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WIEN/ Staatsoper: JENUFA – eine Sternstunde

WIEN / Staatsoper: „JENŮFA “ –   19.10.2022 – Eine Sternstunde

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Eliška Weissová, Michael Lorenz. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

 Die Opern von Leoš Janáček hatten es noch nie leicht an der Wiener Staatsoper. Bis Mitte der 1970er Jahre wurde überhaupt nur seine Meisteroper „Jenůfa“ gespielt, und das auch nur gelegentlich und in deutscher Sprache. 1974 wurde dann erstmals seine „Katja Kabanová“ (auch auf Deutsch) an der Staatsoper aufgeführt, 2005 folgte „Osud“ (ebenfalls auf Deutsch). Obwohl die Wiener Philharmoniker in den Siebziger- und Achtzigerjahren des vorigen Jahrhunderts unter dem Janáček-Spezialisten Sir Charles Mackerras fast alle Opern für Schallplatten eingespielt haben, mussten wir noch lange warten, bis weitere Opern Eingang in das Repertoire der Wiener Staatsoper gefunden haben. Der Initiative von Franz Welser-Möst haben wir es zu verdanken, dass in der Ära von Dominique Meyer dann 2011 „Kátja Kabanová“ und „Aus einem Totenhaus“, 2014 „Das schlaue Füchslein“, 2015 „Die Sache Makropulos“ (allesamt in Neuproduktionen und in Originalsprache) und 2016 „Jenůfa“ in einer Neueinstudierung der Inszenierung von David Pountney (erstmals in der tschechischen Originalsprache) zur Aufführung gelangten. Nunmehr ist das Repertoire derart ausgedünnt, dass wieder nur „Jenůfa“, und das leider auch nur sehr selten, auf den Spielplan gesetzt wird.

Die Inszenierung von David Pountney löste im Jahr 2002 die unerreicht gebliebene Inszenierung von Otto Schenk ab. Allerdings gelang Pountney eine atmosphärisch sehr dichte Produktion, die auch bis heute nichts von ihrer Spannung verloren hat. Einen einzigen Einwand habe ich – damals wie heute – es ist überhaupt nicht verständlich, warum er aus dem Hirtenknaben Jano eine weitere Magd Jana gemacht hat. Aber manche Regisseure haben eben ihre Probleme mit Hosenrollen – da dünkte sich der Regisseur wohl klüger als der Komponist. Diese Produktion war übrigens eine Koproduktion mit dem Opernhaus von Brünn, wo die Inszenierung 2004 (selbstverständlich in tschechischer Sprache) mit Anja Silja als Kostelnička gezeigt wurde.

Mit ungeheurer Kraft, sowohl stimmlich wie auch darstellerisch, präsentiert sich Asmik Grigorian in der Titelrolle. Sie stellt eine selbstbewusste, aber dennoch verletzliche junge Frau dar, die durch ihr Unglück (Verunstaltung des Gesichts, Verlust des Kindes) über sich hinauswächst und trotz allem am Ende verzeihen kann. Die Unnahbarkeit, die unendliche Traurigkeit dieser Figur kann sie glaubhaft vermitteln. Das einzige, das ich bei ihr vermisse, ist ein runder, warmer Klang, über den etwa Gabriela Beňačková als Jenůfa verfügte. Grigorians Stimme klingt immer etwas hart. Aber dieser kleine Einwand soll den insgesamt überwältigenden Eindruck, den sie hinterlassen hat, nicht trüben. Im Gegenteil, ihre große Soloszene im 2. Akt geriet zum musikalischen Höhepunkt des Abends.

Ein glänzender Einstand an der Wiener Staatsoper ist David Butt Philip gelungen. Der britische Tenor, der bereits im Sommer bei den Salzburger Festspielen als Boris in „Kátja Kabanová“ begeisterte, beeindruckte mit seiner strahlenden Stimme, sicheren Höhen und seiner intensiven, überzeugenden Darstellung als wahrhaft liebender Laca.

Mit seinem höhensicheren Charaktertenor, gutem Aussehen und der richtigen Portion Eitelkeit überzeugte Michael Laurenz als Lacas Stiefbruder Števa. Den oberflächlichen Hallodri nimmt man ihm voll ab.

Im Westen wird die Partie der Kostelnička traditionellerweise mit großen Sängerpersönlichkeiten – meistens bereits im fortgeschrittenen Alter – besetzt, wobei man dann für die überzeugende Darstellung gelegentlich auch manchmal stimmliche Abnützungserscheinungen in Kauf nimmt. Zu den vielen, unvergesslichen Sängerinnen, die ich in dieser Partie erlebt habe, zählen u.a. Sena Jurinac, Anja Silja, Hildegard Behrens, Eva Marton, Deborah Polaski, Karita Mattila, Evelyn Herlitzius, Eva Randova, Ludmila Dvořáková und zuletzt Nina Stemme, aber vor allem natürlich – unerreicht! – Leonie Rysanek. In Tschechien ist das ganz anders, da wird diese Partie in erster Linie nach den stimmlichen Anforderungen besetzt. Ursprünglich war für diese Wiederaufnahme Violeta Urmana als Kostelnička angekündigt. Warum sie letztendlich nicht gesungen hat, darüber erfolgte keinerlei Information seitens der Wiener Staatsoper. (Versteht die Direktion das als Kundenservice?) Krank war Urmana sicher nicht, denn am Abend der Wiederaufnahme stand sie als Waltraute in der Premiere der „Götterdämmerung“ auf der Bühne der Berliner Staatsoper.  Und so kam die hierzulande noch völlig unbekannte tschechische Mezzosopranistin Eliška Weissová zu ihrem überraschenden Debüt an der Wiener Staatsoper. Zum Repertoire der Sängerin, die über eine weit ausladende, satte, schön timbrierte Tiefe verfügt, gehören neben der Kostelnička u.a. die Ježibaba in „Rusalka“, die Ulrica in Verdis „Maskenball“, die Amneris, die Cieca in „La Gioconda“ und die Azucena. Dank ihrer beeindruckenden Höhe hat sie in den letzten Jahren auch einige hochdramatische Sopranpartien in ihr Repertoire aufgenommen wie die Ortrud, die Giorgetta in Puccinis „Il Tabarro“, die Turandot, die Abigaille in „Nabucco“ und die Isolde. Mit beiden stimmlichen Stärken kann sie nun auch an der Staatsoper als Kostelnička glänzen: mit ihrer tollen Tiefe vor allem in der großen Erzählung im 1. Akt, mit ihren hochdramatischen Höhen im 2. und 3. Akt. Sie muss nur aufpassen, dass sie nicht durch zu viel Druck auf die Höhen möglicherweise ihre Mittellage ausdünnt. Jedenfalls gelang ihr eine glänzende, beeindruckende Leistung. 

In der Rolle der alten Buryja gastierte die russische Mezzosopranistin Margarita Nekrasova erstmals an der Wiener Staatoper.

Aus dem restlichen Ensemble stachen vor allem Dan Paul Dumitrescu als Dorfrichter, Stephanie Houtzeel als seine Frau und Ileana Tonca als Jana positiv hervor.

Geradezu sensationell war, was aus dem Orchestergraben zu hören war. Das bestens disponierte Orchester der Wiener Staatsoper unter Tomáš Hanus ließ die Besucher in die Klangwelt des mährischen Komponisten eintauchen. Viele Musiker glänzten mit ihren brillant gespielten Soli. Das war Janáček-Sound vom Feinsten. Es war außerdem sehr erfreulich festzustellen, wie die Qualität der Aufführungen (sowohl gesamt als auch einzelne Sängerleistungen betreffend) von der 1. bis zur 4. Vorstellung in dieser Serie gesteigert werden konnte. Eine Sternstunde!

Am kommenden Sonntag ist die letzte Aufführung. Man sollte sich das nicht entgehen lassen. (Es gibt noch Karten!) Wer weiß, wie lange dann diese Oper wieder nicht mehr an der Staatsoper zu sehen sein wird.

Walter Nowotny

P.S. Noch ein Tipp für Janáček-Fans. Vom 2.-20. November findet in Brünn das 8. Internationale Janáček-Festival statt. Die Janáček-Oper Brünn bringt eine Neuproduktion von Janáčeks letzter Oper „Aus einem Totenhaus“ (gekoppelt mit einer szenischen Aufführung der Glagolitischen Messe) heraus. Neben Konzerten gibt es auch einige interessante Operngastspiele. Die Nationaloper von Prag gastiert mit Janáčeks „Kátja Kabanová“ sowie mit der Oper „Flammen“ des tschechischen Komponisten Erwin Schulhoff (beide Opern in Inszenierungen von Calixto Bieito). „Kátja Kabanová“ wird außerdem noch ein zweites Mal zu sehen sein anlässlich eines Gastspiels des Grand Théâtre de Genève (in einer Inszenierung von Tatjana Gürbaca mit Corinne Winters, die im Sommer bei den Salzburger Festspielen in der Titelpartie bereits einen sensationellen Erfolg verbuchen konnte, und Elena Zhidkova als Kabanicha). Und die Welsh National Opera gastiert mit „Die Sache Makropulos“ (mit Tomáš Hanus am Pult und Angeles Blancas Gulin als Emilia Marty). Weitere Informationen: https://janacek-brno.cz/de/

 

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