Werk noch nicht beendet ist. Das wird stimmlich dann in “Là del ciel nell’arcano profondo” ausgebreitet und wird auch zu Recht durch das Publikum gefeiert – umwerfend mit welcher Kraft und stimmlichen Tragweite Herr Tagliavini hier singt. Bravo, bravissimo!
Von Tragweite kann der Charakter des Don Magnifico natürlich nur träumen, denn an ihm ist außer ausgeprägten Geltungsdrang gar nichts mehr Magnifico. Rossini hat hier in feiner Satire einen versoffenen und bankrotten Adeligen gezeichnet, dessen Egoismus in wahrhaft niederer Boshaftigkeit seine Ausprägung findet. Pietro Spagnoli ist hier eine wunderbare Besetzung, da es ihm gelingt diesen aufgeblasenen Kerl klug in seinen Charaktereigenschaften auf die Bühne zu bringen. So gemein, daß er seine eigene Stieftochter wegsperrt, ja regelrecht verleugnet und sie als verstorben bezeichnet. Es ist keinesfalls einfach, das überzeugend auf der Bühne darzustellen – Spagnioli gelingt es. Nebenher ist es auch noch ein Heiden-Vergnügen, ihm in seinen zahlreichen Schattierungen des Scheiterns zuzuschauen. Insbesondere in der Conciosiacosaché Arie ist der Höhepunkt des fast schon tragischen Don Magnifico zu sehen. Sturztrunken nach dem Konsum von 30 Flaschen Wein spielt er seinen gesamten Geltungsdrang aus und merkt nicht einmal ansatzweise, wie sehr er an der Nase herumgeführt wird. Beinahe könnte er einem leidtun, aber eben nur beinahe, denn die Niederträchtigkeit seines Charakters ist dann doch zu deutlich. Auch hier ein großes Bravo an Herrn Spagnoli, der voll und ganz in seiner Rolle aufgeht und mit großer Spielfreude diesen Charakter in seiner letztlichen Lächerlichkeit vorführt. Dabei ist dieser Charakter von Herrn Spagnoli so zeitlos dargestellt, daß man versucht ist, an manch einen geltungssüchtigen Protagonisten unserer Tage zu denken. Bravo, bravissimo!
Und an dieser Stelle offenbart sich die zweite Ebene des ohnehin hochgradig unterhaltsamen Abends: Denn die Antipode des Magnifico, der so unbedingt wichtig sein möchte und aus der Protzerei nicht mehr herauskommt, ist des Prinzen Kammerdiener Dandini. Dieser will eigentlich gar niemand sein, steigt nun, quasi über Nacht, zum Prinzen auf und ist nun der Mittelpunkt des Aufsehens. Und dieser Dandini, der sich zunächst einen Spaß daraus macht, wenn er – erinnernd an einen italienischen Schnulzensänger – mit Verstärkerbox und Mikrofon (eigentlich fehlt nur noch die pomadisierte Elvis-Tolle) die Szenerie betritt, findet dann nach und nach Gefallen an seiner Rolle als Prinz.
Michael Arivony schlüpft in seiner Interpretation der Rolle schnell aus der Rolle des Hofnarrs und eröffnet mit dem Dandini eine ganz andere Tiefe. Herr Arivony beginnt mit einer gehörigen Portion Schalk im Nacken, die auch dem Publikum jede Menge Spaß und Freude bereitet. Und schrittweise merken wir daneben auch: Dieser Dandini ist jemand, der aus ganz bescheidenen Verhältnissen kommt, ja wahrscheinlich sogar arm ist. Und plötzlich wird er nun hofiert, von zwei Frauen gleichzeitig, es fehlt ihm an nichts und er darf vom süßen Leben kosten. Frei nach Warhol hat dieser Dandini hier seine „15 minutes of fame“ (oder hat Warhol bei Rossini geklaut?) und denkt gar nicht daran, das aufzugeben. Also fragen wir uns: Wie ist dieser Dandini eigentlich sonst? Hat er eine Freundin oder eine Frau? Hat er Kinder? Was macht er in seiner Freizeit? Hat er überhaupt Freizeit? Und was passiert eigentlich mit einem Menschen, der sozusagen über Nacht den Lottogewinn zieht?
Dandini zeigt diese Fragestellung selbst kurz auf, im Duett „Un segreto d’importanza“ berichtet er einerseits von seinem normalen Alltag: „Io non uso far dei pranzi/ Mangio sempre degli avanzi/ […] Sempre a piedi me ne vo/ […] Rifar letti, spazzar abit/ Far la barba e pettinar“. Verständlich also, daß Dandini das ausgiebig genießt. Und so könnte dieser Abend auch statt „La Cenerentola“ auch „Il giorno di Dandini“ heißen. Verständlich also seine schockierte Reaktion darauf, daß sein Ausflug in die Welt der Schönen und Reichen schon wieder vorbei ist, als der Prinz ihn wieder in seine Funktion als Kammerdiener zurückschickt: „Ma dunque io sono un ex? Dal tutto al niente / Precipito in un tratto?”
Doch schnell versteht dieser Dandini, daß es hieran nichts zu rütteln gibt und nimmt es mit Humor: „Veramente ci ho fatto Una bella figura.“ Vielleicht auch, weil er merkt wie mühsam dieses Leben ist, denn spätestens als ihn Clorinda und Tisbe in so sehr belagern, daß er vom Clubsessel gleitet, wird ihm wohl klar, daß dieses vermeintlich süße Leben mit harter Anstrengung verbunden ist. Nicht zuletzt auch, da jene, die viel haben, auch viel verlieren können, wie das Beispiel des Don Magnifico zeigt. Das Zerrbild verblichenen Reichtums und vergangener Macht in Reinform eben.
So rät ihm dieser Dandini dann auch lieber schnell zu verschwinden. Eine Anspielung natürlich auf die französische Revolution: Denn hier schmeißt der Kammerdiener den – mitellosen – Baron aus dem Schloss. Ein unerhörter Vorgang. Und doch: Ebenso eine zeitlose Parallele, die auf die Wichtigtuer unserer Zeit ebenso anzuwenden ist. Gar schnell kann auch Jenen gesagt werden: „Oh! non s‘ incomodi/ Non sarà niente/ Ma parta subito/ Immantinente.. Gar zu schnell sind die 15 Minuten ja auch für Don Magnifico vorbei, und ist am Ende nicht der „kleine“ Dandini der wahre Gewinner dieser Posse?
Michael Arviony füllt diese Rolle dabei in all ihren Facetten aus: Vom Eulenspiegel zum Prinzen und wieder zurück. Dabei ist er nicht nur unerhört witzig und charmant. Sein geschmeidiger Bariton ist ein weiterer Star des Abends und schafft weitere Höhepunkte, die man im Vorfeld einer Cenerentola gar nicht erwartet. Herr Arivony beherrscht das Legato Legato genauso einwandfrei wie die Parlandi und verfügt über ein Wärme in der Stimme, in der man sich ganz wunderbar verlieren kann und von der wir hoffentlich noch sehr häufig im wahrsten Sinne des Wortes hören werden. Bravo, bravissimo, Michael Arivony!
Es ist im Ganzen also ein wunderbar vergnüglicher und kluger Opernabend, der nicht zuletzt auch durch Maestro Stefano Montanari fabelhaft zusammengefügt wird. Heiter, leicht und beschwingt. Prickelnd wie Champagner ohne sinnlose Überinterpretation. Die Kunst liegt bereits im Werk, es bedarf weder 70er Jahre Samtkostümen, Lavalandschaften, Nackten, Videoeinspielungen oder anderen effekthascherischen Unfugs, um die Tiefe eines Opernwerks auf die Bühne und ins Bewusstsein der Zuschauer zu bringen. Warum das bei neuen Inszenierungen an der Staatsoper nur noch selten gelingt, verstehen wir zwar nicht. Aber wir überlassen die Don Magnificos sich selbst, feiern mit den Dandinis die Narren dieser Welt und freuen uns über gelungene Abende wie diese, an welchem Haus sie auch immer stattfinden mögen. Bravi tutti!
E.A.L