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WIEN / Staatsoper: „KÁTJA KABANOVÁ“ – Getrübtes Sängerglück bei Leos Janáček

22.04.2017 | Oper

WIEN / Staatsoper: „KÁTJA KABANOVÁ“ – Getrübtes Sängerglück bei Leos Janáček

21.4. 2017 (Karl Masek)

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Margaret Plummer, Angela Denoke. Copyright: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Vor nunmehr fast zwanzig Jahren hat Angela Denoke mit zwei Rollen bei den Salzburger Festspielen 1997 und 1998 (ich war beide Male dabei) Furore gemacht: Mit der Marie in „Wozzeck“ – und eben der Kátja Kabanová in der nach Brünn verorteten Hinterhof-Inszenierung des Christoph Marthaler, bei der sie nach einem Seelenmassaker im Gemeindebau den Liebestod in einem ausgedörrten Springbrunnen fand statt in der Wolga.

Damals, mit Mitte dreißig,  nahm die Weltkarriere der Denoke Fahrt auf. Eine eindringliche Sing-Darstellerin war da zu bejubeln, eine schlanke, klangsinnliche Stimme zu bewundern, die in der Höhe herrlich aufging. Ob Elisabeth im „Tannhäuser“, ob Kundry, ob als Marschallin oder Marietta  (in der „Toten Stadt“), ob als Jenufa oder Lady Macbeth von Mzensk: Die in Wien zur Kammersängerin Ernannte ersang sich in Wien, und nicht nur hier, den Status eines Publikumslieblings.

Doch es gab auch warnende Stimmen: Manuel Brug beschreibt 2003 in seinem Buch: „Die neuen Sängerstimmen“ ihre Stimme als: „ … durchdringend klar, im Timbre leicht, aber apart verhangen, …, diese Kombination hat sich in vielen Rollen bewährt, … , als betörend sinnliche Marietta in Straßburg, als leuchtend unbedingte Jenufa in Wien.“ Doch er ortet damals schon Intonations-Ungenauigkeiten und das Übernehmen übergroßer Aufgaben (zu viele in zu kurzer Zeit). Und schreibt abschließend: „Es wäre schade, wenn sich diese begabte Theatersängerin… die Stimme lange vor der Zeit ruinieren würde.“

 Nachdem Denoke 2016 erstmals die Küsterin und nicht mehr die Jenufa gesungen hatte, war ich doch etwas erstaunt über das späte Wiener Rollendebüt als „Kátja“, die in der Tessitura noch höher liegen dürfte als die Jenufa.

Und: das Sängerglück war – ich stelle es betroffen fest – leider ziemlich getrübt. Die einstmals aufblühenden Hochtöne kamen verspannt, höchst angestrengt, gestresst, auch intonationsmäßig kaum bewältigt.  Singen ist Schwerstarbeit, ging mir durch den Kopf. Und der Zweifel, ob Janáček die Sängerinnen geliebt hat, wenn er ihnen derartige Dauerstrapazen, immer in höchster Stimmlage, zumutet, setzte sich an diesem Abend fest. Das würde ich ihn gerne fragen!

Die bewegende Intensität, welche die Denoke dessen ungeachtet als „Lichtgestalt“ ausstrahlte, wurde vom Publikum honoriert. Man hält seinen Lieblingen dankbar die Treue. Das angeblich so strenge und unbarmherzige Wiener Stammpublikum zeigte sich von der „verständnisvollen Seite“ und Denoke wurde herzlich akklamiert. Den Rat, diese Rolle rasch wieder abzugeben, will ich ehrlicherweise nicht unterdrücken …

Der Blick in alte Programme zeigt mir, dass damals in Salzburg auch Jane Henschel bereits die Kabanicha war. Sie konnte schon von ihrer persönlichen Ausstrahlung her nicht eine Tradition der erdrückenden Persönlichkeiten, wie sie Astrid Varnay, Leonie Rysanek oder Anja Silja (im Theater an der Wien) in diesen Rollen waren, fortsetzen. Eher die böse Großmutter aus Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ trat hier auf als die bigotte, menschenvernichtende Schwiegermutter, die der toten Katja noch den Ehering vom Finger zieht. Wie eine Glucke wacht sie über über ihr weichliches, offensichtlich ziemlich spät geborenes Söhnchen Tichon.  Leonardo Navarro ließ bei diesem Rollendebüt als Einspringer für den erkrankten Joseph Dennis mit hübschem Tenor aufhorchen. Der blutjunge chilenische Stipendiat der PORR AG wird 2017/18 ins Ensemble übernommen.

Sonst fand der Abend im „Graben“ statt. Das Orchester der Wiener Staatsoper erwies sich auch bei Janáček als höchst firm, spielte die himmlisch-hymnischen Aufschwünge, die schwebenden Zartheiten wie die rabiaten Obsessionen mit Höchsteinsatz, angeführt von der – ich wiederhole mich – wunderbaren Konzertmeisterin Albena Danailkova. Dirigent Tomáš Netopil griff mit Lust in die Vollen. Was mitunter etwas zuviel des Guten war.

Dan Paul Dumitrescu war der wenig Furcht einflößende, eher gemütlich polternde „böse Onkel“ Dikoj mit samtigem Bass. Misha Didyk war mit wenig Lover-Schwung und eher biederer Ausstrahlung Objekt von Katjas Liebes-Zerrissenheit, ein Boris mit enger Höhe – auch hier war Singen Schwerstarbeit. Erfreulich das „zweite Paar“: Thomas Ebenstein als klarstimmiger Naturschwärmer Kudrjáš und Margaret Plummer, mit runder und voller werdender Mezzostimme als seine Varvara. Marcus Pelz (Kuligin), Ilseyar Khayrullova  (Glaša) und Caroline Wenborne (Fekluša) erfüllten ihre Episodenrollen mit Leben.

Nur ein Gedanke zur reflexartigen Verlegung der Handlung durch den Regisseur André Engel:  Was trägt es zur Glaubwürdigkeit und Plausibilität bei, den Ort der Handlung ins 20. Jahrhundert an den Hudson River in ein russisch-jüdisches Ghetto, „Little Odessa“, zu verlegen? Und dann schwärmt Kudrjaš in seinem ersten Einsatz wortreich von der Wolga …

Karl Masek

 

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