Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

WIEN/ Staatsoper: IL BARBIERE DI SIVIGLIA. Premiere

IL BARBIERE DI SIVIGLIA – Premiere Wr. Staatsoper am 28.9.2021

(Heinrich Schramm-Schiessl)

barbz1
Paolo Bordogna, Juan Diego Florez, Ruth Brauer-Kvam, Vasilisa Berzhanskaya, Aurora Marthens. Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Sie dürfte die tatsächlich älteste Inszenierung sein, die wir im Haus am Ring hatten. Sicher, sie hatte erst am 28. April 1966 Premiere, aber die tatsächlich erste Aufführung fand im September 1948 in Hamburg statt und wurde die Inszenierung in der Folge auch an zahlreichen anderen Häusern gezeigt. Dabei ist sie bei der Wiener Premiere trotz der Spitzenbesetzung mit Reri Grist und Fritz Wunderlich als Rosina und Almaviva gar nicht so begeistert aufgenommen worden, was allerdings an der hanebüchenen Idee des damaligen Direktors Hilbert lag, der glaubte das Rad der Zeit zurück drehen zu müssen, das Werk in deutsch statt, wie es damals längst Standard war, in der italienischen Originalsprache zu spielen.

Nach und nach haben wir diese Inszenierung dann doch schätzen gelernt, weil sie praktikabel war und dadurch vielfältige Besetzungen ermöglichte. Das war dann besonders ab 1974 spürbar, als es endlich eine Neueinstudierung in italienischer Sprache – eine der wenigen positiven Taten des damaligen Direktors Gamsjäger – gab und damit der Auftritt vieler wichtiger internationaler Interpreten ermöglicht wurde. Stellvertretend seien Nikolai Ghiaurov und Cesare Siepi als Basilio, Fernando Corena als Bartolo, Luigi Alva als Almaviva und Marylin Horne genannt, die mit der Rosina ihre einzigen zwei Auftritte in der Staatsoper hatte.

Nach unglaublichen 434 Aufführungen mussten wir am 10. Jänner 2020 von dieser Inszenierung Abschied nehmen, denn schon damals machte das Gerücht die Runde, dass Direktor Roscic in seinem nicht wirklich nachvollziehbaren Bestreben, das „Repertoire zu erneuern“ eine Neuproduktion plant.

Nun, diese Neuinszenierung von Herbert Fritsch, der auch für die Bühnengestaltung verantwortlich zeichnet, war ein einziges Ärgernis. Das Werk ist, auch wenn es im Programm als „Commedia“ bezeichnet wird, eine „Opera buffa“ und das ist eine komische Oper, was allerdings bedeutet, dass die Handlung mit all ihren Wendungen komisch ist und von den Sängern entsprechend dargestellt werden soll. Aber was macht Herr Fritsch – er glaubt der Wirkung des Librettos und schon gar nicht jener der Musik nicht. Es beginnt schon damit, dass es kein wirkliches Bühnehbild gibt, also kein Haus des Dr. Bartolo, weder von aussen noch von innen. Die Bühne ist leer und gibt es nur ein paar Hänger, die verschieden ausgeleuchtet werden, was auf die Dauer auch zu einer gewissen Fadesse führt, Ebenso verzichtet man auf jegliche Requisiten, sodass die Sänger gezwungen sind alles pantomimisch darzustellen. So gibt es im 2. Akt keine Rasierszene, meist ein Höhepunkt jeder Barbiere-Aufführung. Der Regisseur zwingt den Sängern völlig überdrehte Bewegungen auf. Sie müssen zeppeln, zappeln, tänzeln und mit übertriebenem Schritt gehen. Bartolo muss sogar zweimal unter den gespreizten Füssen Almavivas durchkriechen. An manchen Stellen müssen die Sänger auch shaken, was mich vermuten lässt, dass der Regisseur weder das Werk an sich noch die Musik ernst nimmt. Natürlich ist auch die Ouvertüre visualisiert, denn 10 Minuten nur Musik bei geschlossenem Vorhang geht im „modernen“ Theater natürlich gar nicht. Am erfreulichsten waren, von einigen Übertreibungen, wie z.B. die Turmfrisur á la Marge Simpson (aus der TV-Trickfilmserie „Die Simpsons“) für Bartolo, die Kostüme von Victoria Behr.

barbrz8
Etienne Dupuis. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Erfreulicher dagegen die Leistung der Sänger. Über eine Rollengestaltung läßt sich auf Grund der vom Regisseur verlangten unnatürlichen Bewegungen wenig sagen, also werde ich mich auf die rein gesangliche Leistung beschränken. Am besten war natürlich Juan Diego Florez als Almaviva. Dank seiner Technik bereiten ihm selbst die schwierigsten Passagen keine Probleme und die Höhen kamen wie immer. Natürlich sang er auch die grosse Arie vor dem zweiten Finale und räumte damit entsprechend ab. In der Titelrolle bot Étienne Dupuis eine ansprechende Leistung. Er sang sehr kraftvoll, was ihm allerdings fehlt ist eine gewisse Biegsamkeit der Stimme und die notwendige Geläufigkeit. Ildar Abdrazakov (Basilio) sang seine Arie ausgezeichnet, das „colpo di cannone“ kam sehr wirkungsvoll. Im Quintett des 2. Aktes blieb er merkwürdigerweise etwas unaufällig. Allerdings darf man nicht an Kaliber der Vergangenheit denken. Paolo Bordogna, ein Sänger der international sehr gefragt ist, an dem aber die Staatsoper mit Ausnahme von vier Abenden als Leporello bisher vorbei ging, war ein guter Bartolo, allerdings liess ihm die Inszenierung kaum Spielraum die Rolle wirklich zu erfüllen.

Ganz bewusst zum Schluss komme ich zur der in den letzten Tagen zum Shootig-Star gehypten Vasilisa Berzhanskaya, die die Rosina sang. Ihre Leistung war ziemlich unausgeglichen, auch wenn die Tiefe durchaus interessant klingt. Allerdings merkt man auch, dass sie noch in der Entwicklung steckt – die Stimme ist doch noch relativ klein – und sie wäre gut beraten, den Verlockungen des Marktes zu widerstehen. Aurora Marthens (Berta) verfügt leider über keine gut geführte Stimme, die in der Höhe auch schrill wird. Stefan Astakhov (Fiorello) und Alejandro Pizarro-Enriquez (Offizier) erfüllten ihre Aufgaben.

Der von Thomas Lang einstudierte Chor entledigte sich seiner kurzen Aufgabe ordentlich.

Jetzt komme ich noch auf eine Besonderheit der Inszenierung zu sprechen, die auch dem zeitaktuellen Theater geschuldet ist. Dort ist es nämlich üblich geworden, entweder eine Rolle zusätzlich zu schaffen oder eine Nebenrolle zu einer Hauptrolle zu machen. Das ist in dieser Produktion mit der Rolle des Ambrogio passiert. Sonst eine ganz kleine Nebenrolle, die meist von einem Choristen dargestellt wird, dominiert sie in der Person von Ruth Brauer-Kvam zumindest zeitweise das Stück. Sie bewegt sich über lange Strecken mit  Ballettschritten und Verenkungen ohne dass der Sinn dafür klar wird. Manchmal hatte man den Eindruck, sie wäre so etwas wie ein Spielleiter. Die Leistung von Brauer-Kvam war duchaus bemerkenswert aber diese Erweiterung der Rolle komplett entbehrlich und vielleicht sogar etwas nervig.

Ziemlich durchwachsen war für mich die Leistung von Michele Mariotti am Pult des Staatsopernorchesters.. Da gab es Stellen, die klangen wunderbar, aber auch sehr viele, die erdenschwer waren. Auffallend waren auch seltsam abrupte Tempo- und auch Lautstärkenwechsel. Auch am nötigen Brio fehlte es zeitweise.

Am Schluss feierte das Publikum die Sänger, für das Regieteam gab es durchaus verdiente Buhrufe. Allerdings war der Applaus für eine Premiere ziemlich kurz.

Abschliessend muss man sagen, das man auf solche „Erneuerungen“ des Repertoires durchaus verzichten kann.

Heinrich Schramm-Schiessl

 

 

Diese Seite drucken