WIEN / Staatsoper: „LA CENERENTOLA“ – 28.06.2022 – BARTOLIMANIA
Edgardo Rocha, Nicola Alaimo. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn
Mehr als 30 Jahre musste das Staatsopernpublikum warten, bis Cecilia Bartoli endlich offiziell an der Wiener Staatsoper debütieren durfte. Sie hat zwar schon 1994 in der von der Wiener Staatsoper ausgeführten Neuproduktion von Mozarts „Così fan tutte“ unter Riccardo Muti im Theater an der Wien mitgewirkt, aber im Haus der Wiener Staatsoper ist sie bisher nur ein einziges Mal aufgetreten, und zwar am 12. April 2015, unangekündigt als Überraschungsgast, in einem Konzert von Juan Diego Flórez, mit dem sie dann das Duett Angelina – Don Ramiro aus „La Cenerentola“ gesungen hat. Und obwohl sie dabei in einem Kostüm als Putzfrau den Bühnenboden mit einem Besen gefegt hat, hat sich der damalige Staatsoperndirektor Dominique Meyer davon nicht beeindrucken lassen. Er hat ebenso wie sein Vorgänger Ioan Holender während seiner gesamten Direktionszeit Cecilia Bartoli völlig ignoriert. Als Dominique Meyer in seiner Direktionszeit eine „Cenerentola“-Premiere angesetzt hat, wäre es wohl naheliegend gewesen die Bartoli endlich an die Staatsoper zu holen. Aber stattdessen hat er eine junge Sängerin engagiert, die mit der Titelrolle heillos überfordert war. Auch die Mitwirkung der Bartoli in der „Cosi“-Premiere 1994 haben wir nur der Hartnäckigkeit von Riccardo Muti zu verdanken. (Übrigens scheint der bisher einzige Auftritt der Bartoli an der Staatsoper im unvollständigen und sehr fehlerhaften Online-Archiv der Wiener Staatsoper überhaupt nicht auf!)
Ich weiß gar nicht, wie oft ich Cecilia Bartoli weltweit schon als Cenerentola erlebt habe, ad hoc fallen mir mehrere Aufführungen am Opernhaus Zürich in der großartigen Produktion von Cesare Lievi ein, eine Aufführung an der Bayerischen Staatsoper München in der unvergesslichen Ponnelle-Inszenierung, eine semi-szenische Aufführung im Pariser Théâtre des Champs-Élysées und dann die Vorstellungen bei den Salzburger Pfingst- und Sommerfestspielen in der modernen Produktion von Damiano Michieletto. Nun konnte Cecilia Bartoli ihre Paradepartie endlich auch an der Wiener Staatsoper singen, glücklicherweise nicht in der humorlos-dümmlichen Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf, die sich im Repertoire der Staatsoper befindet, sondern in einer sogenannten semi-szenischen Version von Claudia Biersch. In Wirklichkeit handelte es sich jedoch um eine vollwertige und wirklich komische Inszenierung mit wenigen Versatzstücken (ein Tisch, mehrere Stühle und ein paar unentbehrliche Requisiten) in passenden und sogar komischen Kostümen, nur ein Bühnenbild gibt es nicht, lediglich ein paar Projektionen. Dadurch konzentriert sich alles auf das Spiel und die Interaktion der Protagonisten. Wann wurde in der Staatsoper zuletzt so viel gelacht? Und dass einige Regieeinfälle geklaut waren (die Engelsflügel Alidoros und das rote Band für das Zusammenhalten des Ensembles im Finale waren ja eindeutig aus der „Cenerentola“-Inszenierung der New Yorker Metropolitan Opera entlehnt), wen störte das?
Allein schon die Kostüme, mit denen die beiden bösen Stiefschwestern auf den Ball des Prinzen gehen, animierten schon zum Brüllen, Clorinda (Rebeca Olvera) als Seejungfrau mit pinker Perücke und Tisbe (Rosa Bove) als mehrfach in Ohnmacht fallender, eitler Pfau. Pietro Spagnoli, der für Carlos Chausson eingesprungen war, ist für Wien als Don Magnifico nicht neu, ist er doch schon mehrmals in der Bechtolf-Inszenierung aufgetreten. Er war ein stimmlich tadelloser, darstellerisch etwas zurückhaltender Stiefvater. Nicola Alaimo spielte sein komödiantisches Talent aus, wenn er bewusst den Rollentausch mit seinem eigentlichen Herrn ausnutzt. Köstlich wie er mit seiner Körperfülle kokettierte, sehr komisch vor allem die Szene, in der er neben Don Ramiro versuchte mit überkreuzten Beinen zu sitzen. Mit markantem Bariton und beweglicher Stimme war er auch stimmlich ein idealer Dandini. Edgardo Rocha, der schon vor 10 Jahren an der Wiener Staatsoper als Graf Almaviva im „Barbier von Sevilla“ debütiert hat, ist mit seinem beweglichen Tenore di grazia eine Idealbesetzung des Don Ramiro.
Und Cecilia Bartoli? Sie wagt sich noch einmal an diese Partie heran, mit der sie ihre Weltkarriere begann. Eine Herausforderung, die wohl viele andere Sängerinnen gemieden hätten. Sie ist noch immer glaubwürdig auf der Bühne, ja geradezu umwerfend. Ihre technische Perfektion ist nach wie vor atemberaubend, die perlenden Läufe, die perfekten Triller, da reicht bis heute keine andere Sängerin an sie heran. Es erstaunt immer wieder mit welchen Nuancen in der Stimme sie jedem Gefühl den richtigen Ausdruck verleihen kann. Wenn man beckmessern will, dann kann man natürlich feststellen, dass vor allem in der Mittellage die Stimme bereits an Fülle und Wohlklang verloren hat. Aber wer will an einem so glücklichen Tag, der uns endlich das Debüt der Bartoli an der Staatsoper beschert hat, schon beckmessern? Dazu kommt natürlich noch Bartolis Spiel: mit einer geschickten Mischung aus Natürlichkeit und Raffinesse verleiht sie der Figur eine Verletzlichkeit, eine Zärtlichkeit, eine Verträumtheit, wie man es sich nicht besser vorstellen kann.
José Coca Loza als Alidoro und der spielfreudige Männerchor des Opernhauses von Monte-Carlo ergänzten die Besetzungsliste. Les Musiciens du Prince-Monaco unter der musikalischen Leitung von Gianluca Capuano realisierten Rossinis Meisterwerk mit einem Reichtum an musikalischen Nuancen und Akzenten. Besondere Erwähnung für Luca Quintavalle am Hammerklavier, der wunderbar mit den Texten der Rezitative spielte und sie so völlig lebendig machte.
Am Ende gab es unbeschreiblichen Jubel und langanhaltenden Applaus. Drei Nummern (das Sextett „Questo è un nodo avviluppato“, das Finale des 1. Aktes und das Rondo-Finale des 2. Aktes) mussten schließlich sogar wiederholt werden! Das Publikum tobte. So einen Jubel und so viele glückliche Gesichter nach einer Vorstellung hat der amtierende Operndirektor in seiner Direktionszeit bisher noch nicht erlebt. Das lässt das Publikum hoffen, dass es vielleicht nicht bei diesem einmaligen Gastspiel von Cecilia Bartoli an der Staatsoper bleiben wird. Es wäre schön, wenn sie auch einmal in einer regulären Aufführung der Staatsoper auftreten würde. Sonst wird es Cecilia Bartoli wie Maria Callas ergehen, die an der Wiener Staatsoper auch nur dreimal anlässlich eines Gastspiels der Mailänder Scala aufgetreten ist.
Aber zunächst gibt es noch vier Abende im Rahmen dieses Gesamtgastspiels der Oper von Monte-Carlo. Alle diese Vorstellungen laufen unter dem Titel „ROSSINIMANIA 2022“ zur Erinnerung an das „Wiener Rossini-Fieber“: Von Mitte April bis Mitte Juli 1822, also vor genau 200 Jahren, versetzte die Anwesenheit Gioachino Rossinis und seiner Gattin Isabella Colbran Wien in einen beispiellosen Begeisterungstaumel, den wohl kein anderer Komponist davor oder danach in Wien ausgelöst hat. Aber bereits nach dem ersten Abend des Gastspiels der Oper von Monte-Carlo muss man dieses Festival umbenennen: BARTOLIMANIA ist in Wien ausgebrochen!
Walter Nowotny