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WIEN / Staatsoper, Kinderoper: PATCHWORK

29.01.2017 | Oper

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Fotos: Wiener Staatsoper / Pöhn

WIEN / Staatsoper, Kinderoper, Agrana Studiobühne:
PATCHWORK von Tristan Schulze
Auftragswerk der Wiener Staatsoper / Uraufführung
Premiere: 29. Jänner 2017

Sind Kinder auch nicht mehr, was sie einmal waren, wenn man ihnen schon Smartphones in die Wiege legt und in den seltensten Fällen die „normale“ Familie (Vater, Mutter, Kind) bietet? Jedenfalls haben sich Librettistin Johanna von der Deken und Komponist Tristan Schulze entschlossen, für die Kinderoper, die die Wiener Staatsoper bei ihnen in Auftrag gab, eine Geschichte von hier und heute auf die Bühne zu bringen – mit Konstellationen, die möglicherweise viele Kinder im Publikum von sich selbst oder von ihren Freunden kennen.

Die Eltern geschieden, Kinder bei der Mutter, gelegentlich beim Vater und dann mit Geschenken beladen, wobei die Fratzen genau wissen, wie sie die Eltern gegen einander ausspielen können („Papa hätte…“). Die Mutter völlig überfordert, der Vater immer nur hektisch vorbei eilend, selbst mit neuer Freundin beschäftigt, die den Kindern dann ein Halbgeschwisterchen beschert… Aber wenn der allein erziehende Nachbar mit Sohn nicht nur zu Hilfeleistungen für die Mutter und ihre drei Kinder bereit ist, sondern auch Gefühle entwickelt – dann gibt es neue Familienkonstellationen: Patchwork, wie heute üblich.

Das erzählt sich in zwei nebeneinander liegenden Wohnungen als Geschichte dankenswert übersichtlich, und man versteht auch vom dramaturgischen Standpunkt, warum Szene 1 mit Mutter und den drei heimkehrenden Kindern so und nicht anders sein muss, dass man einfach sieht, wie turbulent es in einer solchen Familie zugeht: Nur bricht solcherart dermaßen auch die Kakophonie aus, dass man rein akustisch nichts versteht. Glücklicherweise geraten Libretto und Musik dann in ruhigere, übersichtlichere Bahnen, es gibt sogar schöne Duette (Mutter mit einer Tochter, der Nachbar-Vater mit seinem Sohn, ob es da um Träume geht oder Schulnoten, das ist schön und lebensnah).

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Stephanie Houtzeel und „Sohn“

Auch der Ablauf der Geschichte, in welche der Vater und Exmann der Familie in der linken Wohnung immer wieder hineinplatzt, ist übersichtlich genug: Mutters Bekanntschaft mit dem Nachbarn, die Selbstverständlichkeit, mit der Kinder auf einander zugehen, die sehr, sehr hübsch gezeichnete Annäherung der geschiedenen Mutter und des alleinstehenden Vaters, die Szene, wo dieser als Nikolaus auftritt. Es gibt das schöne Lied von der „Magda-Lene“, die Szene mit der Gitarre, die Mauer zwischen den Wohnungen wird niedergerissen, und Weihnachten sind alle zusammen – die aktuelle Lebensform der Patchwork-Familien nicht als Tragödie, sondern als harmonische Möglichkeit dargestellt.

Das ist nicht nur vom Libretto sehr gelungen, sondern auch von der Musik, die – wie in der Agrana Studiobühne der Staatsoper in der Walfischgasse immer – zum grossteil von hinten kommt, die Musiker hinter den Besuchern aufgebaut, mit Ausnahme eines Quartetts, das der Komponist noch links vorne im Zuschauerraum postiert hat. Und wenn es in der umsichtigen Leitung von Witolf Werner manchmal (oft) zu laut klang – ja, das liegt schon an dem Raum, der ja nicht eigentlich für Musiktheater gebaut wurde…

Schulzes Musik ist, wenn man genau hinhört, meisterlich komplex, plustert sich aber nie angeberisch auf, im Gegenteil, sie erzielt einen gelungenen Eindruck von Leichtigkeit, obwohl sie zum Beispiel im Untermalen von Emotionen ungemein viel leistet. Besonders witzig ist seine Freude am Zitat, da singen die Kinder ebenso eine Art Choral im Händel-Stil, wie auch Pop-Klänge aus der E-Gitarre kommen, da variiert der Komponist verschiedene Formen von Monologen und Arien, da fallen die Mauern mit einem Trompetengeschmetter, das glatt nach dem „Aida“-Triumphmarsch klingt… Das ist schon eine mehr als gelungene Sache, und man kann sich vorstellen, dass „Patchwork“ nicht zu den Opern gehören wird, die ihre Uraufführung nicht überleben.

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Clemens Unterreiner und „Sohn“

Diese Uraufführung ist in dem zwei geteilten Bühnenbild von Stefan Morgenstern (der auch allen Protagonisten das anzog, was man heutzutage eben trägt) auch besonders gelungen. Man spürt einfach, dass Regisseurin Silvia Armbruster die Kinder genau so sein ließ, wie sie sich privat verhalten würden, das holt das Geschehen ganz nah zum Zuschauer, das ist einfach die heutige Welt, in der man sich auskennt. Dass die vier erwachsenen Protagonisten auch noch einiges von ihrem darstellerischen Können dazu würzen, gibt der Sache besonderen Pfiff.

Dabei ist Stephanie Houtzeel die Königin der Geschichte, die man als geplagte, aber unendlich liebende Mutter noch nie so ausgelassen herumwirbelnd und fröhlich gesehen hat wie hier, und wie sie angesichts des neuen Nachbarn aufblüht, ist ein Gustostückchen für sich: Clemens Unterreiner ist auch prächtig in seiner selbstverständlichen Lockerheit, ein moderner Mann und Vater von heute, wie ihn sich jeder wünscht. Von der Rolle her hat Wolfram Igor Derntl als Exgatte den schwarzen Peter, und er muss sowohl angesichts der Ex-Familie wie angesichts seiner ach so chicen Neuen (Hyuna Ko hat leider nur einen Mini-Rolle mit Auftritt ganz am Ende) fest durchatmen. Kurz, zumindest drei der vier Rollen in dieser Kinderoper sind so, dass sich die Sänger die Finger danach abschlecken können.

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Elternpaar Nr. 2 Ildikó Raimondi und Rafael Fingerlos. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Dankenswerterweise hatte ich die Möglichkeit, auch jene Generalprobe zu sehen, in welcher andere Sänger in den „Erwachsenen“-Rollen antraten, und auch die so genannte „zweite“ Besetzung war absolut eine erste, die auch noch das Vergnügen bereitete, neue Akzente zu setzen. So war Ildikó Raimondi nicht ganz so komisch wie die Vorgängerin, aber gewissermaßen reizender und romantischer, und dazu passte, dass Rafael Fingerlos einen echten „Liebhaber“ spielte, gut aussehend (ein bisschen wie Ryan Gosling in „La La Land“) und seinen Bariton so mächtig und schön einsetztend, dass man ihn bald in größeren Rollen im großen Haus sehen möchte. Herbert Lippert nahm den geplagten Vater zwischen zwei Familien als echte, genüsslich ausgespielte Komiker-Rolle, und Maria Nazarova genoß das „Rübensüßchen“ von neuer Freundin, so dass man noch einmal bedauerte, dass die Rolle so schmal ausgefallen ist.

Man kann also davon ausgehen, dass das Publikum, welche Besetzung auch immer die Staatsoper bietet (es gibt für jede der vier Erwachsenen-Rollen noch zwei weitere Interpreten), zufrieden sein kann.

Renate Wagner

 

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