
Eliska Weissova (Küsterin) und Asmik Grigorian (Jenufa) Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
WIEN / Staatsoper: JENUFA von Leos Janácek – Wiederaufnahme
9. Oktober 2022
Von Manfred A. Schmid
Die David-Pountney-Inszenierung aus dem Jahr 2002 – eine Koproduktion mit der Janácek Oper Brno – hat sich bisher nicht als Renner erwiesen. Sie brachte es bis 2016, als die „Oper in drei Akten aus dem mährischen Bauernleben“ in Haus am Ring erstmals in der Originalsprache gesungen wurde, gerade mal auf 36 Aufführungen. Dann war Schluss. Ein guter Grund für die nun präsentierte, sorgfältig einstudierte Wiederaufnahme mit Neubesetzungen in allen Haupt- und in den meisten Nebenrollen. Dass Interesse an und Begeisterung für das Meisterwerk von Leos Janácek stark gestiegen sind, liegt aber nicht nur an den neuen Stimmen. Der tschechische Komponist hat mit seinen Opern in den letzten Jahren überhaupt international an Bedeutung gewonnen. So feiert die Oper Das schlaue Füchslein am Theater an der Wien, wo Jenufa, in der Regie von Lotte de Beer, übrigens erst im Februar zu sehen war, am 15. Oktober Premiere, allerdings im Ausweichquartier im Messepalast, und Katja Kabanova war einer der Höhepunkte der heurigen Salzburger Festspiele.
Die in mehlige Farben getauchte Inszenierung von David Pountney, zeigt als Hauptschauplatz die überdimensionierte, an eine Industrieanlage gemahnende Mühle der Familie Burija (Bühne Robert Israel), deren Mahlwerk stetig in Bewegung ist und in ihrer Nüchternheit jedwede romantische Vorstellungen eines idyllischen Bauerndorfs ausschließt. Das scheint – wie auch das 2. Bild, bei dem die Wand des Hauses von Jenufa und ihrer Muitter aus übereinader gestappelten Mehlsäcken besteht – im Widerspruch zu den in farbenfrohe Trachten gekleideten Mädchen und Burschen zu stehen, die mehrmals mit volkstümlichen Liedern und Tänzen das Geschehen beleben, während die Hauptpersonen meist schwarzweiß gekleidet sind. Pountney hat damit aber einfühlsam auf den Kompositionsstil Janaceks reagiert, der ebenso vorgeht. Die Gesangslinien sind von der nationalen Volksmusik und der tschechischen Sprachmelodie geprägt, der orchestrale Satz liefert dazu einen stabilen, nicht zu dick aufgetragenen Untergrund in einheitlich dunklen Farben, wenn auch polyrhythmisch akzentuiert und oft repetitiv. Tomás Hanus am Pult des Staatsopernorchesters ist ein kundiger Ausloter der Zwischentöne und lässt die Abgründe in den offenbar so fröhlich und unbeschwert daherkommenden folkloristischen Gesänge ebenso hörbar werden wie die Zwänge, die das Gefühlsleben und die Handlunge der Charaktere bestimmen. Damit unterstützt er ausgezeichnete Personenführung durch die Regie. Die Klangsprache Janáceks lässt, der Heiterkeit der mährischen Volksweisen zum Trotz, keinen Zweifel aufkommen, dass das Geschehen unausweichlich auf eine Katastrophe hinsteuert. Allesamt Verlorene, Einsame, Versehrte, Scheiternde. Von einem gütlichen Ausgang kann keine Rede sein, auch wenn Laca seiner Angebeteten treu bleiben und sie heiraten wird. Zu viele Opfer bleiben übrig. Die beiden eingeschlossen.

David Butt Philip (Laca) und Asmik Grigoriasn (Jenufa).
Asmik Grigorian, die als Salome bei den Salzburger Festspielen 2018 zum Star wurde, ist als Sing-Darstellerin eine mit Spannung erwartete Besetzung für die Partie der Jenufa, die sie in nun Wien zum ersten Mal singt. An der Covent Garden Opera London hat sie in dieser Partie allerdings schon vor einem Jahr debütiert. Ihre Jenufa ist eine hellwache junge Frau, der die charakterlichen Schwächen ihres Geliebten Stevá, sein salopper Umgang Alkohol, nicht fremd sind. Wie sehr sie um ihr Eheglück bangt, nachdem sie von ihm geschwängert worden ist und er noch dazu eventuell zum Militär eingezogen werden soll, lässt sich nachfühlen. Natürlich, wie ihre Ausstrahlung, wirkt auch ihre ungekünstelte Dramatik. Imponierénd sind ihre unangestrengte Leichtigkeit und ihre zarten Töne, aber auch ihre emotionalen Ausbrüche. Jenufas Gebet für eine gute Zukunft ihres Babys im 2. Akt ist ein ergreifender Höhepunkt.
Die tschechische Sopranistin Eliska Weissova als Küsterin und Jenufas Mutter, die für das Glück ihrer Tochter alles zu opfern bereit ist, auch ihre christlichen Grundsätze, und zur Kindesmörderin mutiert, stellt Grigorian diesmal fast in ihren Schatten. Ihr herzerweichende Duett zeigt, sowohl stimmlich wie auch darstellerisch, beide auf einer Ebene. Imponierend, wie Weissova mit sich selbst hadert und, als die Kunde vom Funde einer Kinderleiche aufkommt, vor der Hochzeitsgesellschaft sich als alleinige Verantwortliche für die Bluttat outet und gegenüber ihre Tochter ihren zwiespältigen Charakter und ihre scheinheiligen Motive eingesteht.
Der britische Tenor David Butt Philip gestaltet den von seiner Ziehgroßmutter stets gegenüber seinem Halbbruder Stevia vernachlässigten Laca mit starken darstellerischen Fähigkeiten und kerniger, farbenreicher Stimme. Michael Laurenz, ein vielseitig einsetzbarer Tenor und Ensemblemitglied, ist ein guter Stevia. Dieser, als künftiger Erbe der Mühle die beste Partie im Dorf und wohl auch als fescher Draufgänger bei den jungen Mädchen beliebt, hockt am Ende, als Mitverursacher der Tragödie, wie ein kläglicher Versager in der Ecke. Dazu passt auch seine nicht allzu große Stimme.

Eliska Weissova (Küsterin) und Michael Laurenz (Steva).
Einen hervorragenden Eindruck hinterlässt die Mezzospranistin Margarita Nekrasova als die alte Buriyja, die als Mühlenbesitzerin Autorität, aber auch Wohlwollen ausstrahlt. Markus Pelz als Altgesell, Dan Paul Dumitrescu, Stephanie Houtzeel und Anna Bondarenko als Dorfrichter, dessen aufgedonnerte Frau, und Tochter Karolka, sind stimmige Besetzungen in Nebenrollen.
Viel und langer Applaus, der rund 10 Minuten währt. Es hat gedauert. Aber jetzt sind Janácek und seine Jenufa wohl endgültig in der Staatsoper angekommen.