WIEN / Staatsoper: LA BOHÈME
462. Aufführung in dieser Inszenierung
28. Oktober 2024
Von Manfred A. Schmid
In Hamburg, wo sie an der Staatsoper u.a. Micaela, Manon, Liu und Mimì gesungen hat, gilt sie als „neu gekrönte Star-Sopranistin“ und wird mit Mirella Freni und Angela Georghiu verglichen, soll die beiden als Interpretin der MimÌ sogar übertroffen haben. Nach Dresden, wo sie in dieser Rolle ebenfalls stürmisch umjubelt wurde, steht sie nun erstmals in Franco Zeffirellis musealer, nach dem kürzlich erlebten Albtraum namens Don Carlo aber ungemein wohltuender La-Bohème-Inszenierung an der Seite des bewährten Saimir Pirgu auf der Bühne der Wiener Staatsoper. Und siehe da, der albanische Tenor und die ebenfalls aus Albanien stammende Sängerin Elbenita Kajtazi entpuppen sich tatsächlich als das neue Traumpaar in der in der so rührend-berührenden Oper von Giacomo Puccini, dessen 100. Todestag am 29. November ansteht. Schon nach Rodolfos „Che gelida manina“ und Mimìs schüchtern-bescheidener, ungemein herzlicher Erwiderung „Sì. Mi chiamano Mimì“ spürt man, dass einem wohl das Herz übergehen wird.
Kajtazis lyrischer Sopran ermöglicht ihr eine gesanglich innige Gestaltung ihrer Rolle, dazu kommen eine einnehmende darstellerische Leistung und eine ansprechende Erscheinung. Gemeinsam mit ihrem Landsmann Pirgu, der als ausgezeichneter Rodolfo in Wien nach einer Serie gelungener Auftritte fast schon eine erfreuliche Selbstverständlichkeit ist, verleiht sie der Inszenierung eine belebende Frische, so dass man wieder einmal genauer hinsieht und auch hinhört. Das ist kein Repertoirealltag, sondern ein ereignishafter Opernabend.
Saimir Pirgus heller Tenor, ebenfalls in Hochform, strahlt charmant in der kurzen Arioso-Arie „Questa è Mimì, gaia fioraia“ im Momus-Bild und sorgt sich als mitfühlend Liebender, bis zum Schluss hoffend und gegen die Verzweiflung ankämpfend, um die todkranke, herzerwärmende, steinerweichende Mimì.
Bevor es um die weiteren Rollen geht, die alle aus dem Haus besetzt werden, ist eine weiteres erfolgreiches Hausdebüt zu erwähnen: Die in Österreich lebende litauische Dirigentin Giedré Slekyte, die 2022 in der vom Hausherrn, Stefan Herheim, inszenierten Oper Das schlaue Füchslein im Ausweichquartier des MusikTheaters an der Wien im Messepalast am Pult der Wiener Symphoniker mit ihrem schwungvollen Dirigat auf sich aufmerksam gemacht hat, und sich nun auch im italienischen Fach auszeichnet. Sie wird schon mit besonders herzlichem Applaus empfangen und beim Schlussbeifall für eine starke Aufführung zurecht gefeiert.
Anna Bondarenko hat sich gegenüber ihren bisherigen Leistungen in der Rolle der Musetta etwas gesteigert, ist darstellerisch mehr als okay, bleibt aber stimmlich immer noch unter den Erwartungen, die man ihr als Kokotte mit ihrer einzigen, wie auch einzigartigen Arie entgegenbringt. Das neckisch-aufreizende, selbstvermarktende Walzerlied soll ihr die Aufmerksamkeit ihres eifersüchtigen Gelegenheitsfreundes Marcello zurückzugewinnen, wendet sich aber auch an das anwesende Publikum im Quartier Latin. Bondarenko steht als Musetta eine Arie lang voll im Rampenlicht, erreicht das Theaterpublikum aber doch nicht. Die letzte Besetzung aus dem Haus, der das voll gelungen war, war Marjam Battistelli, und das ist schon fünf Jahre her.
Von den drei Kollegen in Rodolfos Künstler-WG hat nur der Maler Marcello etwas mehr zu singen. Der Bariton Leonardo Neiva hat im dritten Bild, in der frostig-verschneiten Winterlandschaft am Stadtrand von Paris einen großen Auftritt im Duett mit Mimì, in dem Beziehungsprobleme der beiden Paare besprochen werden und Mimì ihn verzweifelt um Rat fragt. Neiva macht seine Sache gut, strahlt Bühnenpräsenz aus und ist auch stimmlich voll da. Wie Neiva hat auch Martin Hässler als Musiker Scháunard mit seiner Rolle bereits Erfahrung und legt spielfreudig eine tadellose Leistung ab. Der Bass Ilja Kazakov kann sich bei seinem Rollendebüt als Philosoph Colline mit einer etwas rau vorgetragenen Mantel-Arie profilieren.
Hans Peter Kammerer sorgt als übertölpelter komischer Alter sowohl als Vermieter Benoit wie auch als schamlos ausgenützter Sugar Daddy Musettas für Lacher, Juraj Kuchar ist ein positiv auffallender marktschreierischer Spielzeugverkäufer Parpignol, um den sich der laustark zu Wort meldende, muntere Kinderchor der Opernschule scharrt.
Im von Zeffirelli unnachahmlich toll inszenierten, allgemeinen Trubel des Momus-Akts können sich auch der wie immer bestens vorbereitete, durch den Extrachor verstärkte Staatsopernchor und das Bühnenorchester gut einbringen.
Zeffirelli und ein Traumpaar in den Hauptrollen: Da bleibt wenig zu wünschen und viel zu klatschen übrig, was das Publikum auch ausgiebig macht.