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WIEN /Staatsoper: IL TURCO IN ITALIA – Rossini szenisch

Was für ein schöner Gesang! Was für eine Präsenz!

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Ildebrando D’Arcangelo (Selim) und Cecilia Bartoli (Fiorilla). Alle Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

WIEN / Staatsoper: IL TURCO IN ITALIA in szenischer Aufführung

3. Juli 2022

Von Manfred A. Schmid

Das Gastspiel der Opéra de Monte-Carlo im Rahmen der Rossini-Mania, mit Cecilia Bartoli im Mittelpunkt, geht mit dem Dramma buffo Il turco in Italia in die zweite Runde, bevor es am Freitag mit der Rossini Gala ihren krönenden Abschluss finden soll. Auf die halbszenischen dargebotene La Cenerentola folgt diesmal ein flott und mit leichter Hand inszenierter Rossini, für den Jean-Louis Grinda verantwortlich zeichnet, der nach 15 Jahren im Jänner 2023 die Direktion der Oper in Bartolis Hände übergeben wird.

Ausgangspunkt der Handlung ist die Suche des Dichters Prosdocimo (Giovanni Romeo) nach einem geeigneten Stoff für eine neues Libretto. Da alle möglichen Themen offenbar schon verwendeten worden sind, möchte er sich diesmal von den Menschen in seiner Umgebung inspirieren lassen. Er sieht sich um und wird alsbald fündig: Ein seltsames Paar, der reiche, alte Don Geronio (Nicola Alaimo) und seine junge, kokette Frau Fiorilla (Cecilia Bartoli), zieht seine Aufmerksamkeit auf sich, befindet es sich doch gerade in einer veritablen Beziehungskrise. Die flatterhafte Donna Fiorella wird heftig umschwärmt von Verehrern, fühlt sich in dieser Lage pudelwohl und proklamiert offen die Freie Liebe. Die weitere Entwicklung dieser Affäre gerät durch die Ankunft des türkischen Fürsts Selim (Ildebrando D’Arcangelo), der sich sofort in sie verliebt und sie heiraten möchte und bei der Angebeteten nicht auf Ablehnung stößt, so richtig in Fahrt. Das Publikum ist gewissermaßen mit eingebunden und kann die Entstehung des Stücks Schritt für Schritt auf der Bühne mitverfolgen.

Mit diesem genialen „Theater im Theater“-Effekt nehmen Rossini und sein Librettist Felice Romani die italienische Opera buffa auf die Schaufel, denn Prosdocimo, der das Geschehen aus der Sicht des Komödienschreibers beobachtet, es kommentiert und protokolliert, ist mit dem Verlauf des Geschehens nicht immer einverstanden und versucht immer wieder ordnend und dirigierend einzugreifen. Als Fiorilla einmal in höchster Erregung nicht, wie von ihm erwartet, in Ohnmacht fällt, ärgert er sich über diesen „Regelverstoß“, wird aber selbst auch immer wieder von den Menschen, die er wie Marionetten in seinem Stück behandelt, beschimpft und kritisiert. Die längst zu abgedroschenen Klischees gewordenen Mittel der Buffa-Konstellationen werden so entlarvt und lächerlich gemacht. Mag sein, dass das auch der Grund war, warum diese Oper bei ihrer Uraufführung durchfiel. Dem fehlte einfach die für eine Würdigung nötige kritische Distanz. Gewiss aber war die von den beiden Schöpfern an den Tag gelegte distanzierte, die Opera Buffa kritisch hinterfragende Haltung entscheidend dafür, dass es Rossini im Alter von 37 Jahren und nach 39 Opern leicht fallen sollte, mit dem Komponieren dieser Art von Opern, die dann plötzlich nicht mehr gefragt war, aufzuhören und sich fortan den kulinarischen Genüssen zu widmen.

Die Inszenierung von Jean-Louis Grinda kommt mit wegen Versatzstücken aus, ein Sessel, ein Sofa, ein Schiff, das den Sultan an Land bringt, genügen meist, um den Bühnenraum zu definieren (Bühne Rudy Sabounghi). Anfangs hat man fast den Eindruck, es wieder mit einer halbszenischen Aufführung zu tun zu haben, doch spätestens als der Dichter auf der Suchen nach einem Stück dem auserwählten Paar einen Stummfilm vorführt, in dem Geronio und Fiorilla ihren Konflikt, an einem Esstisch sitzend, mit großen Gesten und ebensolcher Mimik, austragen, weiß man Bescheid: Ein komisches, unterhaltsames Drama, bei dem der Poet die Fäden ziehen und nicht aus der Hand gegen will, hat begonnen. Ausgang ungewiss. Aber gewiss unterhaltsam und vermutlich mit einem versöhnlichen Ausgang.

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Ensembleszene: Die Ankunft Selims im Hafen.

Cecilia Bartoli kann als Fiorilla die gewohnt variantenreichen Farben ihres Mezzosoprans in allen Registern perfekt ausspielen. Wie sie die höchsten Töne mit mühelosem Pianissimo erreicht, macht ihr nicht so leicht jemand nach, und Koloraturarien wie „Non si dà maggiore“ (Es gibt keine größere Verrücktheit) leuchten wie Feuerwerke am Abendhimmel. Ihre stimmliche Energie ist einzigartig, die schier endlose und rasante Wiederholung von Phrasen wie „Conmarito di tal fatta ecco qui come so fa“ (So geht man mit einem solchen Ehemann um) gelingt Dank großartiger Stimmtechnik makellos. Auch darstellerisch ist Cecilia Bartoli stets präsent, urkomisch in „Se lo zefiro so posa“, aber auch berührend, wenn sie etwa Geronios Abschiedsbrief vorliest. Als Selim sie zum ersten Mal singen hört, ist er vom Zauber ihrer Stimme total überwältigt: „Che bel canto! che presenza!“ (Was für ein schöner Gesang! Was für eine Erscheinung!). Man kann ihm nur zustimmen. Bartolis Bühnenpräsenz ist enorm, sie ist der klare Mittelpunkt der Aufführung, aber sie verdrängt die anderen Stimmen nicht, sondern ist in den großen Ensembleszenen Teil eines Ganzen. Es ist nicht zuletzt die Freude und Lust am gemeinsamen Singen und Agieren, was den Reiz dieses Opernabends ausmacht.

Nicola Alaimo ist der urkomische, aber auch – aller Lächerlichkeit zum Trotz – bedauernswerte Gatte einer schwer zu kontrollierenden und kaum einzubremsenden Frau. Dieser Geronio ist stets für Lacher gut, weiß aber auch zu berühren und Sympathie auf sich zu ziehen.

Ildebrando D’Arcangelo, in Wien als exzellenter Mozartbariton in den Da-Ponte-Opern in bester Erinnerung, ist über die Jahre zu einem profunden, warm tönenden Bass gereift. Als türkischer Fürst auf der Durchreise, der dem, Zauber Fiorillas verfällt, dann aber doch zu seiner großen Liebe, dem Zigeunermädchen Zaida zurückfindet, strahlt er Autorität, aber auch Verliebtheit aus. Ein Paradestück ist sein Duett mit Geronio im 2. Akt, als er ihm den Vorschlag macht, ihm seine Frau – wie in seiner Heimat üblich – abzukaufen: „D’un bell‘uso di Turchia“ (Ein guter türkischer Brauch).

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Ensembleszene mit Nicola Alaimo (Geronio) im Mittelpunkt.

Die Mezzosopranistin José Maria Lo Monaco verleiht der Figur der Zaida ein exotisches Profil. Dass Zaida in den Texteinspielungen konsequent als „Romni“ ausgewiesen wird, ist falschverstandene politische Korrektheit, denn auf der Bühne erscheint sie als die gewohnt romantisch verbrämte „Zigeunerin“ und wird in keiner Weise hinterfragt. Dass über Rossini und seinen Librettistin hinaus hier überhaupt nichts hinterfragt und nicht einmal ansatzweise eine Deutung angestrebt wird, kann man zu den Schwächen dieser Inszenierung rechnen. Die Personenführung aber und die Ausleuchtung der Charaktere durch die Regie und durch die Sängerinnen und Sänger macht das einigermaßen wett.

Eine eigentümlich kauzige Komik strahlt der Lyrische Tenor Barry Banks als Don Narciso aus, der wie gelähmt mitverfolgen muss, dass ihm Selim seine Geliebte wegnehmen will und Fiorilla sich gewillt zeigt, da mitzumachen. In seiner Arie „Tu secunda il mio disegnio“ (Möge die süße Liebe meinen Plan vorantreiben) hofft er auf einen guten Ausgang der Geschichte.

Gianluca Capuano am Pult des auf Originalinstrumenten musizierenden und von Cecilia Bartoli gegründeten und geleiteten Ensembles Les Musiciens du Prince – Monaco ist, wie schon in La Cenerentola, ein bewährter Rossini-Dirigent. Hervorzuheben sind die virtuosen Holzbläser, vor allem der Solooboist, aber auch der Solotrompeter. Die schwierigen Passagen für das Horn in der Ouvertüre bereiten keinerlei Probleme.

Erneut stellt der die Rezitative begleitende Luca Quintavalle seinen ausgeprägten Sinn für den Humor in Rossinis musikalischem Schaffen unter Beweis.  Rossini selbst parodiert bei Selims Ankunft in Italien Mozart, indem er Anklänge an den Auftritt des Commendatore ertönen lässt. Daran anknüpfend beginnt Quintavalle den 2. Akt mit ein paar Takten aus Mozarts „Türkischer Marsch“, nachdem er zuvor schon bei der ersten Erwähnung von Selims Namen ein paar Takte aus Mozarts Ouvertüre zu Die Entführung aus dem Serail eingeschmuggelt hat. Kenner werden geschmunzelt haben, als bei der Szene, wenn Fiorilla Selim fragt, wieviele Frauen er schon geliebt habe, die Einleitung ztu Giovannis Serenade „Deh, vieni alla finestra“ erklingt, diesmal nicht von der Mandoline vorgetragen, sondern am Hammerklavier.

Feiner Humor und ausgelassene, ausgespielte Komik zeichnen diese Aufführung aus. Das Publikum reagiert wiederum begeistert und mit langanhaltendem Applaus über mehr als 15 Minuten. Auch ein Buhrufer will sich Gehör verschaffen, geht aber im lautstarken Jubel unter. Das Ensemble bedankt sich mit gleich zwei musikalischen Einlagen, bei denen auch der famose Choeur de l’Opéra de Monte-Carlo wieder dabei ist. So etwas gibt es nicht alle Tage. Und das ist gut so. Immer nur Rossini spielt man nur in Pesaro.

 

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