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WIEN/ Staatsoper: LA BOHÈME

WIEN / Staatsoper: „LA BOHÈME“ –   12.01.2022

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Benjamin Bernheim. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Wenn ich nicht irre, dann ist die wundervolle Zeffirelli-Produktion von Puccinis „La Bohème“ nun die zweitälteste Inszenierung im Repertoire der Wiener Staatsoper. Und noch immer bietet sie für ständig wechselnde Besetzungen einen idealen Rahmen, um dem Publikum die Geschichte vom Leben und Sterben der Näherin Mimì gefühlvoll zu vermitteln.

Ich habe Benjamin Bernheim erstmals 2012 bei den Salzburger Pfingstfestspielen in einer konzertanten Aufführung von Massenets „Cléopâtre“ gehört. Im gleichen Jahr konnte man ihn bei den dortigen Sommerfestspielen in Mozarts „Il Re Pastore“ erleben. In Salzburg trat er auch in den folgenden Jahren oft auf: 2013 als Graf Lerma und königlicher Herold in Verdis „Don Carlo“ und als Baroncelli in einer konzertanten Aufführung von Wagners „Rienzi“, 2014 bereits als beeindruckender Eginhard in Schuberts „Fierrabras“, 2016 bei den Osterfestspielen als Cassio in Verdis „Otello“, im Sommer 2016 in konzertanten Aufführungen von Massenets „Thais“ (als Nicias) und von Puccinis „Manon Lescaut“ (als Edmondo, an der Seite von Anna Netrebko) und bei den Pfingstfestspielen von 2018 als umwerfender Piquillo in Offenbachs „La Périchole“. 2018 debütierte er auch an der Wiener Staatsoper (als Nemorino). Er hat sich also in zehn Jahren vom Opernstudio des Zürcher Opernhauses an die Weltspitze emporgearbeitet und nun kann er den Lohn für seinen Fleiß ernten. Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass ich in meiner Erinnerung Jahrzehnte zurückgehen muss, zu den besten Zeiten eines Giacomo Aragall, eines José Carreras, eines Plácido Domingo oder eines Luciano Pavarotti, um eine vergleichbar gute Leistung eines Tenors in der Rolle des Rodolfo zu erhalten, wie sie Benjamin Bernheim nun an der Wiener Staatsoper abgeliefert hat. Seine Stimme sitzt gut und fühlt sich scheinbar in allen Lagen wohl. Die Registerwechsel funktionieren perfekt, die Phrasierung ist exzellent und der leicht metallische Klang der Stimme erinnert ein wenig an die großen Tenöre der Sechziger Jahre (die ich selbst nur von Platten kenne). Wie herrlich ist es von einem Tenor strahlende Spitzentöne zu hören ohne zittern zu müssen, ob er sie überhaupt erreicht oder ob er sie halten kann. Dazu verfügt die Stimme über einen sinnlichen Schmelz, der gerade der Partie des Rodolfo sehr zugute kommt. Dass er darüber hinaus auch noch gut aussieht, sich sicher auf der Bühne bewegen kann und überzeugend spielen kann, sei nur am Rande erwähnt. (Und dass er wegen einer gerade erst überstandenen Covid-Erkrankung möglicherweise nicht einmal in bester gesundheitlicher Verfassung angetreten ist, kann man gar nicht glauben.) Mit diesem Rodolfo hat er bewiesen, dass er zu der ersten Riege der Tenöre aufgestiegen ist, ja so manch anderen Tenorstar bereits weit hinter sich zurücklässt. Bravissimo! Auf seine Rückkehr an die Wiener Staatsoper im April (als Edgardo in „Lucia di Lammermoor“) kann sich das Wiener Publikum bereits jetzt freuen.

Nicole Car verfügt über ein schönes Material, wenn die Stimme auch nicht den samtenen Schimmer einer Mirella Freni oder den warmen Klang einer Ileana Cotrubas besitzt. Aber Cars Stimme präsentiert sich im piano  und mezzoforte ebenmäßig, und sie passt mit ihrem Timbre ganz ausgezeichnet zu der Stimme von Benjamin Bernheim. Darstellerisch überzeugt sie als trotz ihrer Zerbrechlichkeit sehr selbstbewusste Mimì. Schade nur, dass das hohe C am Ende des 1. Bildes etwas kurz geriet.

Clemens Unterreiner ist ein spielfreudiger Marcello mit kerniger Virilität, der auch keine Probleme hat über das (zu laute) Orchester zu kommen. Es ist schön, dass wir in unserem Ensemble Sänger haben, die so ein breites Spektrum haben (ich denke da nur an seinen Telramund bei den Wagner Festspielen in Wels) und auch gut vorbereitet sind, um in letzter Minuten eine Premiere retten zu können („Hänsel und Gretel“ unter Thielemann).

Vera-Lotte Boecker ist eine Sopranistin, die den Spagat zwischen einem verführerischen und lasziven Walzer im 2. Bild und einem berührenden Ave Maria im 4. Bild spannen kann und darüber hinaus genügend Stimmvolumen besitzt, um im Quartett am Ende des 3. Bildes mühelos über das Orchester zu kommen.

Nicholas Brownlee ist Träger und Preisträger zahlreicher internationaler Auszeichnungen, Stipendien und Gesangswettbewerbe, darunter die Metropolitan Opera National Council Auditions 2015, der Hans Gabor Belvedere-Wettbewerb 2016 und im gleichen Jahr der Zarzuela Preis des Operalia Wettbewerbs. Seit 2017/18 ist Nicholas Brownlee Ensemblemitglied des Staatstheaters Karlsruhe. Den Colline sang er gerade erst an der Metropolitan Opera und in dieser Rolle stellte er sich nun auch dem Wiener Opernpublikum vor. Mit einem kraftvollen, aber dennoch weich und samtig klingenden, eher hell timbrierten Bass und großer Spielfreude gelang ihm ein wirklich eindrucksvolles Hausdebüt.

Die Männer-WG in der Pariser Dachbodenwohnung wird von unserem Ensemblemitglied Martin Häßler als Schaunard ausgezeichnet ergänzt.

In weiteren Rollen konnte man Marcus Pelz (als Benoît und als Alcindoro) und den stimmkräftigen Wolfram Igor Derntl (als Parpignol) hören.

Wenn Agenturen oder Opernhäuser einen neuen Künstler mit großer PR-Maschinerie ankündigen, ist immer große Vorsicht geboten. Die überschwänglichen Ankündigungen erwecken bei den Opernbesuchern dann (allzu) hohe Erwartungen, die dann nicht erfüllt werden (können). So geschehen nun mit dem Hausdebüt der koreanischen Dirigentin Eun Sun Kim. Erstens ist sie für Wien nicht neu, sie hat bereits mehrfach an der Volksoper dirigiert. Und zweitens war ihr Dirigat keineswegs außergewöhnlich oder sensationell. Gewiss, sie hat Orchester und Bühne gut im Griff, aber wie so viele Gastdirigenten lässt sie das Orchester viel zu laut aufspielen. Wie gut, dass an diesem Abend nur stimmkräftige Sänger auf der Bühne standen. Außerdem vermisste ich, dass sie keinen Moment lang eine Phrase genüsslich auskostet. Wenn ich daran denke, wie das Karajan oder Kleiber gemacht haben… Das soll jetzt ihre insgesamt gute Leistung nicht schmälern, aber außergewöhnlich war sie keineswegs.

Ungeachtet dieses letzten kleinen Einwands war es eine Aufführung, die den Besucher glückselig auf den Heimweg schickte. Wann erlebt man heute noch Opernaufführungen, bei denen man sich nicht über die blödsinnige Inszenierung, das hässliche Bühnenbild, eine bestenfalls nur als mittelmäßig zu bezeichnende Besetzung oder einen schlechten Dirigenten ärgern muss? Diese Aufführung der „Bohème“ hat mir den in letzter Zeit stark erschütterten Glauben an die Zukunft der Oper wieder zurückgegeben.

Walter Nowotny

 P.S.: Am Sonntag, dem 16.1.2022 gibt es noch einmal die Chance, „La Bohème“ in dieser Besetzung sehen zu können. Lassen Sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Und mit dem Aktionscode mimi22 können Sie einen der vielen noch freien teuren Parkett- oder Logenplätze zum Sonderpreis von nur € 49,00 erhalten.

 

 

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