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WIEN/ Staatsoper: IL TURCO IN ITALIA – letzte Vorstellung des Gastspiels

WIEN / Staatsoper: „IL TURCO IN ITALIA“ – 07.07.2022

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Cecilia Bartoli. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Es ist eigentlich unglaublich, aber bereits vor 25 Jahren hat Cecilia Bartoli unter Riccardo Chailly eine Gesamtaufnahme von Rossinis „Il Turco in Italia“ für DECCA eingespielt. Und vor 20 Jahren trat Cecilia Bartoli in dieser Oper am Opernhaus Zürich in der Inszenierung von Cesare Lievi und unter der musikalischen Leitung von Franz Welser-Möst an der Seite von Ruggero Raimondi (Selim) auf. Für ihr szenisches Debüt an der Wiener Staatsoper hat sie nun ebenfalls die Fiorilla in dieser Oper ausgewählt, eine Partie, die übrigens auch Maria Callas gesungen hat, 1950 in Rom und 1955 in einer Zeffirelli-Inszenierung an der Mailänder Scala, wo das Werk auch 1814 uraufgeführt wurde.

Entgegen der Meinung des Publikums der Uraufführung ist dieses Werk kein Eigenplagiat (von der zuvor komponierten Oper „L’Italiana in Algeri“ mit umgekehrter Ausgangssituation) sondern eine eigenständige Komposition. Obwohl die neue Oper einige gelungene Stücke enthält, erreicht sie dennoch nicht die Qualität des Vorgängerwerks. Musikalisch dominieren die Ensembleszenen, die Soloarien haben insgesamt eine geringere Qualität und stammen zum Teil nicht einmal von Rossini selbst. Aus Zeitgründen komponierte Rossini einige Stücke (die Auftrittsarie den Don Geronio, die Arie des Albazar und das Finale aus dem 2. Akt) sowie die Secco-Rezitative nicht selbst. (Diese stammen möglicherweise vom Dirigenten der Uraufführung, Vincenzo Lavigna.) Die Arie der Lucilla aus seiner Oper „La scala di seta“ hat Rossini zum Zigeunerchor umkomponiert, und das Thema aus dem Duett Geronio – Fiorilla aus dem 1. Akt stammt aus der Oper „Il Signor Bruschino“. Umgekehrt hat Rossini dann einige Stücke aus „Il Turco in Italia“ (das vorerwähnte Duett Geronio – Fiorilla, den Maskenchor aus dem 2. Akt und das anschließende Quintett) später für die Oper „La gazzetta“ wiederverwendet. Und die Musik der Ouvertüre hat Rossini sogar noch zweimal (für „Sigismondo“ und „Otello“) wiederverwendet. Nach der erfolglosen Uraufführung ergänzte Rossini seine Partitur noch durch zwei neue Solo-Nummern (eine Alternativ-Arie für Fiorilla und eine Kavatine für Don Narciso). Obwohl die Musik Rossinis voller Witz, melodischem Reichtum und großartiger Ensemble-Nummern, die immer auf die jeweilige dramatische Situation zugeschnitten sind, steckt, konnte dieses Werk in der Publikumsgunst mit „Il barbiere di Siviglia“, „La Cenerentola“ und „L’Italiana in Algeri“ nicht mithalten.

Nach Aufführungen 1820 am Theater auf der Wieden und 1825 am Hofoperntheater konnte man das Werk in Wien erst wieder 1962 an der Wiener Staatsoper sehen (anlässlich eines Gastspiels der Württembergischen Staatsoper Stuttgart mit Fritz Wunderlich als Don Narciso), dann 1998 an der Kammeroper (mit einem damals noch völlig unbekannten Tenor namens Vittorio Grigolo als Don Narciso), 2003 an der Volksoper und schließlich 2009 am Theater an der Wien (mit Ildebrando d’Arcangelo als Selim).

» Il turco in Italia «, 1. Akt: Fiorilla (Cecilia Bartoli) und Selim (Ildebrando d'Arcangelo) beim ersten Zusammensein in Geronios Haus © Wiener Staatsoper GmbH/Michael Pöhn
Ildebrando D’Arcangelo, Cecilia Bartoli. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Und der Absage von Ildar Abdrazakov hat das Wiener Publikum es zu verdanken, dass Publikumsliebling Ildebrando d’Arcangelo nach sechs Jahren Abwesenheit endlich wieder an der Wiener Staatsoper auftreten durfte. Er ist darstellerisch ideal als fescher, machohafter Türke Selim und überzeugt auch stimmlich mit seinem dunklen, samtweichen Bass.

Umwerfend komisch und stimmlich brillant mit perfektem Parlando war auch Nicola Alaimo als gehörnter Ehemann Don Geronio

Mit starker Bühnenpräsenz gelang Giovanni Romeo ein überzeugendes Porträt des handlungstreibenden Dichters Prosdocimo, dem seltsamerweise Rossini keine Arie zugestanden hat.

Der englische Tenor Barry Banks, den wir schon aus dem Theater an der Wien kennen und der nun mit dem Don Narciso sein Debüt an der Staatsoper gab, überzeugte mit seinem hellen Tenor und vor allem mit kräftigen, sicheren und strahlenden Höhen. 

José Maria Lo Monaco als Zaida und David Astorga als Albazar sowie der Chor der Oper von Monte-Carlo (Einstudierung: Stefano Visconti) ergänzten mit viel Spielfreude die Besetzung.

Les Musiciens du Prince – Monaco spielten mit ausgewogenen Tempi unter dem Dirigenten Gianluca Capuano. Wenn auch so manches Solo rau klang, so beeindruckte das Originalklangensemble doch durch rhythmische Präzision. Und erneut muss man den hervorragenden Luca Quintavalle hervorheben, der am Hammerklavier nicht nur die Rezitative begleitete, sondern auch immer wieder passende musikalische Mozart-Zitate einstreute.

Der scheidende Intendant der Oper von Monte-Carlo, Jean-Louis Grinda, inszenierte selbst, und das sehr unterhaltsam und humorvoll. Bereits während der Ouvertüre sieht man einen Stummfilm mit einer Szene im Haus Don Geronios. Da Fiorilla ihrem übergewichtigen Gatten nur drei Erbsen zum Essen serviert, kommt es zum Ehekrach, in dessen Verlauf die Fetzen (besser gesagt die Teller) fliegen. Videoeinblendungen werden auch im Verlauf des Abends verwendet; so sieht man im zweiten Akt den Vesuv ausbrechen und am Ende – gerade richtig zum Happyend – gibt es ein Feuerwerk. Das Bühnenbild von Rudy Sabounghi stellt die Hinterbühne eines Theaters dar. Prospekte oder Vorhänge deuten die jeweiligen Schauplätze (Geronios Wohnung oder den Hafen) an, wunderschön die Ankunft Selims in seinem Schiff mit blauen bewegten Stoffbahnen als Meereswellen. Die prächtigen, farbenfrohen Kostüme stammen von Jorge Jara.

Und Cecilia Bartoli? Sie ist der absolute Mittelpunkt der Aufführung. Bereits mit ihrem ersten Auftritt zieht sie das Publikum in ihren Bann. Stimmlich kann ihr bis heute keine andere Sängerin das Wasser reichen. Ihre perfekte Koloraturtechnik, die brillanten Triller, die atemberaubenden Läufe, eine vorbildliche Legato-Kultur, aber was am Meisten erstaunt: keine andere Sängerin singt mit so vielen verschiedenen Farben in der Stimme. Wenn sie fröhlich, verärgert, ängstlich, traurig, eifersüchtig oder zärtlich ist, für jede Situation hat sie eine eigene Stimmfarbe präsent, die dem Zuhörer akustisch vermittelt, in welcher Laune sie gerade ist, auch wenn man den Text nicht kennt oder nicht mitliest. (Apropos Text: wirklich ärgerlich ist, dass wieder einmal aus falsch verstandener Political Correctness „zingara“ nicht mit Zigeunerin sondern plötzlich mit Romni übersetzt wird. Werden wir jetzt den „Zigeunerbaron“ von Johann Strauss in „Romabaron“ umbenennen müssen???) Wie Bartoli das Rezitativ und die Arie der reumütigen Fiorilla (nachdem sie den Brief Don Geronios erhalten hat, mit dem er sie nach Sorrent zurückschickt) mit einer Träne in der Stimme singt, bevor sie dann nach positiver Wendung des Schicksals in einen Jubelsturm ausbricht, das ist vollendete Gesangskunst.

Kein Wunder also, dass die Bartoli das Publikum in allen Vorstellungen zur Raserei gebracht hat. Wann hat die Wiener Staatsoper zuletzt solche Jubelstürme erlebt? Wie bereits in den ersten beiden Vorstellungen mussten auch in dieser letzten Aufführung zwei Ensembleszenen wiederholt werden. Endloser Jubel!

Walter Nowotny

 

 

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