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WIEN/ Staatsoper: HÄNSEL UND GRETEL – Operndirektor Meyer vermeldet Umbesetzungs-Rekord

22.12.2018 | Oper

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Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Wiener Staatsoper: HÄNSEL UND GRETEL am 21.12.2018. Operndirektor Meyer vermeldet Umbesetzungs-Rekord

Im Scherz hat Engelbert Humperdinck seine wagnerianisch angehauchte, spätromantische Märchenoper einst als „Kinderstubenweihfestspiel“ tituliert. Eine Kinderoper kann man Hänsel und Gretel aber dennoch kaum nennen, doch ist das Werk trefflich dazu geeignet, Kindern den Einstieg in die Welt der Oper zu erleichtern. So ziemlich alle kennen ja das zugrundeliegende Märchen sowie einige der zu Volks- bzw. Kinderliedern gewordenen Lieder Humperdincks, allen voran das zauberhafte „Abends, wenn ich schlafen geh“. Das dürfte auch der Grund sein, wieso diese Oper mit Vorliebe in der Advent- und Weihnachtszeit auf dem Spielplan steht. Da gilt es die Kinder sinnvoll zu beschäftigen, und was eignet sich besser als zur Abwechslung einmal ein Besuch im Opernhaus?

Freilich hat das Regietheater inzwischen schon längst psychoanalytisch und gesellschaftskritisch relevante Aspekte der Handlung entdeckt und sich daran festgebissen. So wurde Hänsel und Gretel in jüngerer Zeit u.a. als „Familien-Trauma“ auf die Bühne gestellt, ein anderes Mal bekommt man beklemmend vorgeführt, wie die Hexe ihre kannibalistische Neigung blutig auslebt, und Giancarlo del Monaco hat zuletzt in Erfurt Hänsel und Gretel gar als beklemmendes Lehrstück der Pädophilie inszeniert – immerhin mit dem Zusatz „Nur für Erwachsene“ versehen.
Die aus dem Jahr 2015 stammende Regiearbeit von Adrian Noble, die derzeit an der Staatsoper gewissermaßen als Weihnachtsoper wieder gezeigt wird, ist hingegen garantiert jugendfrei – und dennoch alles andere als hausbacken oder langweilig. Und das ist gut so: Viele Kinder sitzen im Publikum und haben sichtlich ihren Spaß daran.

Dass das Weihnachtsfest nahe ist, bemerkt man an diesem Abend nicht nur am gesteigerten Hustenaufkommen, sondern die damit einhergehende Erkältungswelle hat auch die Besetzungsliste nicht verschont: Direktor Dominique Meyer kommt vor Beginn der Vorstellung selbst auf die Bühne und berichtet, dass er erstmals in seinen bisher 24 Spielzeiten vier Umbesetzungen in letzter Minute habe vornehmen müssen. Und das bei nur sechs Mitwirkenden insgesamt (vom großen und im Übrigen bestens vorbereiteten Kinderchor einmal abgesehen)!

Immerhin aber – so Meyer entwarnend – sei das Staatsopernorchester vollzählig vorhanden. Ob einigeMusiker aber nicht doch etwas angekränkelt zum Dienst angetreten sind? Die Hörner am Beginn des Vorspiels klingen jedenfalls etwas verkühlt. Alles in allem aber ist das unter der Leitung des Bayreuth-erprobten Axel Kober spielende Orchester gut disponiert, lässt nicht nur die Wagner-Anklänge entsprechend rauschen, sondern begleitet auch die zarten, volkstümlichen Melodien mit Anmut und Grazie. Gerade bei den aufwühlenden Klängen wäre jedoch etwas mehr Zurücknahme angeraten gewesen. So werden Margaret Plummer als Hänsel und Chen Reiss, die als Gretel für Miriam Batistelli eingesprungen ist (und in dieser Partie aber bereits in der Premierenbesetzung zu erleben war) leider an manchen Stellen zugedeckt. Beide singen aberausgezeichnet und sind auch darstellerisch ein Gewinn.

Boaz Daniel ist als Peter Besenbinder ein sympathischer Vater, fröhlich und lebenslustig und nicht vordergründig der Trinker, als der er öfters präsentiert wird. Dem Bariton kommt hör- und sichtbar zugute, dass er diese Rolle schon früher – u.a. an der Volksoper in der unverwüstlichen Dönch-Inszenierung – gesungen hat. Regine Hangler ist als Gertrud mit ihrem Wagner-Sopran eine Luxusbesetzung in ihrem Rollendebüt. Sie gibt eine Mutter, die ihre verspielten Kinder resolut behandelt und mit scharfen Tönen zum Erdbeersammeln in den Wald schickt. Ensemblemitglied Hangler hat diese Rolle (Achtung: jetzt wir´s kompliziert) als Einspringerin für Donna Ellen übernommen, die ihrerseits an diesem Abend erstmals als Knusperhexe zum Einsatz kommt (anstelle der erkrankten Monika Bohinec). Ihre Knusperhexe ist gewiss noch ausbaufähig, was aber wohl der kurzen Vorbereitungszeit geschuldet ist. Dass die Knusperhexe nunmehr nicht mehr an ein Regierungsmitglied erinnert, verdankt sich auch einer Umbesetzung, diesfalls aber im Innenministerium- und daher nicht im Verantwortungsbereich der Operndirektion liegend.

Schließlich ist noch von einer weiteren Umbesetzung – ebenfalls zugleich ein Rollendebüt – zu berichten: Daniela Fally ist – erwartungsgemäß (wenn auch an diesem Abend zunächst eigentlich nicht erwartet) als zauberhaft singendes Sandmännchen/Taumännchen einfach entzückend! Sie singt und spielt ohne dick aufzutragen, einfach erfrischend schlicht und ergreifend. Das lässt sich im Übrigen auch vom Bühnenbild und von der Ausstattung Anthony Wards behaupten. Diese Inszenierung hat jedenfalls das Zeug, sich möglichst lange im Repertoire halten zu können, was leider nicht für viele der Neuproduktionen der zu Ende gehenden Ära Meyer gelten kann. Weiterhin rätselhaftbleibt aber, warum Hänsel und Gretel bis zur Premiere vor drei Jahrenfast ein Dreivierteljahrhundert lang nicht mehr in Haus am Ring gespielt wurden und damit seit 1944 in einem Dornröschenschlaf versunken war. Endlich wieder wachgeküsst, gibt es jetzt keine Ausreden mehr für eine derartig merkwürdige Programmplanung. Diese Oper ist eindeutig eine Bereicherung des Repertoires und hat Bestandsgarantie.

Manfred A. Schmid

 

 

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