WIEN / Staatsoper: IL BARBIERE DI SIVIGLIA
8. Aufführung in dieser Inszenierung
7. Juni 2022
Von Manfred A. Schmid
Slapstick ist in letzter Zeit wieder einmal angesagt, nicht immer zum Wohle des Stücks oder des Publikums. Im Akademietheater in Oscar Wildes Bunbury, in den Kammerspielen in Shakespeares Was ihr wollt oder bei den Salzburger Pfingstfestspielen in Rolando Villazons eben erst herausgekommener Inszenierung von Rossinis Barbiere hat Slapstick seine deutlichen Spuren hinterlassen. Keiner aber beherrscht das Metier des raffinierten Slapsticktheaters so kreativ wie Herbert Fritsch. So viel ausgelassen Heiterkeit auf der Bühne wie auch im Publikum gab es an der Staatsoper schon lange nicht mehr zu sehen und zu hören. Dabei kann sich der 2. Akt ganz schön in die Länge ziehen. In der fetzig-bunten, fein durchchoreographierten Inszenierung von Fritsch, die abwechslungsreich, originell und voll von Überraschungen ist und am 28. September des Vorjahres ihre Premiere hatte, verstreichen die fast dreieinhalb Stunden allerdings wie im Flug. Auch wenn man prinzipiell kein Freund von bespielten Ouvertüren ist, das hier gebotene Schattentheater gehört zu den Ausnahmen der Regel und stimmt im Einklang mit der Musik frohgemut und witzig auf das Kommende ein, soll und muss aber dennoch nicht zur Regel werden. Überhaupt gilt: Eine Produktion dieser Art im Repertoire genügt und ist nur in ihrer Singularität eine kecke, farbenfrohe, gerne wahrgenommene, wohl auch etwas verrückte Abwechslung im Angebot. Jedenfalls wird viel gelacht und viel geklatscht in dieser Aufführung. Und das sollte bei einer Commedia wie dieser – laut Verdi „die schönste Opera buffa“ überhaupt – doch wohl erlaubt sein.
Freilich reicht die Fülle an Gags zuweilen an die Grenze des Ertragbaren. Auf den Ausbau der winzigen Rolle des Ambrogio zu einem allgegenwärtigen Possenreißer würde man gut verzichten können. Auch wenn der diesmal eingesetzte Schauspieler Sebastian Wendelin – bei der Premiere war es noch Ruth Brauer – das engagiert und tadellos macht: Ohne ihn ging`s auch. Insgesamt gilt aber: Gute Laune zum guten Spiel in einer ebenfalls von Fritsch stammenden, sich ständig wandelnden Bühne mit farbigen Stoffbahnen, die einander überdecken, hochgehoben und abgesenkt werden und wundersame Effekte und Stimmungen ergeben. Piet Mondrian und Mark Rothko lassen fröhlich grüßen.
Cecilia Molinari, die im Jahr 2015 beim Rossini-Festival in Pesaro ihre erste Rosina gesungen und seither vor allem im Belcanto-Fach und als Mozartsängerin internationale Karriere gemacht hat, ist eine treffliche Besetzung für die weibliche Hauptrolle. In einem an das Rokoko erinnernden Reifrock, mit einem barock-übertriebene Perückenturm und knallrote Schmollmund singt sie die Koloraturen mühelos und tritt auch darstellerisch entzückend in Erscheinung. Sie übertrifft sie die Premieren-Rosina Vasilisa Berzhanskaya bei weitem.
Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn
Als Graf Almaviva beweist Juan Diego Flórez, dass er – trotz aller Anstrengungen, sein Repertoire zu erweitern – weiterhin in erster Linie einer der führenden Rossini- und Donizetti-Tenöre bleibt und sich in diesem Metier, nach Ausflügen in die Welt eines Fausts und Alfredo, bis auf weiteres noch immer am besten entfalten kann. In manchen Koloraturläufen klingt er etwas gepresst, was den strahlenden Gesamteindruck allerdings nicht schmälert. Die Arie „Cessa di più resistere“, die wegen ihrer hohen technischen Anforderungen oft gestrichen wird, gelingt ihm ausgezeichnet. Dass Flórez allerding so übermütig und mit sichtlicher Freude spielen und herumhopsen kann, damit hat er seine Fans schon bei der Premiere überrascht. Sein Auftritt als Musiklehrer Don Alonso ist ein Kabinettstück und auch diesmal an Komik kaum zu übertreffen.
Mattia Olivieri als Figaro ist ein begnadeter Komödiant, wie gemacht für die überbordenden Einfälle, mit denen der Regisseur Fritsch diese Partie ausstattet. Herrlich die von ihm als Ablenkungsmanöver angelegte, ausladend inszenierte Trockenrasur Don Bartolos, bei der er – wie übrigens alle Akteure in dieser Inszenierung – ohne Utensilien auskommen muss, was die Witzigkeit nur noch steigert. Stimmlich klingt der Bariton aber viel zu mächtig, röhrend und zu rau für die Figur des wendigen Hans Dampf in allen Gassen. Auch Unsauberkeiten in den Phrasierungen fallen auf. Spielerisch topp, gesanglich nahe an einem Flopp.
Darstellerisch und gesanglich auf hohem Niveau bewährt sich Ensemblemitglied Peter Kellner als Don Basilio. Ein junger Sänger, der sich längst als vielfältig einsetzbarer Bassbariton bewährt und jüngst als Figaro in der Ponnelle-Inszenierung brilliert hat. Seine obligatorische Glanznummer mit der anschwellenden Arie „La calunnia è un venticello“ meistert er bravourös.
Weitgehend überzeugend – stimmlich wie auch darstellerisch – ist auch der bereits in der Premierenbesetzung aufgebotene Bassbariton Paolo Bordogna als Bartolo, der eigentliche Mittelpunkt der Handlung. Komödiantisch perfekt.
Aurora Marthens und Stefan Asthako, zwei Mitglieder aus dem Opernstudio, fallen mit ihren Nebenrollen als Haushälterin Berta und Diener Fiorello positiv auf. Bertas Arie „Il vecchiotto cerca moglie“ ist gelungener Balanceakt zwischen schriller Komik und tiefempfundener Sehnsucht nach Liebe.
Die musikalische Gesamtleitung liegt in den Händen von Stefano Montanari, der ursprünglich von der Barockmusik kommt und auch mit auf Originalinstrumenten spielenden Ensembles Erfahrung hat, inzwischen aber längst auch Mozart, Donizetti und Rossini dirigiert. Gute Voraussetzungen für einen gelungenen, melodiös ausschwingenden und temporeichen Belcanto-Opernabend, bei dem vor allem die Ensembleszenen wunderbar ausgewogen erklingen und auch der Chor gut eingebunden ist.
Stürmischer Applaus, Bravorufe, fröhliche Gesichter für eine Aufführung, die die Charaktere und ihre Handlungen zur Abwechslung einmal nicht psychologisch ausleuchten und hinterfragen will, sondern einfach ein lustiges, unterhaltsamesm, rasantes Spektakel darbietet.