WIEN / Staatsoper: I PURITANI
67. Aufführung in dieser Inszenierung
24. Mai 2022
Von Manfred A. Schmid
Viel herumgemäkelt wurde an der Inszenierung von Bellinis I Puritani aus den Jahr 1994. Tatsächlich mangelt es an stringenter Personenführung, unter der vor allem die Massenszenen leiden. Dafür gibt es einen Regieeinfall, der am Schluss doch noch dafür sorgt, dass man das ansonsten kaum zur Kenntnis genommene Walten des Regisseurs wahrnehmen muss: Statt des vorgesehenen Happyends für das Liebespaar Elvira und Arturo lässt Regisseur John Dew Arturo von seinem Rivalen Ricardo erstechen. Regietheater, wie wenn ein Mäuschen eine Faust macht.
Immerhin gibt es in dieser Inszenierung auch zwei Pluspunkte: Da ist zum einen die Bühne von Heinz Balthes, die auf Mobiliar gänzlich verzichtet. Mit Lichteffekten wird in dem in Dunkelheit gehüllten Bühnenraum der Fokus auf die jeweilig im Mittepunkt stehenden Personen gelenkt. Die vorherrschende Dunkelheit verweist auf die geistige Einengung der puritanischen Geisteshaltung. Im ersten Bild stehen zudem im Hintergrund acht riesige Statuen denen die Köpfe, die am Rand auf dem Boden liegen, offenbar von politischen Eiferern abgeschlagen worden sind. Damit werden die Puritaner Oliver Cromwells in die Nähe der Taliban in Afghanistan gerückt, die bekanntlich auch uralte Monumente zerstört haben. Fundamentalismus hat eben eine lange Geschichte. Die Kostüme von José Manuel Vazquez verweisen auf die Kleidungsvorschriften des 17. Jahrhunderts. Auch hier dominiert die Farbe Schwarz. Nur die beiden Frauengestalten – Elvira, die Tochter des Festungskommandanten, und Enrichetta, die Ehefrau des unter Cromwell hingerichteten Königs – heben sich durch bunte Kleider von der vorherrschenden Eintönigkeit ab. Und der politische Freigeist Arturo, der als Verräter gilt, ist natürlich auch abweichend, nämlich rot gewandet.
Stimmlich ist Bellinis Partitur, ein Hauptwerk des Belcanto, eine große Herausforderung, vor allem stimmtechnisch. Besonders die hochliegende Partie des Arturo ist schwer adäquat zu besetzen. Mit dem amerikanischen Sänger John Osborn wird ein Tenor aufgeboten, der viele schwierige Passagen elegant bewältigt. Seine Reue, als er – in „Credeasi, misera! da me tradita“ – erkennt, was er seiner geliebten Elvira angetan hat, ist ergreifend und echt. Dass der Wohlklang bei dem gnadenlos geforderten und kaum zu bewältigenden hohen F in „Credeasi, misera! da me tradita“, nicht strahlend gelingt und die Anstrengung merkbar wird, gehört hier einfach dazu. Ausnahmen wie Alfredo Kraus, Juan Diego Floréz und Javier Camarena gibt es eben nicht alle Tage. Dennoch eine mehr als achtbare, bewundernswerte Leistung, die auch entsprechend mit Szenenapplaus und Bravorufen gewürdigt wird.
Als Arturos Rivale Riccardo kommt in Wien wieder einmal Adam Plachetka zum Einsatz, als Figaro und Almaviva noch in recht guter Erinnerung. Inzwischen klingt sein Bariton allerdings so, als ob Sand im Getriebe wäre. Ein unangenehmes Timbre, wie ein Bach, der zu viel Geröll und Schlamm mit sich führt und Klarheit und Reinheit vermissen lässt. Eine herbe Enttäuschung, die die Wirkung des großartigen, martialisch getönte Duetts „Suoni la tromba“ mit Giorgio sehr einschränkt.
Roberto Tagliavini als Giorgio, der Mann unter den Puritanern, der sich Menschlichkeit und Empathie bewahrt hat, ist von den Männerstimmen eindeutig die beste Erscheinung des Abends. Seine Trauer und sein Entsetzen über den Zustand Elviras, das in seinem Bericht „Cinta di fiori“ zum Ausdruck kommt, geht unter die Haut. Ein profunder, Autorität ausstrahlender Bass.
Eine Hausbesetzung für Lord Gualtierom Valton, den Vater Elviras, ist der noch junge Bass Ilja Kazakov aus dem Opernstudio. Nach seinem kürzlich sehr gelobten Warlaam in der Wiederaufnahme von Boris Godunov ein weiteres Rollendebüt, bei dem er mit seiner beweglichen, gut geführten Stimme und auch darstellerisch überzeugt.
Rollendeckend eingesetzt werden die ebenfalls aus dem Haus kommenden Carlos Osuna als Bruno und Margaret Plummer als Enrichetta.
Fehlt noch die Würdigung der Leistung von Pretty Yende als Elvira. Seit ihrem Rollendebüt 2016 in Zürich gilt sie als eine der derzeit besten Sängerinnen in dieser Partie. Ihre hervorragende Eignung für das Belcanto-Fach hat Yende auch schon in Wien als anmutige Adina unter Beweis gestellt. Sie verbindet Stimmschönheit mit atemberaubender Technik, was sie vor allem in den Koloraturpassagen, etwa in „Son vergin vezzosa“ zu Höchstleistungen führt. Die in der Cabaletta „Vien diletto, è in ciel la luna“ geforderten, chromatisch absteigenden Rouladen bewältigt sie mit Bravour, in der Wahnsinnsszene kann sie auch ihre darstellerische Fähigkeit ausspielen und zieht alle Aufmerksamkeit auf sich.
Die musikalische Leitung des Abends liegt in den Händen von Francesco Lanzilotta, der eine durchaus solide Leistung abliefert und beim Schlussapplaus, der kräftig und mit vielen Bravi-Rufen gespickt ausfällt, auch – ebensoi wie der Chor – seinen wohlverdienten Anteil daran abholen kann.
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